Berlin Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Räumung des Braunkohledorfs Lützerath hat der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Fiedler, die nordrhein-westfälische Landesregierung scharf kritisiert. „Lützerath ist längst zu einem Symbol für einen falschen Umgang mit fossilen Energieträgern geworden“, sagte Fiedler dem Handelsblatt.
„Das zu ignorieren und nicht zu erkennen, dass die Zeit für ein Moratorium überfällig war, ist kaum nachvollziehbar.“ Schließlich habe das alles auch Auswirkungen auf die innere Sicherheit.
Tausende von Polizisten aus ganz Deutschland könnten ihrer wichtigen Arbeit nicht nachgehen, weil sie die Rechte des Energiekonzerns RWE durchsetzen müssten. Aus Fiedlers Sicht ist es für ein Räumungsmoratorium noch nicht zu spät. „Auch RWE wäre diesbezüglich gut beraten.“ Der SPD-Politiker begründete dies mit wissenschaftlichen Gutachten, wonach ein Abbau der Braunkohle für die Versorgungssicherheit nicht nötig sei.
Die Polizei hatte am Mittwochmorgen mit der Räumung der von Aktivisten besetzten Ortschaft Lützerath am Niederrhein westlich von Köln und Düsseldorf begonnen – und war dabei auf teils heftigen Widerstand gestoßen. Nach Angaben der Beamten wurden zu Beginn des Einsatzes vereinzelt Molotowcocktails, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Einsatzkräfte geworfen.
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Fiedler verurteilte die Gewalt gegen Einsatzkräfte scharf. „Wer sich hieran beteiligt, verlässt den Rahmen unseres demokratischen Rechtsstaats und diskreditiert die guten und richtigen Anliegen all derjenigen, die sich für den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt engagieren“, sagte er. „Wer Molotowcocktails wirft, nimmt in Kauf, dass dabei Menschen sterben.“
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Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic äußerte Kritik. „Bei allem Verständnis für legitimen und demokratischen Protest: Polizistinnen und Polizisten dürfen nicht Projektionsfläche für Wut und Unzufriedenheit der Demonstranten sein“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion dem Handelsblatt.
Innenministerin Faeser hat „null Verständnis für Gewalt“
So bedauerlich es sei, aber RWE habe nun mal einen gerichtlich festgestellten Rechtsanspruch auf das Abbaggern der unter Lützerath liegenden Kohle, so die Grünen-Politikerin. Und die Polizei müsse geltendes Recht umsetzen. „Es ist schlimm, wenn sich ihnen gegenüber Gewalt entlädt.“
Hintergrund der Räumung ist ein im vergangenen Oktober von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) und RWE-Chef Markus Krebber vorgelegter Plan, nach dem der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleenergie in NRW bereits 2030 erfolgen soll und damit acht Jahre früher als ursprünglich geplant.
Kurzfristig soll aber angesichts der Energiekrise infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine mehr Kohle abgebaggert werden. Lützerath müsse weichen, um den Bedarf zu decken, betonte RWE und rief die Besetzer zu Gewaltlosigkeit auf. Der Energieriese will nun um das Gelände einen insgesamt gut anderthalb Kilometer langen Zaun errichten, das Dorf soll abgerissen werden.
Die Grünen sind gespalten über die Räumung des rheinischen Braunkohleorts. Auch Mitglieder der Grünen Jugend protestieren vor Ort.
Die Bundesregierung verteidigte die Räumung des Braunkohledorfs ebenfalls mit dem Hinweis auf die „eindeutige Rechtslage“. Die letzten noch anhängigen Klagen gegen einen Abriss Lützeraths zur Kohlegewinnung seien abgewiesen worden, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. „Insofern erwartet die Bundesregierung, dass das Recht eingehalten wird.“ Zugleich betonte Hebestreit, dass die Bundesregierung Gewaltakte von Klimaaktivisten gegen Polizisten aufs Schärfste verurteile. „Dafür haben wir kein Verständnis.“
Polizeigewerkschaft zieht ein positives Zwischenfazit
Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) fand zu den Formen des Widerstands deutliche Worte. „Wer brennende Barrikaden errichtet oder sich in wackligen Baumhäusern versteckt, bringt sich selbst und die Einsatzkräfte in große Gefahr“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Das ist verantwortungslos.“ Sie habe „null Verständnis für Gewalt – und null Verständnis dafür, politische Fragen auf dem Rücken von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auszutragen“, betonte die Innenministerin.
Die Vizechefin der Unions-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sprach mit Blick auf Lützerath von „brandgefährlichen Angriffen auf unseren demokratischen Rechtsstaat“. Die gewalttätigen Demonstranten verdienten „kein Verständnis, sondern die Staatsanwaltschaft und zügige Urteile“, sagte Lindholz dem Handelsblatt. Zugleich nannte Lindholz es „unerträglich, wie nun versucht wird, der Polizei die Verantwortung für die Gewalt in die Schuhe zu schieben“.
Die Polizei räumt das angrenzende Lützerath von Klimaaktivisten.
Der Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, hatte zuvor schwere Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte erhoben. Er habe selbst erlebt, wie am Mittwochmorgen „Dutzende Hundertschaften von Polizisten brutal auf das Gelände gestürmt sind und Demonstranten mit Hieben und Tritten angegriffen haben“, sagte Dzienus der „Rheinischen Post“. Die Gewalt sei „eindeutig“ von der Polizei ausgegangen.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft zog indes ein positives Zwischenfazit. Gewerkschaftschef Rainer Wendt erklärte, das Konzept der Polizei für den Einsatz sei bislang aufgegangen. Gezielte Kommunikation habe zur Deeskalation der Lage beigetragen.
Mehr: „Die richtige Auseinandersetzung am falschen Ort“ – Lützerath bringt Grünen-Spitze in Erklärungsnot
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