Berlin Im Bundestag ist eine Debatte darüber entbrannt, inwieweit die deutschen Geheimdienste für die aktuellen Herausforderungen ausreichend gewappnet sind. Der Vizevorsitzende des Geheimdienstgremiums im Bundestag, Roderich Kiesewetter (CDU), äußerte massive Zweifel und forderte eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Auch in der Ampelkoalition gibt es Forderungen nach einer Stärkung der Dienste.
Kiesewetter sagte dem Handelsblatt: „Unsere eigenen Dienste sind offensichtlich nicht ausreichend leistungsfähig, zumal wir mit neuen Bedrohungen im Rahmen des hybriden Kriegs gegen Deutschland konfrontiert sind.“ Deutschland sei bei der Nachrichtengewinnung „vielfach von den USA abhängig“.
Die Abhängigkeit zeigte sich zuletzt im Fall der mutmaßlichen islamistischen Terrorplaner von Castrop-Rauxel in Nordrhein-Westfalen. Der entscheidende Hinweis für die Festnahme der zwei verdächtigen Iraner war nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf von einer US-Sicherheitsbehörde gekommen.
Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sieht auch „eine Stärke moderner demokratischer Sicherheitsbehörden“ in solchen Hinweisen. „Denn sie arbeiten nicht rein nationalstaatlich orientiert, sondern wertebasiert kooperativ mit befreundeten Nationen zusammen“, sagte der Vorsitzende des Geheimdienstgremiums dem Handelsblatt.
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Zugleich zeigte er sich angesichts der veränderten Sicherheitslage durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine offen für Verbesserungen bei der Spionage- und Sabotageabwehr. „Die Dienste und die parlamentarische Kontrolle müssen vor diesem Hintergrund gestärkt werden“, sagte von Notz.
Verfassungsschützer fordert Stärkung der gesamten deutschen Sicherheitsstruktur
Ähnlich äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner. „Wir müssen den Diensten mehr Möglichkeiten geben – aber nur, wenn die strikte parlamentarische Kontrolle mithält“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Dienste müssten sich weiterentwickeln, um mit dem Gegner mitzuhalten.
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Der CDU-Abgeordnete Kiesewetter plädierte für eine bessere Ausstattung der Geheimdienste. Künftig müsse eine „Bedrohungsgesamtrechnung“ aufgestellt werden, aus der Ableitungen zum Schutz der Gesellschaft getroffen werden, sagte er.
„Dabei müssen wir die strukturelle, finanzielle wie personelle Ausstattung der Nachrichtendienste und die Gesetzeslage an die breitere Bedrohungslage anpassen.“ Dies betreffe etwa technische Fähigkeiten und Aufklärungstools insbesondere im Bereich der Überwachung von Finanzströmen.
Auch der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, sieht Handlungsbedarf. „In Deutschland habe ich zunehmend den Eindruck, dass wir mehr mit Kontrollpflichten und Berichten als mit unserer eigentlichen Aufgabe der Gefahrenabwehr und Aufklärung von Gefahren beschäftigt sind“, sagte Kramer dem Handelsblatt. „Das Misstrauen in die Arbeit der Behörden steht an erster Stelle, und das ist keine gesunde Einstellung und Basis für eine erfolgreiche Verteidigung unserer Sicherheit.“
Kramer mahnte, die Vorgaben für die Nachrichtendienste angesichts der aktuellen Bedrohungslagen „dringend“ zu überdenken. Eine Kooperation mit ausländischen Partnerdiensten setze auch immer voraus, dass man Informationen austauschen könne und nicht nur abgreife. „Insofern tut eine Stärkung unserer gesamten Sicherheitsstruktur und damit auch der Nachrichtendienste not.“
Experte: Deutsche Sicherheitsbehörden fast zu 100 Prozent von NSA und CIA abhängig
Sicherheitsexperten sehen schon lange die Problematik, dass Deutschland im Kampf gegen Terroristen im eigenen Land sehr stark auf die Vereinigten Staaten angewiesen ist. „Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass in Deutschland mehr größere Anschläge passiert wären, wenn wir nicht die Informationen von den Amerikanern bekommen hätten“, sagte der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College dem RND.
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Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) konstatierte bereits im September 2021: „Alle größeren Anschlagspläne der letzten 20 Jahre wurden nach ersten Hinweisen der USA vereitelt.“ In der Nachrichtengewinnung seien die deutschen Sicherheitsbehörden fast zu 100 Prozent von den US-Nachrichtendiensten NSA und CIA abhängig, sagte Steinberg damals dem „Tagesspiegel“.
Der Thüringer Verfassungsschützer Kramer hält die Analyse für falsch. Dies decke sich „nicht mit meinen Erfahrungen der letzten Jahre und würdigt die Arbeit der deutschen Dienste unsachlich herab“, sagte er. „Wir haben unsere Fähigkeiten, leisten unseren Beitrag und brauchen uns nicht zu verstecken“, betonte der Behördenchef.
Gleichwohl stehe es außer Frage, „dass es Luft nach oben gibt und wir mehr machen könnten, wenn man uns politisch lassen würde“.
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