Jan 16, 2023
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Bundesfinanzhof: Ist der Soli verfassungswidrig? Worum es bei der Gerichtsverhandlung geht

Written by Heike Anger

Berlin Am Dienstag findet vor dem Bundesfinanzhof (BFH) in München eine Verhandlung statt mit potenziell milliardenschweren Auswirkungen. Sie dreht sich um die Frage, ob der Solidaritätszuschlag verfassungswidrig ist. Für Steuerzahler mit hohen Einkommen geht es möglicherweise um eine Entlastung von tausend Euro und mehr im Jahr, für den Bundeshaushalt um den Wegfall von Einnahmen von rund zwölf Milliarden Euro.

Das Handelsblatt beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Soli.

Der Soli ist eine ergänzende Abgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer. Erstmals wurde er 1991 unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) eingeführt. Der Grund: die finanziellen Auswirkungen des Golfkriegs. Deutschland hatte im Zweiten Golfkrieg rund 17 Milliarden D-Mark der Kosten übernommen. Mit der Ergänzungsabgabe wollte der Fiskus das Geld wieder hereinholen. Mitte 1992 lief der erste Soli aus. Seit 1995 bis heute wurde wieder ein Solidaritätszuschlag erhoben, um die deutsche Einheit zu finanzieren.

Von 1995 bis 1997 betrug der Solidaritätszuschlag 7,5 Prozent der festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuer. 1998 wurde er auf 5,5 Prozent gesenkt. Im Jahr 2019 beschloss der Bundestag, den Solidaritätszuschlag zugunsten niedriger und mittlerer Einkommen zurückzuführen. Damit fiel die Ergänzungsabgabe ab 2021 für rund 90 Prozent aller Steuerzahler vollständig weg. Vor allem Spitzenverdiener und Unternehmen müssen den Soli noch entrichten. In der Begründung des Gesetzes heißt es, es bestehe weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte Finanzlast des Bundes.

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Die Ampelkoalition hat die Einkommensgrenzen für den Soli angehoben. Wer im Jahr 2023 mehr als 17.543 Euro Einkommensteuer zahlen muss, der muss den Zuschlag weiterhin zumindest teilweise zahlen. Er wird aber nicht gleich vollständig fällig, es gibt eine sogenannte Milderungszone.

>> Lesen Sie hier: Wer vom Wegfall des Solidaritätszuschlags profitieren würde

Der Finanzwissenschaftler Frank Hechtner hat berechnet, was die neuen Grenzen für den Steuerzahler bedeuten. Demnach muss ein Single bis zu einem monatlichen Bruttoeinkommen von 6670 Euro keinen Soli zahlen. Darüber wird er sodann teilweise fällig. Ab einem Einkommen von 9720 Euro muss dann der Soli komplett gezahlt werden.

Um wie viel Geld geht es für den Fiskus?

Der Solidaritätszuschlag spülte bis 2021 jährlich rund 19 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt. Nach der Teilabschaffung war es noch etwas mehr als die Hälfte, für das laufende Jahr wird mit Einnahmen von rund zwölf Milliarden Euro gerechnet. Wie alle Steuereinnahmen ist auch der Soli nicht zweckgebunden. Das Aufkommen steht allein dem Bund zu, fließt also in den Bundeshaushalt. Die Mittel wurden nie ausschließlich für den Aufbau Ost verwendet.

Was ist der Solidarpakt?

Hierbei handelt es sich um finanzpolitische Maßnahmen, um die Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland anzugleichen. Der Solidarpakt I trat 1994 in Kraft und lief 2004 aus. Der Solidarpakt II startete 2005 und lief Ende 2019 aus. Insgesamt wurden so rund 200 Milliarden Euro Aufbauhilfe für die östlichen Bundesländer geleistet.

Worum geht es in dem konkreten Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH)?

Es handelt sich um eine Musterklage (Aktenzeichen IX R 15/20) vom Bund der Steuerzahler (BdSt). Mithilfe des Verbands klagt ein Ehepaar aus Bayern dagegen, dass es den Soli ab 2020 weiterzahlen soll, der Solidarpakt II aber Ende 2019 auslief. Zudem sei der Solidaritätszuschlag nur zur Finanzierung der deutschen Einheit gedacht gewesen, er dürfe nicht der allgemeinen Finanzierung des Bundeshaushalts dienen. Die Steuerpflichtigen argumentieren auch, dass eine Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden darf. Dieser Ausnahmecharakter würde eine immerwährende Erhebung verbieten.

Der Bundesfinanzhof

In München klagt ein Ehepaar aus Bayern dagegen, dass es den Soli ab 2020 weiterzahlen soll, der Solidarpakt II aber Ende 2019 auslief.



(Foto: dpa)

Womit werden sich die Richter befassen?

Vor dem BFH wird es auch um die Frage gehen, ob andere Gründe als die Finanzierung der deutschen Einheit die Erhebung des Soli ab dem Jahr 2021 rechtfertigen. In einer Mitteilung des BFH heißt es: „Hierbei kann entscheidungserheblich werden, ob gegebenenfalls ein erhöhter Finanzbedarf in der Folge der Coronapandemie, des Ukrainekriegs oder der erforderliche Finanzbedarf zur Bekämpfung des Klimawandels das Fortbestehen des Solidaritätszuschlags begründen können.“ In diesem Fall könne auch zu entscheiden sein, ob eine derartige „Umwidmung“ des Solidaritätszuschlags einer ausdrücklichen Entscheidung des Bundestags (Parlamentsvorbehalt) bedürfe.

Was spricht dafür, dass der Soli verfassungswidrig ist?

Viele Staatsrechtswissenschaftler halten den Solidaritätszuschlag spätestens seit dem 1. Januar 2020 für verfassungsrechtlich unzulässig. So auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Mit dem Ende des Solidarpakts II sei die Voraussetzung für die Erhebung des Solidaritätszuschlags entfallen. „Der Gesetzgeber war offensichtlich nicht willens, den in meinen Augen eindeutigen Verfassungsverstoß zu vermeiden“, erklärte Papier. „Damit läuft der Bund Gefahr, erhebliche Steuerrückzahlungen leisten zu müssen, ganz ähnlich wie er es bereits bei der für verfassungswidrig erklärten Kernbrennstoffsteuer tun musste.“

>> Lesen Sie auch: Bis zu 2200 Euro mehr: So profitieren Singles und Familien 2023 von den Entlastungen

Die Kölner Steuerrechtlerin Johanna Hey sagte dem Handelsblatt: „Dass der Solidaritätszuschlag spätestens ab 2020 seine ursprüngliche Begründung der Finanzierung der Wiedervereinigung verloren hat, ist evident.“ Eine „Umwidmung“ etwa für die Finanzierung des Wehretats oder der Energiekrise sei mit dem Konzept der Ergänzungsabgabe auf der Grundlage des Grundgesetzes nicht vereinbar.

Hey erklärt: „Die Weitererhebung des Solidaritätszuschlags, der allein dem Bund zusteht, unterwandert die in der Finanzverfassung vorgesehene Aufkommensverteilung.“ Es sei dem Gesetzgeber unbenommen, eine neue Ergänzungsabgabe für die aktuellen Sonderfinanzbedarfe einzuführen. Hierfür bedürfe es aber einer neuen parlamentarisch legitimierten Entscheidung.

Was spricht für eine Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags?

Andere Experten wie der Steuerrechtler Henning Tappe von der Universität Trier, der für das Bundesfinanzministerium beim BFH auftreten sollte, sehen keinen direkten rechtlichen Zusammenhang zwischen dem Solidaritätszuschlag und dem Solidarpakt II. Der Rechtsprofessor verweist darauf, dass die Ergänzungsabgabe, die 1991 anlässlich des Zweiten Golfkriegs eingeführt wurde, ebenfalls „Solidaritätszuschlag“ hieß. Tappe sagte dem Handelsblatt: „Speziell den Solidarpakt II zum Maßstab für die Dauer des Solidaritätszuschlags zu machen, kann daher nicht überzeugen.“

Selbst dann, wenn der Soli für andere Zwecke – etwa als „Corona-Soli“ oder „Klima-Soli“ – eingesetzt würde, wäre demnach keine Umwidmung erforderlich. Der Solidaritätszuschlag sei als Ergänzungsabgabe eine Steuer und daher nicht zweckgebunden. „Was nicht gewidmet ist, muss auch nicht umgewidmet werden“, meint Tappe. Der Experte legt auch dar, dass die Ergänzungsabgabe keinesfalls auf „besondere Notfälle“ beschränkt sei. Es sei vielmehr bei der Einfügung der „Ergänzungsabgabe“ in das Grundgesetz darum gegangen, eine flexible Ergänzung des Bundessteuersystems zu ermöglichen „als normale Alternative zur Erhöhung anderer Steuern“.

Auf welchem Standpunkt steht das Bundesfinanzministerium?

Unter Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) war geplant, dass Vertreter des Ministeriums die aktuelle Regelung auch vor Gericht verteidigen. Mittlerweile ist Scholz Kanzler und der Bundesfinanzminister heißt Christian Lindner (FDP). Der hat nun entschieden, dass sich das Finanzministerium doch nicht an dem Verfahren beteiligt.

Die FDP fordert schon lange die komplette Abschaffung des Soli. Es gibt zwar aus dem Ministerium keine offiziell geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Soli, aber aktiv verteidigt wird die Regelung nun nicht mehr.

Wie geht es nach der Verhandlung weiter?

Der BFH wird nach der Anhörung am Dienstag voraussichtlich Ende Januar seine Entscheidung verkünden. Kommen die Richter zu der Überzeugung, dass der Soli verfassungswidrig ist, wird das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Dieses prüft dann, ob die Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Billigt der BFH den Soli, haben die Steuerpflichtigen die Möglichkeit, gegen die Entscheidung eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.

Mehr: Diese Entlastungen kommen 2023 für Steuerzahler



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