Berlin In einer Woche dürfte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den neuen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorstellen. Mitte Dezember hatte sein Haus dafür einen ersten Entwurf erstellt – mit einem ziemlich düsteren Ausblick auf die konjunkturelle Lage.
Inzwischen haben die Ministerien weiter am Bericht gearbeitet. Die aktuelle Entwurfsversion, die dem Handelsblatt vorliegt, liest sich durchaus positiver. „Insgesamt hat Deutschland die wirtschaftlichen Folgen [des Kriegs] bislang gut bewältigt“, heißt es. Trotz Lieferketten-Engpässen, Sanktionen gegenüber Russland und des Stopps russischer Gaslieferungen erweise sich die deutsche Wirtschaft als „widerstandsfähig“.
Das klingt gar nicht mehr so nach Rezession, von der bislang fast alle Expertinnen und Experten ausgegangen waren. Im Gegenteil, jetzt mehren sich die Stimmen derer, die sagen, dass die Wirtschaft womöglich überhaupt keine Rezession erlebt. Das lässt sich mit fünf Gründen belegen, die im Folgenden aufgeführt sind.
Zuvor eine Orientierung. Es gibt zwei Definitionen einer Rezession: eine technische, die vorliegt, wenn eine Wirtschaft zwei Quartale infolge schrumpft, und eine herkömmliche, die vorliegt, wenn eine Wirtschaft im Jahresdurchschnitt schrumpft.
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Im dritten Quartal des Vorjahres, spätestens im vierten Quartal sollte das Schrumpfen in Deutschland beginnen, da waren sich Wissenschaftler einig. Doch nachdem für den Zeitraum Juli bis September sogar ein leichtes Wachstum stand, schätzt das Statistische Bundesamt für Oktober bis Dezember 2022 jetzt bloß eine Stagnation. Selbst, wenn die deutsche Wirtschaft im nun laufenden ersten Quartal 2023 schrumpft, gäbe es noch keine technische Rezession.
Entsprechend positiver fallen mittlerweile auch die Erwartungen für das Gesamtjahr aus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht zwar mit einem Minus von 0,3 Prozent noch von einer leichten Schrumpfung aus, wie Präsident Siegfried Russwurm am Dienstag bekannt gab. Doch er ergänzte: „Diesen Winter werden wir einigermaßen passabel überstehen.“
Auch die ersten Konjunkturprognosen für 2023 drehen ins Plus. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet ein Wachstum von 0,3 Prozent. Und die Deutsche Bank, die zuvor noch mit Horrorprognosen aufwartete, erwartet bloß eine Stagnation. Das sind die fünf Gründe:
1. Preisanstiege gebremst
Die stärkste Bremse für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland sind die stark gestiegenen Energiepreise. Doch früher als von den meisten prognostiziert zeigt sich Entspannung. Der Gaspreis am Großhandelsplatz TTF ist seit Mitte Dezember um 70 Euro je Megawattstunde gefallen. Beim Strom lag das Monatsmittel je Megawattstunde an der Leipziger Strombörse im Juli 2022 bei fast 500 Euro, im Januar bislang bei nicht einmal 100.
Davon profitieren insbesondere große Industrieunternehmen, die sich direkt mit Gas und Strom eindecken. So kommt es zu einer doppelten Erleichterung: Die Wirtschaft steht weniger unter Druck, und manche Unternehmen werden ihre Preise senken, wodurch auch die Kunden profitieren. So zeigt sich, dass nicht nur bei den Energiepreisen etwas Entspannung zu beobachten ist, sondern auch beim Preisniveau allgemein.
Im Großhandel etwa sind die Preise im Dezember 2022 so stark gefallen wie zuletzt vor 14 Jahren. Sie nahmen gegenüber dem Vormonat um 1,6 Prozent ab, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte.
2. Staatshilfen stützen Konsum
Vorgelagerte Stufen wie der Großhandel sind ein guter Indikator für die Entwicklung der Verbraucherpreise. Und so geht die Bundesregierung im aktuellen Entwurf ihres Jahreswirtschaftsberichts sogar so weit: „Der Höhepunkt der Inflationsentwicklung dürfte überschritten sein.“
Für die größte Unbekannte der Konjunktur ist das positiv: den privaten Konsum. Viele Haushalte hatten während der Coronazeit Ersparnisse angesammelt, weil sie nicht ins Restaurant oder Theater gehen konnten. Das Geld geben sie nun aus.
Offen ist, ob die hohen Energierechnungen dieses Plus an Konsumausgaben wieder aufzehren. Dieser Tag erhöhen viele Versorger die Preise. Bislang scheinen die Ersparnisse der Haushalte noch zu reichen.
Insgesamt ist der Konsum der privaten Haushalte zurückgegangen, doch immer noch recht stabil. Ab März werden die Energierechnungen der Verbraucher reduziert werden, wenn der Staat mit seinen Hilfsmaßnahmen einspringt. Der große Konsumeinbruch dürfte also ausfallen.
3. Industrie widerstandsfähiger als gedacht
Auf die Energiepreisbremsen hatte auch die Industrie gehofft. Doch die EU-Kommission belegte diese mit komplizierten Vorgaben. „Wir kriegen das Feedback, dass viele Industriebetriebe die Preisbremsen gar nicht in Anspruch nehmen können“, sagte BDI-Präsident Russwurm.
Dennoch läuft es in der Industrie besser als erwartet. Trotz Energiekrise konnte diese ihre Produktion 2022 leicht steigern. Energieintensive Branchen wie Chemie oder Papier haben ihre Fertigung aufgrund der hohen Preise zum Teil zwar unterbrochen. Doch einen Abwärtssog wegen zusammenbrechender Lieferketten hat das bislang nicht ausgelöst.
Und selbst die energieintensive Industrie profitiert inzwischen vom Rückgang der Energiepreise. Erstmals seit fünf Monaten hatten die Unternehmen aus den besagten Branchen im November – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – ihre Produktion wieder leicht steigern können.
Der Industrie geht es schlecht, aber nicht so schlecht wie erwartet. Trotz eines Rückgangs bei neuen Aufträgen hat sie immer noch ein Auftragspolster, außerdem schwächen sich die Lieferkettenprobleme ab. Nur noch 51 Prozent klagten in einer Ifo-Umfrage im Dezember über fehlende Materialien, der dritte Rückgang in Folge.
4. Milde Witterung
Die größte Gefahr für die Konjunktur, ein Gasmangel, scheint inzwischen ausgeschlossen. „Wir sind sehr optimistisch, dass wir in diesem Winter keine Gasmangellage mehr zu befürchten haben“, sagte Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller am Dienstag beim Handelsblatt Energiegipfel.
Das hängt mit den Sparmaßnahmen von Wirtschaft und Bevölkerung zusammen. Vor allem aber sorgt die milde Witterung dafür, dass weniger geheizt wird. Das vermeidet nicht nur einen Gasmangel, sondern senkt die Kosten. Bisher war der Januar wesentlich wärmer als im Vorjahr.
5. Stimmung hellt sich auf
All diese faktisch guten Entwicklungen übersetzen sich allerdings nur in eine bessere konjunkturelle Entwicklung, wenn bei den Unternehmen dadurch auch die Verunsicherung weicht. Erste Umfragen lassen erahnen, dass es tatsächlich so kommt.
In einer Umfrage des Mittelstandsverbunds, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, nannten 57 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Lage im abgelaufenen vierten Quartal „gut“. Das ist fast ein Drittel mehr als im Quartal davor. Bei der Hälfte der Befragten entwickelten sich zudem die Erträge stabil, ebenfalls eine klare Steigerung. 32 Prozent wollen in den kommenden Monaten mehr investieren.
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„Im Moment sehen wir einige konjunkturelle Hoffnungszeichen und bessere Chancen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung als im vergangenen Jahr“, sagt Hauptgeschäftsführer Ludwig Veltmann. Hinter dem Mittelstandsverbund stehen rund 230.000 mittelständische Unternehmen.
Risiken bleiben
Trotz der vielen positiven Tendenzen ist eine Rezession immer noch möglich. Wird der Winter nun plötzlich äußerst kalt, könnte das Gas vielleicht doch knapp werden. Die Covid-Lage in China bedroht erneut die globalen Lieferketten. Die weitere Entwicklung der Preise ist ungewiss, und eine neue Eskalation im Ukrainekrieg könnte die Aussichten erneut eintrüben.
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