London/Brüssel Im lang andauernden Streit zwischen Großbritannien und der EU über die Handelsbeziehungen zu Nordirland nach dem Brexit gibt es Fortschritte. Nach einem Treffen des britischen Außenministers James Cleverly mit EU-Vizepräsident Maroš Šefčovič sprach die Regierung in London von einem „herzlichen und konstruktiven Treffen“. Grund für den Optimismus ist offenbar eine vorläufige Einigung über den Austausch von Daten zu Gütern, die von Großbritannien über die Irische See nach Nordirland verschifft werden.
London und Brüssel hatten sich im Austrittsabkommen 2019 auf das sogenannte „Nordirland-Protokoll“ geeinigt. Danach bleibt die nordirische Provinz faktisch Teil des EU-Binnenmarktes, um eine politisch heikle Zollgrenze zur Republik Irland zu vermeiden. Die konservative Regierung in London stellt das Abkommen jedoch seit dem vergangenen Jahr infrage, weil sie den Handelsverkehr mit Nordirland gefährdet sieht und von den London-treuen Unionisten in der Provinz politisch unter Druck gesetzt wird.
Die Democratic Unionist Party (DUP), die größte Partei der nordirischen Protestanten, befürchtet eine schleichende Abkoppelung Nordirlands vom Königreich und eine Wiedervereinigung Irlands.
„Eine entscheidende Voraussetzung für den Aufbau von Vertrauen“
Die EU hat in den vergangenen Monaten bereits den Kontrollaufwand für den Warenverkehr reduziert. Das reichte den Briten jedoch nicht, und sie brachten daraufhin einen Datenaustausch ins Gespräch, um eine beschleunigte Abfertigung („Express-Lane“) für jene Güter zu erreichen, die in Nordirland verbleiben. London ist nun willens, Echtzeit-Informationen über den Warenfluss nach Nordirland mit Brüssel zu teilen, und die EU ist bereit, die britischen Daten zu nutzen.
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Das Computersystem wirkt wie eine technische Kleinigkeit zwischen den großen Fragen der nationalen Souveränität Großbritanniens und der Kontrolle der EU über ihren eigenen Binnenmarkt. Es spielte in den Verhandlungen jedoch immer wieder eine bedeutende Rolle. Die Briten hatten zugesagt, dass das System ab Anfang 2022 einsatzbereit sei.
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Allerdings schienen sich die Briten dann gar nicht mehr darum zu bemühen, es auch aufzusetzen. Beamte der EU-Kommission deuteten das so, dass die damalige Regierung unter Boris Johnson an einer guten Zusammenarbeit nicht interessiert sei. Entsprechend erschien es ihnen zunehmend sinnlos, den Briten irgendwelche Zugeständnisse zu machen.
Das hat sich nun offenbar geändert. Beide Seiten stellten fest, dass der Datenaustausch „eine entscheidende Voraussetzung für den Aufbau von Vertrauen und die Schaffung von Sicherheit sei und eine neue Grundlage für die Gespräche zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich darstelle.“ Die Gespräche sollen am 16. Januar in Brüssel fortgesetzt werden.
Zum Stimmungsumschwung beigetragen hat offenbar auch der Regierungswechsel in London. Weder Boris Johnson noch seine Nachfolgerin Liz Truss waren bereit, nach einer pragmatischen Lösung des Nordirland-Streits zu suchen. Truss brachte Mitte 2022 sogar ein Gesetz auf den Weg, das es britischen Ministern erlauben würde, Regelungen des Nordirland-Protokolls einseitig aufzukündigen. Erst seit der jetzige Premier Rishi Sunak im Oktober die Regierungsgeschäfte übernahm, stehen die Zeichen auf Entspannung.
Es bleiben noch große Stolpersteine
Sunak hält offiziell zwar an der Drohung fest, den Vertrag mit Brüssel notfalls zu brechen, bemüht sich aber gleichzeitig um eine pragmatische Lösung des Konflikts. „Ich will das in Ordnung bringen, und dafür setze ich mich konstruktiv mit unseren europäischen Partnern ein, und ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden können“, sagte Sunak kurz vor Weihnachten.
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Grund für den Kurswechsel ist auch die veränderte geopolitische Lage: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäischen Demokratien enger zusammenrücken lassen. Zugleich drängt US-Präsident Joe Biden London, bis zum 25-jährigen Jubiläum des Friedensabkommens für Nordirland am Karfreitag 2023 eine Einigung mit der EU zu finden.
Trotz der Fortschritte ist der Nordirland-Streit noch ein gutes Stück von einer Lösung entfernt. Zu den wichtigsten Streitfragen gehört die Frage, ob der Europäische Gerichtshof weiterhin für Streitfragen im Handelsverkehr mit Nordirland zuständig bleiben soll. Die Briten sind dagegen, die EU ist dafür.
Außerdem ist es fraglich, ob die protestantischen Unionisten in Nordirland einem Kompromiss zustimmen. Bislang blockieren sie aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll eine Regierungsbildung im Regionalparlament in Belfast. Und auch der britische Premier Sunak muss die harten Brexit-Befürworter in seiner Partei noch von seinem pragmatischen Kurs gegenüber Brüssel überzeugen.
Mehr: Großbritannien verfehlt eigene Ziele bei Handelsverträgen nach Brexit.
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