Den Haag Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich nach Gesprächen beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für ein internationales Tribunal gegen Russland wegen dessen brutalen Angriffs auf die Ukraine ausgesprochen. Baerbock räumte in ihrer Rede vor der Haager Akademie für Völkerrecht ein, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) bei derartigen Verbrechen an die Grenzen seiner Zuständigkeit komme.
Aus diesem Grund wirbt auch die ukrainische Regierung bereits seit Monaten für die Einrichtung eines Sondertribunals gegen Russland. Die russische Führung soll für den brutalen Angriff, der zu vielen weiteren Kriegsverbrechen in der Ukraine geführt hat, zur Rechenschaft gezogen werden. Im Februar jährt sich der Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal.
Die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH im Fall der Aggression stehe unter Voraussetzungen, die in der derzeitigen Lage schlichtweg nicht erfüllbar seien, so Baerbock zur Begründung, warum ein Sondergericht im Fall der Ukraine nötig ist.
Die deutsche Außenministerin forderte in Den Haag deshalb zugleich eine Reform des Internationalen Strafgerichtshofs, die Prozesse wegen eines Angriffs auf ein anderes Land künftig erleichtern und Sondertribunale überflüssig machen soll. Allerdings kann so eine Reform mehrere Jahre dauern.
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Baerbock war am Morgen bei strömendem Regen zu einem eintägigen Besuch in den Niederlanden eingetroffen. Am Vormittag hatte sie sich zu Gesprächen mit dem Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshofs, Piotr Hofmanski, und anschließend mit dessen Chefankläger Karim Khan getroffen. Am Nachmittag standen Gespräche mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und Baerbocks Außenministerkollegen Wopke Hoekstra an.
Mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba hatte Baerbock bereits vergangene Woche bei ihrem Besuch in der schwer von russischen Angriffen gezeichneten Stadt Charkiw über die Möglichkeit zur Einrichtung eines Sondertribunals gesprochen.
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Dessen Einrichtung ist jedoch umstritten. So könnte das Hauptproblem die internationale Legitimität sein. Auch Baerbock zeigte sich skeptisch, machte aber deutlich, dass sie kurzfristig keine andere Lösung sieht.
So werde laut Baerbock über die Möglichkeit diskutiert, dass ein Gericht seine Jurisdiktion, also seine Rechtsbasis, aus dem ukrainischen Strafrecht ableiten könnte. „Wichtig wäre, dass das durch eine internationale Komponente ergänzt wird“, forderte sie.
Ein Sondergericht, so die Außenministerin, müsse von möglichst vielen in der Welt getragen werden. Als Beispiel für solche „internationalen Elemente“ nannte Baerbock einen Standort außerhalb der Ukraine, mit finanzieller Unterstützung durch Partner und mit internationalen Staatsanwälten und Richtern, damit Unparteilichkeit und Legitimität gewährleistet seien. Als ein möglicher Standort ist Den Haag im Gespräch.
Baerbocks Vorstoß findet Zuspruch bei vielen Verbündeten
Verbündete wie Frankreich, die baltischen Staaten, Schweden und die G7-Staaten sowie die Ukraine selbst haben ihre Bereitschaft dazu signalisiert, eine solche Sonderlösung zu unterstützen. Mit ihrem Vorstoß folgt Baerbock zudem der EU-Kommission. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich schon im November für ein Sondertribunal ausgesprochen.
Der Chefankläger des IStGH ermittelt bereits gegen Russland wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord.
Wegen des Angriffs auf die Ukraine oder auch der Aggression an sich kann Moskau jedoch bislang nicht vor dem IStGH angeklagt werden. Dafür muss sowohl der Opfer- als auch der Täterstaat das römische Statut, auf dem der IStGH basiert, ratifiziert haben. Russland hat dies jedoch nicht getan. Ein Prozess ist somit de facto nicht möglich.
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Das Recht weise in diesem Fall eine Lücke auf, sagte Baerbock am Montag in Den Haag. „Für uns ist klar, dass wir trotz dieser rechtlichen Lücke, trotz dieser Schwierigkeiten jetzt und heute die ganz klare Botschaft an die russische Führung brauchen und damit auch an alle anderen in der Welt: dass ein Angriffskrieg in dieser Welt nicht ungestraft bleibt.“
Vorbilder für ein Sondergericht dieser Art gibt es bereits. So könnte man sich an der ebenfalls in Den Haag errichteten Kosovo-Sonderkammer orientieren, die über die im Kosovokrieg begangenen Kriegsverbrechen entscheidet und sich dabei nach kosovarischem Recht richtet.
Ein Problem besteht jedoch weiterhin: Die sogenannte Troika, also die obersten Führungspersönlichkeiten eines Staates, in diesem Fall Russlands, kann nicht angeklagt werden, solange sie im Amt ist. Daher kann auch Russlands Präsident Wladimir Putin selbst zunächst nicht angeklagt werden, sondern nur darunter stehende Mitglieder der russischen Staatsführung. Allerdings lebt die Anklagemöglichkeit dann auf, wenn Putin nicht mehr im Amt sein sollte. Ermittlungen sind zudem auch gegen die Troika möglich.
Eine Sonderinstitution im Fall der Ukraine wäre keine ideale Lösung, räumte Baerbock bei ihrer Rede in Den Haag ein. „Es ist, was der Name suggeriert: ein Sonderfall.“ Bei ihrer Rede forderte Baerbock daher zeitgleich auch eine Reform des Internationalen Strafgerichtshofs, die Sondertribunale dieser Art in Zukunft überflüssig machen soll.
Langfristig will sie das Römische Statut, auf dem der IStGH basiert, reformieren. Und zwar in der Form, dass künftig die Verantwortlichen für Angriffe wie der Moskaus auf die Ukraine weniger kompliziert vor dem Gerichtshof belangt werden können. So soll ausreichen, dass nur noch der Opferstaat Vertragspartei des Internationalen Strafgerichtshofs sein muss und nicht mehr auch der Täterstaat.
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