Paris Emmanuel Macron ließ seine Landsleute in seinen Neujahrswünschen wissen, dass er es dieses Mal ernst meine mit dem Umbau der Alterssicherung. „Dieses Jahr wird in der Tat das Jahr einer Rentenreform sein, die in den kommenden Jahrzehnten das Gleichgewicht unseres Systems gewährleisten wird“, sagte der französische Präsident.
Die Franzosen müssten länger arbeiten, damit die Rente auch in Zukunft finanzierbar bleibe. Am Ende des Sommers 2023, so die Hoffnung von Macron, sollen die neuen Regeln im Gesetzbuch stehen.
Der Präsident hat das Thema lange vor sich hergeschoben, einen ersten Anlauf in seiner ersten Amtszeit brach er ab. Auch nach seiner Wiederwahl im Frühjahr 2022 wartete er zunächst noch ab und suchte erfolglos nach Kompromisslinien mit Gewerkschaften und Oppositionsparteien.
Nun wagt er sich mit einem umstrittenen Projekt vor, von dem maßgeblich abhängen wird, ob der selbst erklärte Reformpräsident auch als solcher in die Geschichtsbücher eingehen wird. Am Dienstag will seine Regierung die Pläne vorstellen, am 23. Januar sollen sie dann vom Kabinett verabschiedet und anschließend in das Parlament eingebracht werden.
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Der Widerstand ist groß. Anführer der Gewerkschaften drohen mit Streiks und einer Blockade des Landes. In Umfragen spricht sich eine klare Mehrheit gegen eine Reform mit einem höheren Renteneintrittsalter aus.
In der Nationalversammlung, wo der Präsident seit den Parlamentswahlen im vergangenen Juni nicht mehr über eine absolute Mehrheit verfügt, lehnt sich die Opposition auf. Der Umbau des Rentensystems ist nicht nur die Schlüsselreform in Macrons zweiter Amtszeit. Es ist auch sein größtes innenpolitisches Risiko in diesem Jahr.
Höheres Rentenalter, Mindestrente von 1200 Euro
Erste Details der Regierungspläne sickerten bereits durch. Das gesetzliche Renteneintrittsalter von derzeit 62 Jahren soll über einen Zeitraum von zehn Jahren schrittweise angehoben werden. Macrons ursprüngliches Ziel waren 65 Jahre, zuletzt war in seiner Regierung aber auch von 64 Jahren die Rede. Für eine Reihe von Berufsgruppen sollen großzügige Möglichkeiten zur Frühverrentung abgeschafft werden.
Eine Ausnahme soll es für Franzosen geben, die besonders früh in das Arbeitsleben eingestiegen sind und viele Jahre in das Rentensystem eingezahlt haben. Die Regierung will beim künftigen Renteneintrittsalter offenbar auch berücksichtigen, ob jemand in einem körperlich sehr anstrengenden Job tätig war.
Das Reformvorhaben beinhaltet ebenfalls eine Mindestrente von 1200 Euro netto. Davon sollen künftig alle Franzosen profitieren, die ein Leben lang gearbeitet, aber nur ein geringes Einkommen bezogen haben. Außerdem erwägt Macrons Regierung Maßnahmen, um Senioren länger im Arbeitsleben zu halten oder ihnen einen Wiedereinstieg in den Job zu ermöglichen. Nur rund 35 Prozent der 60- bis 64-Jährigen in Frankreich sind berufstätig.
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Bei der Reform geht es also um deutlich mehr als nur um die Frage, ob die Franzosen wie viele ihrer europäischen Nachbarn länger arbeiten müssen. Die Debatte dreht sich aber vor allem um die unpopuläre Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Für die Regierung ist das ein Kommunikationsproblem.
Frankreichs Rentensystem drohen Milliardendefizite
Macron bemüht sich, das Bild einer „gerechten“ Reform zu zeichnen. In seiner Neujahrsansprache hob er neben den Verbesserungen bei der Mindestrente und der Berücksichtigung langjähriger Erwerbsbiografien auch die Generationengerechtigkeit hervor: Es gehe darum, „unseren Kindern ein gerechtes und solides Sozialmodell zu übergeben“.
Der Präsident stützt sich auf Berechnungen eines an die Regierung angegliederten Gremiums von Rentenexperten. Zwar schloss das französische Rentensystem 2021 mit einem Überschuss von fast einer Milliarde Euro ab und dürfte Schätzungen zufolge für das vergangene Jahr sogar ein Plus von mehr als drei Milliarden Euro verzeichnen, doch der Rentenrat warnt angesichts der alternden Bevölkerung vor einem wachsenden strukturellen Defizit bei der Rentenfinanzierung.
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Auch die französische Wirtschaft sieht dringenden Handlungsbedarf. Geoffroy Roux de Bézieux, Chef des Arbeitgeberverbandes Medef, sagte kürzlich der Zeitung „Le Journal du Dimanche“ zur längeren Lebensarbeitszeit: „Wir haben keine Wahl. Die demografische Lage ist so, wie sie ist. Die Zahl der Beschäftigten, die auf jeden Rentner kommen, geht kontinuierlich zurück.“ Schon 2030 könnte das Defizit der französischen Rentenkasse zwischen 20 und 32 Milliarden Euro liegen.
Macron will mit der Reform ein Signal an die EU-Partner senden. Die französische Staatsverschuldung liegt mittlerweile bei über 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – das sind 40 Prozentpunkte mehr als in Deutschland. Im kommenden Jahr soll das Haushaltsdefizit erneut bei geschätzten fünf Prozent des BIP liegen.
Der Präsident verfolgt das Ziel, bis 2027 wieder unter der Drei-Prozent-Grenze der EU-Schuldenregeln zu liegen. Die Strukturreform bei der Rente sieht seine Regierung als Weg, um langfristig das Vertrauen in die französischen Staatsfinanzen zu stärken.
Die Debatte um ein höheres Renteneintrittsalter stößt bei vielen Franzosen auf Widerstand.
Aus dem Gewerkschaftslager schallen Macron dagegen seit Monaten Warnungen entgegen. Der Chef des Hardliner-Gewerkschaftsbundes CGT, Philippe Martinez, sagte eine „bedeutende Mobilisierung“ der Arbeiterschaft voraus. Der Dachverband Unsa, der unter anderem Beschäftigte im Bildungsbereich vertritt, drohte mit einem „sehr harten sozialen Konflikt“. Selbst die als gemäßigt geltende Gewerkschaft CFDT wendet sich von Macron ab. CFDT-Chef Laurent Berger bezeichnete die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters als „brutale Maßnahme“.
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Im Parlament stellen sich der rechtsnationale Rassemblement National von Marine Le Pen und das Linksbündnis aus der populistischen Partei Unbeugsames Frankreich, Sozialisten und Grünen gegen Macrons Pläne. Das Unbeugsame Frankreich hat für den 21. Januar einen Protestmarsch gegen die Rentenreform angekündigt.
Die Hoffnungen der Regierung, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu erreichen, liegen auf den bürgerlich-konservativen Republikanern. Doch die zögern mit ihrer Unterstützung.
Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire zeigte sich vor einigen Tagen bei einem Neujahrsempfang verwundert über das Auftreten der Republikaner. Schließlich habe die Partei im Wahlkampf für eine Anhebung des Renteneintrittsalters geworben. Le Maire rief die bürgerlich-konservativen Abgeordneten auf, auf politische Spiele zu verzichten und sich vom „übergreifenden Interesse der Nation“ leiten zu lassen. Dieses bestehe darin, „ohne Verzögerungen eine Reform anzugehen, um die Solidarität zwischen den Generationen zu garantieren“.
Mehr: Frankreichs bürgerlich-konservative Opposition wählt Hardliner Éric Ciotti an ihre Spitze.
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