Berlin Bei der Bestrafung von Angriffen auf Feuerwehrleute, Sanitäter oder Polizisten schöpfen die Gerichte nach Ansicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser den bestehenden Rechtsrahmen noch zu wenig aus. „Diejenigen, die uns schützen, die müssen sich auch auf den Staat verlassen können“, sagte die SPD-Politikerin bei der Jahrestagung des Gewerkschaftsdachverbands DBB Beamtenbund und Tarifunion in Köln.
Dass Rettungs- und Sicherheitskräfte gezielt in Hinterhalte gelockt und mit Schreckschusswaffen und Feuerwerkskörpern attackiert würden, wie in der Silvesternacht in Berlin, habe sie fassungslos und wütend gemacht, sagte Faeser. „Das werden wir als Staat nicht hinnehmen.“
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes würden zunehmend „Opfer immer brutalerer Gewaltexzesse“, beklagte DBB-Chef Ulrich Silberbach. Doch der Rechtsstaat beschränke sich vielfach darauf, die Personalien aufzunehmen; eine konsequente Strafverfolgung finde nicht statt. „Der Hohn der Straftäter klingt uns allen in den Ohren“, sagte Silberbach.
In der Silvesternacht war es in Berlin und anderen Städten zu Krawallen und Übergriffen auf Sicherheits- und Rettungskräfte gekommen. Seither wird darüber diskutiert, wie der Rechtsstaat mehr Härte zeigen kann und ob die Gewalt vor allem von migrantischen Milieus ausgeht.
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„Die Übergriffe auf staatliche Funktionsträger – ob Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste oder kommunale Beamte – sind vollkommen inakzeptabel und nehmen bedauerlicherweise seit Jahren zu“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, dem Handelsblatt.
Verschärfte Strafen zeigen bisher offenbar wenig Wirkung
Der bereits deutlich verschärfte Strafrahmen beeindrucke die Täterinnen und Täter allerdings offenbar nur wenig. Entscheidend sei, dass sie auch tatsächlich ermittelt, angeklagt und verurteilt würden. „Dafür müssen die Ressourcen bei Polizei und Justiz ausgeweitet werden“, betonte Landsberg. „Auch Videoüberwachung und Bodycams können einen wirksamen Beitrag leisten.“
Feuerwehrvideo zeigt Böllerbeschuss: „Wir sind fassungslos“
Schon 2017 hatte die Große Koalition die Strafen für Angriffe auf Polizisten verschärft und auch auf Rettungskräfte ausgedehnt. Tätern drohen bis zu fünf Jahre Haft. Sowohl der DBB-Chef als auch die Innenministerin sehen deshalb kein Gesetzgebungs-, sondern ein Vollzugsproblem – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Während Silberbach den Personalmangel und die schleppende Digitalisierung in Staatsanwaltschaften und Gerichten als Hauptgrund dafür sieht, dass Täter nicht konsequent genug verfolgt werden, würde Faeser sich wünschen, dass gerade im Jugendrecht der mögliche Strafrahmen auch stärker ausgeschöpft wird.
Aber auch auf Tempo komme es an. Nur eine schnelle Reaktion „schafft Respekt vor unserem Rechtsstaat“, sagte die Innenministerin. Als Beispiel nannte sie Heilbronn, wo ein 30-Jähriger, der in der Silvesternacht Polizisten attackiert hatte, zu neun Monaten Haft verurteilt worden war.
In Berlin hat die Polizei mittlerweile 22 Verfahren mit etwa zehn Verdächtigen an die Staatsanwaltschaften übergeben, wie Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses sagte. Nach derzeitigem Stand gebe es 49 Verfahren zu Angriffen auf Polizisten und 53 Verfahren wegen Attacken auf Feuerwehrleute.
Faeser äußerte sich auch zu der Frage, ob Gewalt und Angriffe auf Ordnungshüter verstärkt von Jugendlichen aus Einwandererfamilien ausgehen. „Wir haben in Großstädten ein Problem mit jungen Männern mit Migrationshintergrund“, sagte die Innenministerin. Das müsse man auch klar benennen können, ohne dass sofort der Vorwurf komme, Ressentiments zu schüren. Die Polizei müsse deshalb in Brennpunktvierteln Präsenz zeigen.
Auch Silberbach warnte davor, die Augen vor bestehenden Problemen zu verschließen. Wenn Gewalt in der Einwanderungsgesellschaft thematisiert werde, dürfe man nicht immer gleich die „Diskriminierungskeule“ schwingen. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will am Mittwoch bei einem sogenannten Gipfel gegen Jugendgewalt mit Akteurinnen und Akteuren aus Senat, Bezirken und Zivilgesellschaft sprechen.
Der DBB-Chef wünscht sich zudem, dass die Politik beim Thema Gewalt gegen Staatsdiener den gleichen Lösungs- und Umsetzungseifer zeigt wie beim Bestreben, Extremisten aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Innenministerin Faeser hatte dazu jüngst einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es leichter machen soll, über beschleunigte Disziplinarverfahren Reichsbürger oder andere Verfassungsfeinde aus dem Dienst zu entlassen.
Zwei von drei Bürgern halten den Staat aktuell für überfordert
Wer nicht mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung stehe, habe im Staatsdienst nichts zu suchen, betonte der Gewerkschafter. Gleichzeitig müsse man aber aufpassen, nicht den gesamten öffentlichen Dienst „wegen einzelner krimineller Extremisten unter Generalverdacht zu stellen“, sagte Silberbach.
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Insgesamt zeichnete der Gewerkschaftschef in Köln das Bild eines Staates, dessen Mitarbeiter an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit gingen, der aber trotzdem das Vertrauen der Bürger zu verlieren drohe. In der regelmäßig für den DBB erhobenen Forsa-Umfrage zum Bild des öffentlichen Dienstes in der Öffentlichkeit sahen zuletzt nur noch 29 Prozent der Bürger den Staat in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen. 66 Prozent halten ihn dagegen für „überfordert“.
Die Politik dürfe den Verwaltungen nicht im Schnellverfahren immer neue Aufgaben aufbürden, ohne für die entsprechende personelle und materielle Ausstattung zu sorgen. Als Beispiel nannte er die Wohngeldreform oder die Versteuerung der Gaspreisbremse, um die sich die Finanzverwaltung jetzt auch noch kümmern müsse.
Mehr: Beamtenbund-Chef zur 15-Prozent-Tarifforderung: „Die Lebenshaltungskosten sind dramatisch gestiegen“
<< Den vollständigen Artikel: Krawalle in Silvesternacht: Debatte um Vertrauensverlust des Staates: „Der Hohn der Straftäter klingt uns allen in den Ohren“ >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.