Brüssel Unter massivem Druck von Wirtschaft, Ärzten, Patientenorganisationen und dem EU-Parlament bringt die EU-Kommission eine Änderung der Medizinprodukte-Verordnung auf den Weg. Das Gesetz könnte in seiner jetzigen Form bald zu Knappheiten bei lebenswichtigen Produkten führen, etwa bei Stents zum Offenhalten von Blutgefäßen, bei Ballonkathetern oder Operationsbesteck.
Rund 500.000 solcher Medizinprodukte werden in der EU verwendet, ihre Zulassung ist bislang abgedeckt von 21.376 Zertifikaten. An diese Zertifikate werden künftig höhere Anforderungen gestellt. So soll die Unbedenklichkeit in Studien untersucht werden, je nach Produkt müssen umfangreiche Dokumentationen angelegt werden.
All das führt aber zu langwierigen bürokratischen Verfahren. Und es gibt zu wenige Stellen, die diese Verfahren abarbeiten. 80 benannte Stellen waren im alten System damit beschäftigt, Zertifikate auszustellen. Auch an sie gibt es nun strengere Anforderungen. Am neuen System wollen sich 62 Stellen beteiligen, aber nur 36 davon sind bislang notifiziert.
Die Anträge stauen sich. Keiner wurde bislang in weniger als einem Jahr bearbeitet, heißt es aus der Wirtschaft. Immer häufiger würden Anträge von Herstellern mangels Kapazität abgelehnt. Dabei geht es teilweise um Produkte, die seit Jahren ohne Auffälligkeiten im Einsatz sind. Bis Oktober 2022 und damit zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes waren 1990 Zertifikate neu ausgestellt – also rund ein Zehntel der alten Zertifikate erneuert.
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Nun will EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides deutlich längere Übergangsfristen setzen. Hochrisikoprodukte wie Implantate sollen bis Dezember 2027 ein neues Zertifikat bekommen, andere Produkte wie Spritzen und Operationsbesteck bis Dezember 2028. Beides würde eine Verlängerung um drei Jahre bedeuten.
Erste Prüfverlängerung reichte nicht aus
Damit wäre genug Zeit, die Prüfprozesse zu durchlaufen. Eine erste Fristverlängerung im Januar 2022 hatte dafür nicht ausgereicht. Der neue Vorschlag bedeutet ein neues Gesetzgebungsverfahren, also deutlich größeren Aufwand in den Institutionen der EU. Produkte, die bereits ausgeliefert sind, sollen demnach weiter verwendet werden dürfen, auch wenn die Zertifikate ablaufen.
Nicht alle Probleme sind dadurch gelöst. Unternehmen hatten sich beschwert, dass der Aufwand, ein Medizinprodukt auf den Markt zu bringen, deutlich zugenommen habe. Gerade für kleine Unternehmen, die Produkte mit kleinen Margen und kleiner Stückzahl produzieren, sind die Kosten schwer zu tragen. Mehrere Firmen haben sich vom europäischen Markt zurückgezogen und dies mit der Medizinprodukte-Verordnung begründet.
>> Lesen Sie hier: Steigende Kosten und Bürokratie – Medizinprodukte-Hersteller erwarten weniger Gewinn
Die Branche zeigte sich dennoch überwiegend erleichtert: „Es ist gut, dass die Kommission jetzt Tempo macht“, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands Medizintechnologie, Marc-Pierre Möll. Für die Planungssicherheit brauche es jetzt ein schnelles Gesetzgebungsverfahren in Rat und Parlament der EU.
Die Kommission betont, dass ihr Vorschlag keinen Kompromiss bei der Sicherheit bedeutet. Patientenvertreter fürchten aber genau das. So hatte sich das Europäische Patientenforum für eine einjährige Fristverlängerung eingesetzt. „Wir hoffen, dass die dreijährige Verschiebung zusammen mit den anderen von der Kommission angekündigten Friständerungen nicht auf ein geringeres Maß an Ehrgeiz und Bereitschaft zur Umsetzung der Medizinprodukte-Verordnung hinweist“, sagte Geschäftsführerin Anca Toma.
Mehr: Medizinprodukte-Hersteller warnen vor Engpässen wegen EU-Verordnung.
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