Berlin Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) verstößt gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes. Zu diesem Ergebnis kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten. Es liegt dem Handelsblatt vor.
Es geht um die Frage, was passiert, wenn Deutschland in einem Jahr in einzelnen Bereichen seine Klimaziele nicht erreicht. 2021 etwa hatte der Verkehrssektor seine gesetzlich vorgeschriebenen Ziele um drei Millionen Tonnen verfehlt.
Laut Gesetz muss der zuständige Minister binnen weniger Monate ein Sofortprogramm mit Maßnahmen vorlegen, „das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt“. Grüne und FDP legen den Satz unterschiedlich aus.
Für den Wissenschaftlichen Dienst gibt es keinen Zweifel: Der entsprechende Passus im Gesetz bedeutet nicht nur, die Emissionsmenge des Vorjahres wieder auszugleichen. Vielmehr sei „das weiter gehende Ziel“ gemeint, „die Einhaltung des korrigierten Emissionsminderungspfades für die folgenden Jahre sicherzustellen“.
Der Verkehrssektor muss die Emissionen drastisch senken
Nur so werde ein Sofortprogramm dem Anspruch des Klimaschutzgesetzes „gerecht“ und „nicht nur eine bereits überschrittene Jahresemissionsmenge des Berichtsjahres auszugleichen versucht, sondern bereits auf zu erwartende Zielverfehlungen nachfolgender Berichtsjahre reagiert“. Die Autoren führen dazu mehrere juristische Kommentierungen an, die die Position untermauern. Auch Umwelt- und Klimaaktivisten vertreten die Auffassung.
Wissing hätte demnach im Juli Maßnahmen vorschlagen müssen, wie er nicht nur die 2021 zu viel emittierten drei Millionen Tonnen bis 2030 wieder einspart – sondern auch die restlichen 271 Millionen Tonnen CO2, die der Verkehrssektor bis dahin einsparen muss. Dies ist deutlich mehr, als die Deutschen in einem Jahr mit ihrer Mobilität in die Luft pusten.
So gesehen hätte der Minister womöglich schnell wirkende Maßnahmen wie ein Tempolimit vorschlagen müssen. Das aber lehnt die FDP ab. „Wir wollen und müssen viel größere Schritte gehen und den Verkehr insgesamt klimaneutral machen“, rechtfertigt Wissing seine Politik. Der Jurist und ehemalige Richter sowie Staatsanwalt hatte vielmehr Konzepte angekündigt, mit denen er Ladesäulen für Elektroautos aufbauen, Radwege ausbauen und den Nahverkehr verbessern will. Auch setzt er auf alternative Antriebe.
Wissing hatte daraufhin den Expertenrat intern immer wieder angegriffen. Öffentlich erklärt er, dass er sich „anders als der Expertenrat als Verkehrsminister um die Frage kümmern muss, wie die Gesellschaft mobil und die Lieferketten stabil bleiben sollen“. Er wolle Klimaschutz, „ohne die Mobilität einzuschränken“.
Daher pocht die FDP darauf, das Klimaschutzgesetz zu ändern. Klimaziele sollen in Gänze betrachtet werden und nicht für jeden Sektor einzeln. Die Grünen aber lehnen dies ab. „Jedes Kindergartenkind weiß: Wenn die Gruppe versucht, gemeinsam aufzuräumen, und einige wenige werfen die ganze Zeit noch Bauklötze durch die Gegend, dann ist am Ende nicht aufgeräumt“, sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang noch kurz vor Weihnachten. „Das heißt, jeder Sektor muss einen Beitrag für die im Gesetz festgelegten Klimaziele leisten.“
Wissing müsse ein Vielfaches mehr leisten. „Das Verkehrsministerium hat bislang noch nicht einmal einen Plan vorgelegt, wie Deutschland im Verkehr die Klimaziele erreichen soll“, so Lang.
Wissing sieht Klimaminister Habeck in der Pflicht
Verkehrsminister Wissing hingegen fühlt sich im Recht. „Mein Haus hat Vorschläge unterbreitet, wie der Verkehr dekarbonisiert werden kann“, hatte er ebenfalls kurz vor Weihnachten erklärt. Es sei „Aufgabe des Klimaschutzministers, ein Gesamtpaket vorzulegen“.
Robert Habeck (Grüne) benötigt dazu aber Vorschläge aus den Fachministerien wie dem für Verkehr oder dem für Bau. Weil es hakt, konnte er bisher nicht „das Klimaschutzgesetz noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen“, wie es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht alle in der Pflicht: Auch wenn die Bundesregierung ein Klimaschutzprogramm vorlegen könne, sei es die Pflicht des Fachministers, „im sektorspezifischen Sofortprogramm geeignete Maßnahmen vorzusehen, um die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherzustellen“.
Habecks Beamte erwarten, dass Wissing etwas vorschlägt: „Mit Blick auf die verbleibende Klimaschutzlücke im Verkehrssektor wird die Bundesregierung bis Frühjahr 2023 weitere Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr vereinbaren“, notierten sie Ende Oktober in einem Entwurf für ein Klimaschutz-Sofortprogramm.
Mehr: Nur 112 von 700.000 Lkw fahren emissionsfrei – Wissing zögert bei der Klima-Maut
<< Den vollständigen Artikel: Klimaziele: Gutachten: Minister Wissing verstößt gegen das Klimaschutzgesetz >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.