Berlin Wasserstoff soll den Weg zur Klimaneutralität ebnen. Doch er kann selbst auch eine stark klimaschädigende Wirkung entfalten, wenn er unkontrolliert entweicht. Das erhöht die Anforderungen an den geplanten Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur, weil selbst kleine Leckagen enorme Folgen für das Klima haben können.
Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sagte dem Handelsblatt, dass bei Wasserstoffanwendungen Dichtigkeit „eine zentrale Rolle“ spiele. Er sehe mit Blick auf den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur ein Forschungsthema. Bei der „weltweit neuen Technologie“ würde es viele neue Prozesse und Transportvorgänge geben und es sollte „schon bei der Planung vorgesorgt werden“, sagte Wenzel.
Ohne Wasserstoff lässt sich Klimaneutralität nicht erreichen. Überall dort, wo Strom aus erneuerbaren Quellen nicht direkt eingesetzt werden kann, stellt klimaneutraler Wasserstoff das Mittel der Wahl dar.
Das gilt etwa für bestimmte Prozesse in der Industrie, aber nach heutigem Stand der Technik auch im Schiffs-, Schwerlast- und Flugverkehr. Der Einstieg in die Produktion von klimaneutralem Wasserstoff und der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur gehören daher zu den zentralen energie- und klimapolitischen Zielen der Ampelkoalition.
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Außerdem sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, aus aller Welt klimaneutralen Wasserstoff zu importieren. Parallel wird auf europäischer Ebene an dem Aufbau einer länderübergreifenden Wasserstoffinfrastruktur gearbeitet.
Gibt es Gefahren fürs Klima?
Herzstück dieser Infrastruktur soll ein europäischer „Wasserstoff-Backbone“ werden, dessen Leitungen sich nach den Vorstellungen der beteiligten Unternehmen bereits 2030 über eine Länge von 27.000 Kilometern erstrecken sollen.
Doch birgt die Wasserstoffinfrastruktur Gefahren fürs Klima? In jüngster Zeit häufen sich wissenschaftliche Studien, in denen auf die klimaschädigende Wirkung von Wasserstoff hingewiesen wird, wenn dieser unkontrolliert entweicht.
Der Wasserstoff selbst hat zwar keine direkt klimaschädigende Wirkung. Es gibt aber indirekte Effekte: In der Atmosphäre reagiert er mit Hydroxid-Molekülen zu Wasser, sodass weniger Hydroxid für Reaktionen mit Treibhausgasen vorhanden ist. Dadurch steigt der Ozongehalt in der Atmosphäre, auch das äußerst klimaschädliche Methan wird langsamer abgebaut.
Das Resultat ist erschreckend. „Die indirekte Klimawirkung von Wasserstoff ist auf einen Zeitraum von 20 Jahren um den Faktor 33 höher als die Klimawirkung von Kohlendioxid“, sagt etwa Andrea Lübcke von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Aktuelle Studien halten sogar noch höhere Werte für möglich, weisen aber auf große Differenzen je nach Berechnungsansatz hin.
Damit wachsen die Anforderungen an die künftige Wasserstoffinfrastruktur. Die Betreiber der Gasnetze sehen sich dafür gewappnet. Sie wollen die bestehenden Gasleitungen für eine Wasserstoffnutzung fit machen.
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Technische Untersuchungen der Branche hätten ergeben, dass bestehende Erdgasleitungen zum überwiegenden Teil auch für den Transport von Wasserstoff genutzt werden könnten, heißt es beim Verband FNB Gas, in dem sich die Betreiber der Gasfernleitungsnetze zusammengeschlossen haben. „Als zukünftige Transporteure von Wasserstoff sind wir uns der Verantwortung für die Sicherheit unserer Anlagen und den Klimaschutz bewusst“, heißt es bei dem Verband weiter.
Unternehmen müssen auf Methanleckagen prüfen
Aufgrund der sicherheitsrelevanten Eigenschaften von Wasserstoff, etwa seiner Neigung zur Selbstentzündung und der kaum sichtbaren Flammen, werde man „die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Systemsicherheit und Vermeidung von Leckagen ergreifen“.
Die indirekte Klimawirkung von Wasserstoff ist auf einen Zeitraum von 20 Jahren um den Faktor 33 höher als die Klimawirkung von Kohlendioxid. Andrea Lübcke von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech)
Die bisherigen Untersuchungen an umgestellten Erdgasanlagen hätten gezeigt, dass Anlagen, die kein Erdgas emittierten, auch keinen Wasserstoff emittierten. „Die Molekülgröße spielt hierbei keine Rolle. Der grundsätzlich mögliche Diffusionsprozess des Wasserstoffs durch verschweißte Stahlleitungen ist nur unter Laborbedingungen und mit hochsensiblen Messinstrumenten überhaupt nachweisbar und spielt in Bezug auf Sicherheit oder Klimawirkung keine Rolle“, heißt es beim FNB Gas. Wasserstoff ist das kleinste Element des Periodensystems.
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Die Debatte über Leckagen ist für die Gasnetzbetreiber nicht neu. Erst Ende Dezember vergangenen Jahres hatten sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine Regulierung zur Begrenzung von Methanemissionen in der Öl- und Gasbranche verständigt.
Die Unternehmen werden verpflichtet, ihre Anlagen regelmäßig auf Methanleckagen zu überprüfen und zu reparieren. Zuvor hatten Umweltschutzorganisation erheblichen Druck aufgebaut und vor den Klimarisiken gewarnt, die von unkontrollierten Methanemissionen ausgehen.
Das könnte sich mit Blick auf Wasserstoffleckagen ähnlich entwickeln. „Die Tragweite des Leckageproblems mit Blick auf die Wasserstoffinfrastruktur ist noch gar nicht richtig erfasst. Wenn Erdgasleitungen auf Wasserstoffnutzung umgestellt werden, entstehen neue Probleme“, sagte Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
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