Stockholm, Brüssel Schweden übernimmt für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft – und in Brüssel wächst die Unruhe. Was die EU umtreibt, ist die starke Position der Schwedendemokraten. Seit den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst ist die neue Mitte-rechts-Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson von der Unterstützung der Rechtsextremen abhängig. Und diese aus der Neonaziszene hervorgegangene Partei befindet sich auf Kollisionskurs zu den Zielen der EU, vor allem was die Themen Migration und Rechtsstaatlichkeit betrifft.
Die Schwedendemokraten, die immerhin auf 20 Prozent der Stimmen bei den Wahlen kamen und damit zur zweitstärksten politischen Kraft im Land wurden, sind zwar nicht Teil der Regierung. Sie haben aber gemeinsam mit der Koalition aus Konservativen, Liberalen und Christdemokraten ein gemeinsames Regierungsprogramm erarbeitet.
Keine gute Ausgangslage für den geplanten Asyl- und Migrationspakt, der in den kommenden Monaten mit den EU-Partnern ausgehandelt werden soll. Der Vorsitzende der Schwedendemokraten, Jimmie Akesson, spricht von „destruktiver Migrationspolitik“ und „Masseneinwanderung“, die sein Land seit langer Zeit zugelassen habe. Das müsse beendet werden, denn es habe nur zu „Segregation, Parallelgesellschaften und kultureller Belastung“ geführt.
Eine Lösung hat er auch parat: „Eine entscheidende Maßnahme ist, die Asyleinwanderung aus Ländern, die nicht in unserer Nähe liegen, zu stoppen.“ Sollte sich diese Haltung durchsetzen, hätte Kristersson ein Problem. Denn sein Koalitionspartner, die Liberalen, sperrt sich vehement gegen eine Verschärfung der Asylregeln.
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Regierungschef Kristersson versucht, alle Bedenken zu zerstreuen. „Wir sind eine proeuropäische Regierung, eine Pro-Nato-Regierung, eine protransatlantische Regierung. Wir sind eine Pro-ganz-schön-viele-Sachen-Regierung“, unterstrich er im Dezember. Forderten die Schwedendemokraten bis vor einigen Jahren tatsächlich den Austritt aus der EU, sind sie heute EU-kritisch, aber nicht mehr gegen die Mitgliedschaft.
Dass die EU sich in diesem Halbjahr auf eine funktionierende gemeinsame Migrationspolitik einigt, gilt als unrealistisch. Doch die Diskussionen darüber haben begonnen, und die Schweden haben klare Vorstellungen dazu, vor allem was die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern angeht: Die EU belohne die Kooperation, setze aber zu wenig auf Zwang, sagte Schwedens EU-Botschafter Lars Danielsson kürzlich in Brüssel. Wörtlich sprach er von „carrots and sticks“, von „Zuckerbrot und Peitsche“.
Die Schweden wollen anderen Ländern also verstärkt drohen und damit Kooperation bei Migrationsfragen erreichen. Als Druckmittel nannte Danielsson die Bedingungen für die Visavergabe und Handelserleichterungen, die für Entwicklungsländer Ausfuhren in die EU vereinfachen. Wenn diese Handelserleichterungen wegfallen, kann das für die betroffenen Länder einen ökonomischen Rückschlag bedeuten. Erreicht werden soll damit, dass mehr Länder die Ausreise Richtung EU verhindern und bei Abschiebungen kooperieren.
Die Migrationspolitik ist nicht das einzige Feld, bei dem Schweden die Vorhaben der EU bremsen könnte. Wie reagiert die EU etwa darauf, dass die USA massiv Subventionen in Zukunftstechnologien pumpen? Möglich wäre eine Lockerung der EU-Regeln. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni will aber weitergehen und einen neuen Fonds auf EU-Ebene einsetzen, der über eigene Schulden Investitionen in die Wirtschaft finanziert.
„In diesem Halbjahr entscheidet sich, wie stark die EU ihre Wirtschaft im Rennen um Zukunftstechnologien unterstützt“, sagt Fabian Zuleeg, Chef des European Policy Centre. „Schweden lehnt solche Initiativen normalerweise eher ab.“
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Das Land ist Teil einer Vierergruppe, die innerhalb der EU besonders auf Haushaltsdisziplin dringt. Gemeinsam mit Dänemark, Österreich und den Niederlanden wehrte sich Schweden schon in der Coronakrise gegen eine gemeinsame Schuldenaufnahme. „Wenn es um neue Ausgaben geht, gehört Schweden immer zu den sparsamsten EU-Staaten.
Das könnte auch relevant werden, wenn es zum Beispiel um Geld für den Wiederaufbau der Ukraine geht“, sagt Zuleeg. Bislang gibt es in Schweden allerdings keinerlei Anzeichen für ein Zurückfahren der Ukrainehilfen. In diesem Punkt sind sich alle Parteien einig.
Und dann ist da noch die angestrebte Nato-Mitgliedschaft. Bislang wird sie von der Türkei blockiert, da Schweden und Finnland nach Meinung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht genug für die Bekämpfung von Terrorismus tun. So fordert die Türkei unter anderem die Auslieferung von nach Schweden geflohenen Mitgliedern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, PKK.
Schwedens Regierungschef Kristersson gab am vergangenen Sonntag fast schon resigniert zu, dass die Türkei „Dinge haben will, die wir nicht geben können oder wollen“. Und: „Wir sind davon überzeugt, dass die Türkei die Ratifizierung beschließen wird, wir wissen nur nicht, wann.“
Es wird also ein turbulentes europäisches Halbjahr für Schweden, das an diesem Donnerstag und Freitag mit einem Treffen im Polarkreis beginnt: Die gesamte EU-Kommission mit Vertretern aus 27 Ländern, die schwedische Regierung sowie das Königspaar treffen sich im frostigen nordschwedischen Kiruna. Tatsächlich kommt dem skandinavischen Land durch die EU-Ratspräsidentschaft eine gewichtige Führungs- und Vermittlerrolle in Brüssel zu.
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