Damit protestierten sie gegen den Antritt des linken Präsidenten. Sie halten die Wahlen für gefälscht und fordern einen Militärputsch, um Lula aus dem Amt zu entfernen.
Die Protestierenden hinterließen in den drei Stunden, in denen sie weitgehend ungestört agieren konnten, Spuren der Zerstörung: Auf dem Platz der drei Gewalten stürmten sie den Senat und das Abgeordnetenhaus, dann den Präsidentenpalast und zuletzt den Sitz des Obersten Gerichtshofs. Sie rissen Sitze aus den Verankerungen, zerschlugen Glasscheiben, zerstörten Computer. Auch Waffen sollen sie gestohlen haben.
Bei ihrem Verwüstungszug stießen die radikalisierten Anhänger Bolsonaros kaum auf Widerstand: Obwohl seit Tagen bekannt war, dass sie in Brasília gegen die Lula-Regierung protestieren würden, waren nur ein paar Hundert Soldaten der Nationalen Eingreiftruppe Força Nacional zum Schutz der Gebäude abgeordnet. Nur einige von ihnen setzten Tränengas ein oder versuchten, sich dem Ansturm entgegenzustellen. In den sozialen Medien gibt es Videos, in denen Sicherheitsbeamte zu sehen sind, die sich freundschaftlich mit den Angreifern unterhalten.
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Erst als Präsident Lula im Laufe des Sonntagnachmittags der Regierung des Hauptstadtdistrikts die Zuständigkeit für den Sicherheitsapparat entzog, agierte die Polizei schnell und konnte am frühen Abend wieder die Gebäude schützen. Bis zum 31. Januar hat nun die Zentralregierung in Brasília das Sagen.
Oberstes Gericht enthebt Gouverneur von Brasília zeitweise des Amtes
Der oberste Gerichtshof hat zudem Ibaneis Rocha, den Gouverneur Brasílias, für drei Monate seines Amtes enthoben. Rocha gilt als Bolsonaro-Alliierter und hatte sich schon bei gewaltsamen Ausschreitungen bei der Vereidigung Lulas vor drei Wochen sowie einem Attentatsversuch kurz vor dem Amtsantritt wenig engagiert bei der Verfolgung der Straftäter gezeigt.
Der brasilianische Präsident besuchte noch am Abend die Hauptstadt.
Lula war zum Zeitpunkt des Angriffs im Bundesstaat São Paulo unterwegs. Von dort aus verurteilte er die Vorkommnisse. Die Angreifer seien „Terroristen und Faschisten“, die von Bolsonaro angestachelt worden seien. Man werde jeden Einzelnen zur Rechenschaft ziehen, sagte Lula, der noch am Sonntagabend das verwüstete Regierungsviertel besuchte.
Daraufhin meldete sich von Florida Bolsonaro zu Wort. Er hatte Brasilien am 30. Dezember verlassen – womöglich, um nicht für eventuelle Ausschreitungen seiner Anhänger verantwortlich gemacht werden zu können. US-Politiker fordern deshalb bereits, den Ex-Präsidenten in Richtung Brasilien auszuweisen.
Der Rechtspopulist, der sich seit der Wahlniederlage vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, erklärte jetzt per Twitter, dass friedliche Demonstrationen Teil der Demokratie seien – relativierte jedoch gleichzeitig. „Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute, aber auch bei linken Protesten 2013 und 2017 stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter.“
Die neue Regierung hat offenbar noch nicht alle Teile des Sicherheitsapparates wieder unter ihre Kontrolle gebracht.
(Foto: via REUTERS)
Der Sturm auf das Regierungsviertel stellt die Regierung Lula vor eine erste schwere Bewährungsprobe: Denn es ist offensichtlich, dass der zivile Verteidigungsminister José Múcio noch keinen Schritt vorangekommen ist, die unter Bolsonaro an die Schalthebel der Macht aufgestiegenen Militärs in die Schranken zu weisen. Es ist zudem auffällig, dass die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus keine Stellungnahme zu den Ausschreitungen abgaben.
Militär unterstützt Bolsonaro-Anhänger offen
Wie stark weiterhin die Unterstützung für den Ex-Hauptmann Bolsonaro unter den Uniformierten ist, das ließ sich am Sonntag in Brasília beobachten: Nach den Ausschreitungen sammelten sich die Randalierer wieder vor der Garnison des Oberkommandos des Heeres in Brasília.
Dort kampieren sie seit der Verkündigung des Wahlergebnisses Ende Oktober in einer Art Mahnwache. Sie genießen offensichtlich die Solidarität der Militärs.
Als jetzt die Polizei das Camp der Bolsonaro-Unterstützer stürmen wollte, stellte sich eine Hundertschaft von Militärs mit gepanzerten Fahrzeugen zwischen die Sicherheitskräfte und die Randalierer, um diese zu schützen.
Im Kabinett Lulas hatte es in den vergangenen Wochen Auseinandersetzungen gegeben, wie die neue Regierung mit den Protesten umgehen solle: Justizminister Flávio Dino forderte die Auflösung der Camps, weil sie „Brutnester für Terroristen“ seien. Doch Verteidigungsminister José Múcio Monteiro konnte das bisher verhindern. Vermutlich, weil er keinen offenen Konflikt mit den Militärs provozieren wollte.
Auch Lula soll sich nach Medienberichten dagegen entschieden haben, den Ausnahmezustand auszurufen, weil dann automatisch das Militär zum Einsatz gekommen wäre – dessen Befehlsgehorsam nicht garantiert scheint.
Hohe Militärs, zum Teil Ex-Minister Bolsonaros, heißen die Proteste unverhohlen gut und unterstützen sie möglicherweise sogar. Der Reservegeneral Walter Braga Netto, Bolsonaros ehemaliger Leiter des Präsidialamts und dessen Vizekandidat im Wahlkampf, feuerte noch bis vor wenigen Tagen über Instagram die Protestler an.
Es wird sich in den nächsten Stunden und Tagen zeigen, ob und wie die Proteste landesweit weitergehen. In vier Bundesstaaten kam es erneut zu Straßensperren. Zudem hieß es zeitweise, dass auch Raffinerien des Staatskonzerns Petrobras angegriffen werden sollten.
Mehr: Brasiliens Präsident Lula verfällt in alte Muster – und versetzt die Wirtschaft in Sorge
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