Berlin Die Antwort von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf die Frage, ob es eine Expertenkommission zur Zukunft der Kernkraftwerke in Deutschland geben werde, fiel klar und kurz aus: „Nein“, sagte der Grünen-Politiker am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Deutlicher hätte die Absage an die Adresse des Koalitionspartners FDP kaum ausfallen können.
Seit Tagen bekriegen sich Grüne und Liberale in Sachen Laufzeitverlängerung für die verbliebenen drei Kernkraftwerke in Deutschland. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte den Stein in der ersten Januarwoche ins Rollen gebracht: Er forderte, eine unabhängige Expertenkommission über eine weitere Laufzeitverlängerung der drei AKWs entscheiden zu lassen.
Wissing erhielt in den vergangenen Tagen Unterstützung aus der ganzen Partei, auch von FDP-Chef Christian Lindner. Und noch am Montag legten FDP-Politiker wie Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, nach: Es sei „dringend an der Zeit, die Ausstiegsreihenfolge in Deutschland neu zu diskutieren“, sagte er.
Die Kernkraft könne als Übergangstechnologie kurzfristig helfen, den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren. „Das Jahr 2023 könnte damit zum politischen Erfolgsjahr für die deutschen Ambitionen beim Klimaschutz werden. Für eine sachgeleitete Entscheidung braucht es deshalb die vorgeschlagene Expertenkommission zur Energieversorgung“, sagte Kruse.
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In der vergangenen Woche hatte der Thinktank Agora Energiewende vorläufige Zahlen zur deutschen CO2-Bilanz vorgelegt. Demnach verfehlte Deutschland seine Ziele im vergangenen Jahr trotz gesunkenen Energieverbrauchs. Als einer der Hauptgründe wird der verstärkte Einsatz von Kohlekraftwerken genannt.
Grünen sehen einen Weiterbetrieb kritisch
Die Debatte um die Atomkraft wird damit zum Dauerstreitthema der Ampelkoalition. Noch im Oktober hatte es für einen Moment so ausgesehen, als sei der Streit beigelegt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und Habeck kurzerhand angewiesen, alle drei verbliebenen Atomkraftwerke – die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland – bis zum 15. April 2023 weiterlaufen zu lassen.
Habecks Plan war ein anderer gewesen. Er hatte eine Lösung durchsetzen wollen, die viele Akteure überrascht hatte, auch die Betreiber der Atomkraftwerke selbst: Zwei der drei Meiler, nämlich die im Süden Deutschlands gelegenen Anlagen Isar 2 und Neckarwestheim 2, sollten im ersten Quartal 2023 noch im Standby-Modus zur Verfügung stehen und im Notfall eingeschaltet werden. Die Anlage in Emsland sollte am 31. Dezember außer Betrieb gehen. Doch Scholz hielt das für zu unsicher.
Für die Grünen ist der Weiterbetrieb bis zum 15. April eine politische Zumutung. Ein endgültiges Aus für die Atomkraft hat für die Partei hohen Stellenwert. Besonders die Parteibasis tat sich schwer damit, alle drei Meiler bis ins Frühjahr hinein laufen zu lassen. Habeck aber biss die Zähne zusammen und akzeptierte die Weisung des Kanzlers.
Doch jenseits der Kämpfe um energiepolitische Symbole gibt es eine energiewirtschaftliche Dimension: Ist das Stromversorgungssystem auch ohne die drei Atomkraftwerke robust genug? Dabei richten die Experten ihre Blicke insbesondere auf den Winter 2023/2024.
Der aktuelle Winter begann unter deutlich günstigeren Vorzeichen, bis in den August hinein strömte noch russisches Gas nach Deutschland. Das machte es nicht nur vergleichsweise leicht, die Gasspeicher zu füllen, sondern auch, die Gaskraftwerke zu versorgen. Für den nächsten Winter jedoch besteht diese Option nicht mehr. Es muss alles wie am Schnürchen laufen, wenn die Speicher gefüllt werden sollen. Insbesondere müssen noch mehrere LNG-Terminals in Betrieb gehen.
Gas-Versorgung auch in diesem Winter schwierig
Allerdings war es auch in diesem Winter bereits brenzlig. Das belegen Zahlen der Datenplattform „Smard“ der Bundesnetzagentur. Demnach sank am Nachmittag des 16. Dezember des vergangenen Jahres der Beitrag von Wind und Sonne zur Deckung der Stromnachfrage bis unter zwei Gigawatt (GW). Hinzu kamen nochmals etwa zwei GW aus Biomasse und Wasserkraft. Die Stromnachfrage bewegte sich an diesem Nachmittag zwischen 60 und 70 GW.
Mit anderen Worten: Der bei Weitem größte Anteil der Nachfrage musste über Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke gedeckt werden. Die Strompreise erreichten Werte von 560 Euro je Megawattstunde, angesichts von Gaspreisen in Höhe von 140 Euro je Megawattstunde war die Stromerzeugung aus Gas also sehr lukrativ.
Trotz der Gasmangellage waren deshalb über 19 GW Gaskraft in Betrieb – ein historischer Höchstwert, der allerdings dem politischen Ziel, die Gasvorräte zu schonen, zuwiderläuft. Obgleich der Verbrauch noch deutlich unter den Höchstwerten des Jahres 2022 lag, waren teilweise über fünf GW an Strom-Nettoimporten erforderlich, um die Nachfrage zu decken – mehr als die aktuell noch am Netz befindliche Leistung aus Kernkraft. Sie beläuft sich auf knapp vier GW.
>> Lesen Sie hier: Bundeswirtschaftsministerium will den Bau von Gaskraftwerken fördern
Christof Bauer, Energieexperte der TU Darmstadt, bewertet das als Alarmsignal und hält es daher für falsch, Atomkraftwerke aus dem System zu nehmen. „Zum ersten Mal haben wir am konkreten Ereignis gesehen, dass Deutschland bereits heute auf zuverlässige Lieferungen aus dem Ausland angewiesen ist – selbst wenn die Kälte noch relativ maßvoll und der industrielle Verbrauch aufgrund der Energiepreiskrise niedriger als normal ausfällt“, sagte Bauer, der auch dem Energieausschuss des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) angehört.
Dass das Ausland immer in diesem oder sogar in noch größerem Umfang aushelfen könne, sei keineswegs sicher. Es dürfe daher „kein einziges Kraftwerk mehr aus dem Markt genommen werden, ohne vorher für entsprechenden Ersatz durch anderweitige gesicherte Leistung zu sorgen“, sagte Bauer.
Mehr: Große Stromverbraucher sollen dauerhaft vor Preisrisiken geschützt werden
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