Brüssel, Madrid Es bleibt nicht mehr viel Zeit: Im März will die EU-Kommission eine Reform des Strommarkts vorstellen. Viel später sollte es nicht werden, denn Entscheidungen in der EU dauern lange und das Zeitfenster für neue Gesetze schließt sich gegen Ende des Jahres. Danach überlagert der Wahlkampf alle Diskussionen, im Frühjahr 2024 soll das Europaparlament neu gewählt werden.
Spanien und Frankreich erhöhen nun den Druck. Sie wollen mit der Reform vor allem die Strompreise senken. Beide Regierungen haben Diskussionspapiere mit ihren Vorstellungen dazu verschickt – und sie gleich öffentlichkeitswirksam präsentiert. „Wir haben dieselbe Vision von einer strukturellen und grundlegenden Reform des Strommarkts“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron jüngst bei einem Treffen mit Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez in Barcelona.
Die spanischen Vorschläge zielen darauf ab, den Einfluss hoher Gaspreise auf den Strompreis zu begrenzen. Das soll vor allem dadurch passieren, dass der Strom aus erneuerbaren Energien seltener an Spotmärkten und häufiger über feste Lieferverträge verkauft wird. „Langfristige Verträge schaffen Preisstabilität für Verbraucher und Erzeuger und richten die Strompreise an den durchschnittlichen Produktionskosten aus“, heißt es in dem Vorschlag, den Madrid nach Brüssel geschickt hat und der dem Handelsblatt vorliegt.
Frankreich will noch weiter gehen. In dem Papier, dass die Zeitschrift „Contexte“ veröffentlichte, wird ein Fonds beschrieben, der die Gewinne von allen Wind-, Solar- und Atomkraftwerken einsammelt und an die Konsumenten zurückgibt. Gleichzeitig soll der Fonds diesen Erzeugern einen Mindestpreis für Strom garantieren.
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Die Franzosen würden damit eine Regel fortschreiben, die seit Herbst in der ganzen EU gilt: Vor allem im Sommer hatte der Gaspreis den Strompreis nach oben getrieben und damit den Erzeugern von erneuerbarer Energie und Atomkraft extrem hohe Gewinne beschert. Diese Gewinne werden nun zum Teil abgeschöpft.
Strommarkt: Experten fürchten Rückschritt bei Marktliberalisierung
Doch die Hoffnung auf niedrige Strompreise, die Spanien und Frankreich mit ihren Vorschlägen wecken, könnte trügerisch sein. Experten und Abgeordnete äußern sich gegenüber dem Handelsblatt skeptisch.
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Christian Ehler, Energieexperte der CDU im Europaparlament sagt: „Eine Änderung des Marktdesigns bewirkt keine Wunder. Eine Politik gegen die Märkte ist teuer, schwierig und nicht nachhaltig.“
Der Strommarktexperte Lion Hirth von der Berliner Hertie School sagt: „Der französische Vorschlag zielt offensichtlich darauf ab, dass der Staat Investitionen und Verrechnungspreise im Detail steuert. Das würde die Liberalisierung der vergangenen Jahrzehnte massiv zurückdrehen.”
Nach den Vorstellungen der Spanier sollen neue Solar- und Windkraftanlagen ausgeschrieben und dann per Auktion zugeschlagen werden. Dabei ergeben sich Strompreise, die dann über die gesamte erwartete Laufzeit einer Anlage gelten.
Liegt der tatsächliche Preis am Spotmarkt darüber, zahlt der Erzeuger die Differenz an den Regulierer. Ist er niedriger, zahlt der Regulierer an den Erzeuger. Geregelt wird das in sogenannten Differenzverträgen („Contract for Difference“, CfD).
Experten sehen noch Interpretationsspielraum bei den spanischen Vorschlägen. „Sowohl Ausschreibungen für die Kapazitäten von neuen Anlagen für Erneuerbare als auch Differenzverträge gibt es bereits, und sie werden auch in vielen Mitgliedstaaten genutzt“, sagt Diego Rodríguez, Energieexperte an der Universität Complutense in Madrid. „Die Frage ist, ob Spanien sie als komplementär zum bestehenden System einführen will – so verstehe ich den Vorschlag. Oder ob Madrid das bestehende System des Spotmarkts damit ersetzen will.“
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Vor allem bei der Frage, ob das System von Auktionen und Differenzverträgen auch für bereits existierende Anlagen gelten soll, ist der Vorschlag nicht eindeutig. „Der Regulierer kann auch separate Auktionen für existierende Anlagen von Erneuerbaren abhalten“, heißt es dazu im spanischen Text. Rodriguez sieht darin „das wirklich Neue“ an Madrids Vorstoß.
Hektik in der EU-Kommission
Angesichts solch großer Unklarheiten zweifeln in der Energiebranche viele daran, dass eine schnell entworfene Reform mehr Probleme löst als schafft. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte im Sommer eine „tiefgreifende und umfassende Reform des Strommarkts“ versprochen.
Die letzte derartige Reform hatte aber einen Vorlauf von neun Jahren, bevor sie 2019 in Kraft trat. Für den im März anstehenden Vorschlag gibt es bislang nicht einmal eine Folgenabschätzung, wie sie die EU-Kommission vor wichtigen Gesetzesvorhaben anfertigt.
„Dass die Kommission schon im März einen ausgereiften Gesetzesvorschlag vorstellen kann, halte ich für unrealistisch“, sagt Energieexperte Hirth.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Diskussion allerdings nicht abblocken. „Ich finde, darüber kann man diskutieren“, sagte er beim Handelsblatt-Energiegipfel zum spanischen Vorschlag. Auch Habeck will schließlich die Strompreise für die Industrie senken.
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Ohne Eingriffe seien am Markt mittelfristig Preise zu erwarten, die oberhalb dessen liegen, womit die Industrie wettbewerbsfähig arbeiten könne.
Dieses Problem ließe sich allerdings auch lösen, ohne die grundsätzlichen Regeln auf dem Strommarkt zu verändern. Habeck mahnte eine europäische Lösung für Industriestrompreise an, also für vergünstigte Tarife, von denen stromintensive Betriebe profitieren können.
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