Die parlamentarische Aufarbeitung der Hintergründe der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 hat Fahrt aufgenommen. Erstmals hat am Freitag der Untersuchungsausschuss „Klimastiftung“ in Mecklenburg-Vorpommern öffentlich getagt. Vordergründig geht es um die Stiftung, mit der das Bundesland Sanktionen beim Bau von Nord Stream 2 umgehen wollte. Letztlich beleuchtet der Ausschuss aber das Für und Wider der Gaspipeline und den Einfluss Russlands auf die Regierung in Schwerin und in Deutschland insgesamt.
Zu der Anhörung im Landtag hatte der Ausschuss zwei Experten geladen: den als Kritiker der Pipeline bekannten Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin sowie Jens Hobohm, Direktor der Marktforschungsfirma Prognos. Hobohm hatte Anfang 2017 eine Studie im Auftrag der Nord Stream 2 AG vorgestellt, mit der die Betreiberfirma die Bedeutung der Pipeline für die europäische Gasversorgung begründet hatte. Die Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz gehört zu 100 Prozent dem russischen Gazprom-Konzern.
Selbst der wissenschaftliche Fürsprecher der Gazprom-Tochter wollte sich nicht mehr bedingungslos hinter das Projekt stellen. Auf die Frage eines Abgeordneten, ob denn der Bau notwendig gewesen sei, fand Hobohm die Antwort: „Nein.“ Er begründete seine Antwort unter anderem damit, dass diese Frage in der Auftragsstudie nicht behandelt worden sei.
Experten stellen sich gegen die Linie der Bundesregierung
Nach seiner Darstellung gab es durchaus wirtschaftliche Gründe für Nord Stream 2, da der Betrieb günstiger gewesen wäre als der Betrieb anderer Pipelines. Mit dem Bau sollte letztlich der Transit von russischem Gas durch die Ukraine ersetzt werden. Der Transit ist teuer, da die Infrastruktur veraltet ist und als schlecht gewartet gilt. Die Transportverluste sind entsprechend hoch. Allerdings bedeutet der Transit für die Ukraine eine wichtige Einnahmequelle.
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Im Rückblick sieht der Prognos-Experte wirtschaftliche Gründe, die für das Projekt gesprochen hätten. Dass Russland geopolitische Ziele mit dem Projekt verfolgt habe, „da würde ich Ihnen zustimmen“, sagte Hobohm auf die Frage eines Abgeordneten. Für von Hirschhausen diente Nord Stream 2 vor allem, der „Umgehung der Pipelinekapazitäten in der Ukraine“. Dies sei schon zum Zeitpunkt der Planung erkennbar gewesen.
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Mit ihrem Urteil stellen sich die Experten gegen die Linie der Bundesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte noch im Dezember 2021, also zwei Monate vor dem russischem Überfall auf die Ukraine, betont, dass Nord Stream 2 eine „privatwirtschaftliche Angelegenheit“ sei. Diese Sicht hatte schon seine Vorgängerin Bundeskanzlerin Angela Merkel vertreten. Auch der letzte Wirtschaftsminister der Ära Merkel, Peter Altmaier, hatte stets diese These verfochten.
Deutschland hatte sich in den vergangenen Jahren in Sachen Nord Stream 2 viel Kritik anhören müssen. Insbesondere osteuropäische EU-Staaten hatten Nord Stream 2 vehement bekämpft. Auch die EU-Kommission ließ nichts unversucht, das Projekt zu verhindern. Besonders heftig war der Widerstand der US-Regierung. Im Sommer 2021, wenige Wochen vor den Bundestagswahlen im September, hatte Merkel US-Präsident Biden das Zugeständnis gemacht, den Betrieb der Pipeline zu stoppen, falls Russland sie als Druckmittel gegen die Ukraine einsetze.
Als Reaktion auf das aggressive Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine hatte die Bundesregierung das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 am 22. Februar vergangenen Jahres, also zwei Tage vor Beginn des Ukrainekrieges, ausgesetzt. Noch 2021 hatte Deutschland 55 Prozent seines Erdgasbedarfs mit russischem Gas gedeckt. Der größte Teil davon strömte über die 2011 in Betrieb genommene Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Nach dem Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 hatte Russland die Gaslieferungen nach Deutschland weitgehend eingestellt. Die Pipelines Nord Stream 1 und 2 sind nach Explosionen inzwischen zerstört, für die nach Angaben westlicher Geheimdienste Russland die Verantwortung trägt.
Landesregierung hat Unterlangen zurückgehalten
Der Untersuchungsausschuss war auf Druck der Opposition bestehend aus CDU, FDP und Grünen eingesetzt worden. In den vergangenen Monaten hatten die Parlamentarier hinter verschlossenen Türen getagt; meist ging es um Formalien. So hatte die rot-rote Landesregierung mit Manuela Schwesig (SPD) an der Spitze lange Zeit Unterlagen zurückgehalten. Inzwischen sind dem Ausschuss zumindest ein Teil der nötigen Dokumente übergeben worden.
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Die Jamaika-Opposition will auch Schwesig und ihren Vorgänger Erwin Sellering vorladen, der die Leitung über die Klimastiftung übernommen hatte. Mit dieser sollten die von den USA angedrohten Sanktionen gegen am Bau der Pipeline beteiligte Unternehmen umgangen werden.
Die Stiftung, deren Zweck es laut Satzung war, sich für Belange des Umwelt- und Naturschutzes einzusetzen, sollte auch Arbeiten zur Fertigstellung der Pipeline koordinieren und bezahlen. Das Kalkül dahinter: Unternehmen, die Aufträge der Stiftung erhielten, würden von den Amerikanern nicht sanktioniert werden.
Die Initiative zur Gründung der Klimastiftung ging von der Landesregierung unter Schwesig aus, finanziert wurde der geschäftliche Betrieb indes von Gazprom. Die Russen haben 20 Millionen Euro investiert.
Mehr: Gaspreise sinken weiter
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