Stuttgart Christian Lindner hat gerade mit seiner Rede begonnen, da wird der FDP-Chef von Klimaaktivisten mit einer Gesangseinlage unterbrochen. „We shall overcome“ klingt es von der Loge des Stuttgarter Opernhauses, auf Transparenten werden 9-Euro-Ticket und Tempolimit gefordert.
„In die Hitparade kommt ihr damit nicht“, ruft Lindner den Demonstranten zu. Man habe Zeit, sagt der Finanzminister, als die Protestler immer weiter singen, „aber um ehrlich zu sein, würde ich es vorziehen, ihr würdet euch festkleben“, kontert er. „Wenn ihr hier klebt, könnt ihr niemanden sonst behindern.“
Es war der Auftakt zu einer Rede, in der Lindner weder die eigenen Koalitionspartner noch die oppositionelle Union hart attackierte, aber die Parteiseele doch mit einer liberalen Kampfansage streichelte.
Vom traditionellen Dreikönigstreffen soll trotz all der Schwierigkeiten der Ampelkoalition eine Aufbruchsbotschaft ausgehen. Lindner: „Festkleben war gestern, anpacken ist jetzt das Gebot der Stunde.“
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Der FDP-Vorsitzende zählte das auf, was er als gemeinsame Erfolge der Ampel sieht: Die milliardenschweren Entlastungspakete, die Wirtschaftshilfen, die Unterstützung der Ukraine, das Bürgergeld mit besseren Hinzuverdienstmöglichkeiten. Der Finanzminister verteidigte das Krisenmanagement der Bundesregierung, auch die hohe Schuldenaufnahme in einer Größenordnung, die „mir nicht geheuer war und ist“.
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All das sei notwendig gewesen. Doch nach dem Krisenmanagement des Jahres 2022 braucht es im neuen Jahr nun einen wirtschaftspolitischen Neustart der Ampelkoalition – so lautete die zentrale Botschaft in Lindners Rede. Notwendig sei eine „Zäsur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“.
Deutschland sei gut durch die Krise gekommen, erklärt Lindner. Aber um in Zukunft sozialen Ausgleich und die Investitionen in Klimaschutz finanzieren zu können, müsse man für Wirtschaftswachstum sorgen.
Das war die Botschaft an SPD und Grüne: Deren Herzensanliegen seien nur umsetzbar, wenn man die FDP-Forderungen für eine starke Wirtschaft mittrage. „Der Erhalt der wirtschaftlichen Substanz dieser Gesellschaft muss weiter oberste Priorität sein“, sagte der Finanzminister.
Das müsse nun die Ampel leisten – auch aus politischem Eigeninteresse. „Wenn die Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine Wiederwahlchance haben will, dann wird das nur gelingen, wenn wir das Land auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zurückführen“, sagte Lindner.
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Das war eine Kampfansage an die Koalitionspartner – nur diplomatisch-freundlich verkleidet in der Betonung eines gemeinsamen Interesses. Aber Lindner weiß, dass SPD und Grüne durchaus andere Vorstellungen haben, wie man in die wirtschaftliche Erfolgsspur kommt.
Nicht alles ist ohne große Konflikte möglich
Es war an FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai das in seiner Rede zuvor deutlich zu machen. Die Liberalen müssten dafür sorgen, sagte Djir-Sarai, dass Deutschland „nicht von links, sondern aus der Mitte“ regiert werde.
Deutschland brauche „ein Wachstumspaket“, sagte Lindner dazu. Einige Bestandteile, die dem FDP-Politiker vorschweben, sind in der Ampel ohne große Konflikte möglich: Einfachere Einwanderung für Arbeitskräfte oder mehr Ausgaben für Bildung und Forschung. Anderes wird zu Streit führen. Die Liberalen machen beim Dreikönigstreffen deutlich, dass sie etwa Fracking in Deutschland befürworten, was Grüne und SPD ablehnen.
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Und auch auf Lindners Terrain, der Finanzpolitik, dürfte es Konflikte geben. „Ein Land, das im Standortwettbewerb wieder in die Offensive finden will, ein solches Land erhöht nicht die Steuerlast, es senkt die Steuerlast“, sagte Lindner.
Er nennt Projekte, bei denen er hofft, Sozialdemokraten und Grüne zu überzeugen. Dazu zählen bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, um einen Anreiz für Investitionen zu setzen. Oder eine höhere Forschungsförderung.
„Kompromisse mit Union nicht einfacher“
Doch wenn es um die Senkung der effektiven Steuerlast für Unternehmen geht, dann werde „ein Dissens bleiben“, sagte Lindner. Trotzdem würden die Liberalen nicht aufhören, dazu Vorschläge zu machen. „Die FDP hat in der Steuerpolitik das Denken nicht eingestellt“. Und da eine solche Steuersenkung die Wirtschaftskraft und damit das Land stärke, sei es eigentlich auch „im Eigeninteresse von SPD und Grünen“, sagte Lindner. „Sie wissen es nur noch nicht.“
Der FDP-Chef weiß, dass es in der Partei Unzufriedenheit gibt mit dem Ampelbündnis, erst recht nach den verlorenen Landtagswahlen des vergangenen Jahres. In einer Koalition seien Kompromisse notwendig, an denen dürfe auch Kritik geübt werden. Aber mit der Union wäre es auch nicht einfacher, mahnte Lindner die Parteianhänger. „Das wäre nur anders.“
Die Ampel ist für die Liberalen bis 2025 alternativlos. Also muss man nun aus Sicht der FDP-Vorderen das Beste daraus machen. Oder wie es der baden-württembergische FDP-Vorsitzende und Gastgeber Michael Theurer in seine Eröffnungsrede sagte: „Regieren ist nichts für Feiglinge.“
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