Jan 12, 2023
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Brasilien: Unternehmer entziehen Bolsonaro das Vertrauen

Written by Alexander Busch


Sao Paulo Der neue Präsident Luiz Inácio Lula da Silva räumt auf. 700 Verdächtige befinden sich nach der Erstürmung von Brasiliens Regierungsviertel durch radikale Anhänger des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro in Gewahrsam, gegen den Chef der nationalen Militärpolizei und den Sicherheitschef der Hauptstadt Brasilia wurden Haftbefehle erlassen.

Könnte Bolsonaro versuchen, seine Anhänger noch einmal zu mobilisieren? Die Finanzmärkte haben ihre Antwort schon gegeben: von Panik keine Spur. Die Börse legt seit Tagen zu, es gab keine Devisenabflüsse. Und das, obwohl es in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas am Wochenende zeitweise so aussah, als drohe ein Putsch. Auch die jüngste Ankündigung des Ex-Präsidenten, vorzeitig aus Florida in seine Heimat zurückzukehren, scheint niemand als Alarmsignal zu deuten.

Die zunehmende Radikalität der Anhänger Bolsonaros hat zu einem paradoxen Effekt geführt: Die Unternehmerschaft und Investoren schließen die Reihen hinter dem sozialistischen Präsidenten Lula – den viele noch im Wahlkampf vor zwei Monaten für unwählbar hielten. So verurteilten die brasilianischen Spitzenverbände der Industrie, der Banken und vieler Branchen einstimmig die gewalttätigen Aktionen in der Hauptstadt Brasilia.

Beispiel Klaus Friedrich Hepp: Der Unternehmer leitet das brasilianische Tochterunternehmen der mittelständischen deutschen Vulkan Gruppe im Inland des Bundesstaats São Paulo. Vor der Wahl hatte sich Hepp im Gespräch mit dem Handelsblatt skeptisch über Lulas Wirtschaftskompetenz geäußert. Er traute Bolsonaro eher zu, die Wirtschaft zu führen. Der Mittelständler beschäftigt rund 250 Mitarbeiter und beliefert die Industrie Lateinamerikas mit Kupplungen, Bremsen und Rücklaufsperren für industrielle Antriebe.

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Die Korruptionsaffären Lulas aus der Vergangenheit schreckten ihn ab. Doch nach den Wahlen und den Ausschreitungen vom Wochenende habe er sich gefragt: „Habe ich mich geirrt? Ist Lula nicht vielleicht doch das kleinere Übel?“ Enttäuscht sei er vom unverantwortlichen Verhalten Bolsonaros nach den Wahlen und den absurden monatelangen Mahnwachen seiner Anhänger.

Bolsonaro nicht mehr akzeptabel

Die Ausschreitungen hätten nun endgültig erwiesen, dass Bolsonaro „nicht mal im Ansatz akzeptabel ist als politische Alternative für Brasilien“. Wer heute noch zu Bolsonaro stehe, sei ein Extremist. Für eine Rechts-Mitte-Mehrheit ohne Bolsonaro gebe es nun eine echte Chance. Lula habe nach dem Putschversuch besonnen reagiert.

Bolsonaro-Anhänger stürmen Kongressgelände

Rund 3000 Menschen waren offiziellen Angaben zufolge an dem Angriff beteiligt.



(Foto: dpa)

Hepp sieht nun eine Chance für einen gesellschaftlichen Konsens, der die Demokratie stabilisiere. „Möglicherweise erhöhen die Vorgänge vom Wochenende die politische Stabilität“, sagt er. „Das könnte Brasilien für ausländische Investoren attraktiver machen.“

>> Lesen Sie hier: Nach Sturm auf Regierungsviertel misstraut Präsident Lula dem Militär

Auch Detlef Dralle ist erleichtert über die jüngsten Entwicklungen. Bolsonaro sei nun endgültig diskreditiert, sagt der Chef des Hochtief-Nachfolgers HTB, eines zur Bremer Zech Group gehörenden Baukonzerns. „Alle Gemäßigten, die für Bolsonaro gestimmt haben, hat er jetzt verloren.“ Kein Unternehmer werde mehr öffentlich hinter Bolsonaro stehen.

Er fürchtet dennoch eine abschreckende Wirkung auf Mittelständler, die eigentlich jetzt in Brasilien investieren wollten – die Brasilienskeptiker in den Firmenzentralen erhielten nun wieder Aufwind. Dralle selbst erwartet aber keine Probleme für sein Unternehmen: HTB ist derzeit an 23 Flughafenprojekten beteiligt, bei sechs Flughäfen baut der Konzern bereits mit.

Ausschreibungen für Infrastrukturprojekte wie Straßen, Schienen oder eben Flughäfen werde es auch unter dem Sozialisten Lula weiter geben. Schwieriger werde es für private Unternehmen, in den staatlich dominierten Branchen wie Öl und Gas, Wasser und Abwasser zu investieren. Sebastian Lueth kennt als brasilianischer Managing Director der Hamburger Helm AG, die in Brasilien unter anderem Pflanzenschutzmittel vertreibt, eine Unterstützergruppe Bolsonaros besonders gut: die Farmer.

Lula gewinnt mit einer Personalie die Bauern für sich

Die Mehrheit der brasilianischen Landwirte wählte den Rechtspopulisten. Auch bei den Krawallen sollen Unternehmer aus der Landwirtschaft gemeinsam mit Spediteuren eine dominierende Rolle gespielt haben. Der mächtige Verband der Sojaproduzenten Aprosoja und der konservative Landwirtschaftsverband CNA konnten sich bis Mittwoch nicht dazu durchringen, die Ausschreitungen zu verurteilen.

>> Lesen Sie hier: US-Politiker fordern Ausweisung Bolsonaros nach Brasilien

Dennoch: Lueth stellt bei seinen Gesprächen mit Kunden fest, dass die ehemals glühenden Anhänger Bolsonaros inzwischen ruhiger geworden sind: „Ich höre von kaum jemandem, dass er Bolsonaro nachtrauert.“ Bauern seien in Brasilien traditionell konservativ, würden aber vom Staat nicht viel erwarten. Sie seien erfolgreich, trotz der Regierung. Positiv überrascht sei die Branche sogar von der Auswahl der Minister für Landwirtschaft. Lula hat mit Carlos Fávaro einen prominenten Vertreter der Landwirte ernannt.

Auch in anderen Bereichen der Wirtschaft versucht Lula derzeit, durch Personalentscheidungen Sympathien der Unternehmen zu gewinnen. In den ersten Wochen nach der Wahl waren die Manager und Investoren von Lulas Plänen für die Wirtschaft enttäuscht – und sind es prinzipiell immer noch: Lula will den Staat wieder in den Mittelpunkt der Wirtschaft stellen.

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Wachsende Defizite sollen mit Schulden finanziert werden. Industriepolitisch will die Regierung wieder Branchen wie Öl und Gas beleben, was schon vorher fehlgeschlagen ist und in einem gigantischen Korruptionsskandal mündete.
Doch auch gegenüber der Wirtschaft reagierte Lula pragmatisch und berücksichtigte die Sorgen der Investoren. Nach den ersten negativen Reaktionen stellte Lula dem linken Finanzminister Fernando Haddad zwei konservative Minister zur Seite: Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Simone Tebet übernimmt das Planungsministerium, der vierfache Gouverneur São Paulos und Lulas Vizepräsident Geraldo Alckmin führt künftig das Industrieministerium.

„Konsens herstellen“

Lula könne es sich nach den Vorgängen vom Wochenende gar nicht leisten, eine radikale Politik nur für seine Anhänger zu machen, meint Mittelständler Hepp. „Er muss jetzt einen Konsens herstellen.“ Ähnlich sieht das auch der Emerging-Markets-Investor Mark Mobius: „Ich denke, das Ergebnis ist gar nicht so schlecht“, sagte Mobius, der seit vielen Jahren in Brasilien investiert. „Lula kann nun mehr Aufmerksamkeit bekommen, um die Menschen zu vereinen.“

Auch die Risikoagentur Moody’s bleibt vorsichtig optimistisch. „Die politischen Spannungen und die Polarisierung werden eine Herausforderung für die neue Regierung bleiben“, sagt Samar Maziad, Sovereign Risk Analyst. „Wir erwarten aber nun eine breite wirtschaftliche und institutionelle Stabilität.“

Mehr: Sturm auf das Regierungsviertel: Was das Chaos in Brasilien für die Wirtschaft im Land bedeutet



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Politik

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