Jan 9, 2023
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Arbeitsrecht: Neues Gutachten stellt kirchlichen Sonderweg infrage

Written by Frank Specht


Ausgabe von warmen Getränken an einem „Kältebus“ der Caritas

Das kirchliche Arbeitsrecht betrifft auch Beschäftigte, die nicht beispielsweise als Pfarrer oder Religionslehrer im „verkündigungsnahen“ Bereich arbeiten.



(Foto: dpa)

Berlin Sie arbeiten in Kitas und Schulen, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Doch weil sie bei einem kirchlichen Träger beschäftigt sind, haben sie nicht die gleichen Rechte wie Kolleginnen und Kollegen, die einen Arbeitsvertrag vom Staat, von Privatunternehmen oder weltlichen Wohlfahrtsverbänden haben.

Grund ist das besondere Arbeitsrecht der Kirchen. Es erlaubt mitunter, dass Beschäftigte beispielsweise ihren Job verlieren, weil sie sich scheiden ließen und erneut heirateten oder mit einem gleichgeschlechtlichen Partner zusammenleben. Entscheidungen also, die das Privatleben betreffen.

Diese arbeitsrechtlichen Privilegien der Kirchen sind aber nach einem neuen Rechtsgutachten des früheren Hamburger Arbeitsrichters Peter Stein nur noch in eng umgrenzten Ausnahmefällen gerechtfertigt. Nämlich dann, wenn es um den sogenannten „verkündigungsnahen“ Bereich geht, wenn also beispielsweise Pfarrer oder Religionslehrer betroffen sind, von denen ein Eintreten für kirchliche Werte und Grundsätze verlangt werden kann.

Dagegen sollte für bei Caritas, Diakonie oder anderen kirchlichen Trägern beschäftigte Erzieherinnen, Pfleger oder Sportlehrer das normale Arbeitsrecht gelten.

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In seinem Gutachten, das vom Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, nimmt Stein Bezug auf mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), nach denen das kirchliche „Nebenarbeitsrecht“ aus seiner Sicht nicht mehr haltbar ist. Demnach seien Vorgaben, die in die private Lebensführung eingreifen und auf eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten hinauslaufen, allenfalls noch bei den „verkündigungsnahem“ Tätigkeiten rechtmäßig.

Verfassungsgericht bestätigt Sonderstellung der Kirchen

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die kirchlichen Sonderregelungen in seiner Rechtsprechung bestätigt. Aus Steins Sicht haben die Karlsruher Richter aber das aus der Weimarer Verfassung übernommene Recht zur Selbstverwaltung der Kirchen zu einer Schutznorm der Kirchen gegen den Staat umgedeutet. Die Grundrechte der Beschäftigten müssten gegen das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften abgewogen werden, was bisher allerdings vernachlässigt worden sei.

Das Bundesverfassungsgericht habe „die christliche Wertemoral in exzessivem Umfang gegenüber dem staatlichen Arbeitsrecht“ privilegiert, heißt es in dem Gutachten.

Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman

„Beschäftigte der Kirchen sind leider noch nicht umfassend vor Diskriminierungen geschützt.“


(Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich)

Es dürfte aufmerksame Leser bei den Sozialpolitikern und Rechtsexperten der Ampelkoalition finden. Denn SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen, „inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann“. Insgesamt sind rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland bei den Kirchen und ihren Einrichtungen beschäftigt.

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte zwar im November vergangenen Jahres eine neue Grundordnung für das kirchliche Arbeitsrecht in katholischen Einrichtungen vorgelegt. Demnach sollen beispielsweise die sexuelle Orientierung oder die gewählte Lebensform kein Einstellungshindernis oder Kündigungsgrund mehr sein, wohl aber der Austritt aus der katholischen Kirche.

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Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, kritisierte, dass auch die neue Grundordnung noch zu viele Ausnahmen enthalte. „Damit sind Beschäftigte der Kirchen leider noch nicht umfassend vor Diskriminierungen geschützt.“ So könne zum Beispiel eine Krankenpflegerin, die in einem kirchlichen Krankenhaus arbeite, immer noch ihren Job verlieren, wenn sie aus persönlichen Gründen aus der Kirche austrete. „Ich sehe das als Eingriff in die Rechte der Beschäftigten und als Einfallstor für Diskriminierungen“, sagte Ataman.

Die Regierungsbeauftragte wie auch Gutachter Stein sprechen sich dafür aus, die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) festgeschriebene „Kirchenklausel“ so zu beschränken, dass die weitreichenden Ausnahmerechte für kirchliche Arbeitgeber nur für Beschäftigte im engsten Verkündigungsbereich gelten. Stein schlägt zudem vor, den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes auf kirchliche Einrichtungen auszudehnen.

Mehr: Vor- und Nachteile des Kirchenaustritts – und was er kostet



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Politik

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