Düsseldorf Vor zwei Monaten wurde an dieser Stelle getitelt: „Die Stimmung ist schlechter als die Lage.“ Eine bevorstehende Rezession galt als sicher, die Frage schien nur, wie lange sie dauern und wie tief sie sein würde.
Nach dem Sprung des ZEW-Index am vergangenen Dienstag jubelte die VP Bank, „Konjunktursorgen lösen sich in Luft auf“. Das Stimmungsbarometer des Mannheimer Forschungsinstituts stieg demnach gegenüber dem Vormonat um 40,2 Punkte auf 16,9 Zähler.
Nun sind Konjunkturforscher, Bankvolkswirte und Wirtschaftsjournalisten bekannt dafür, nüchtern Daten zu analysieren und daraus Prognosen abzuleiten. Das Problem: Bei Jahrhundertereignissen wie einer Pandemie oder dem Ukrainekrieg samt Energiekrise gibt es keine Erfahrungen aus der Vergangenheit.
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Daher ist vor allem Bauchgefühl gefragt – und dies kann bekanntlich trügen. Tendenziell werden die gesamtwirtschaftlichen Folgen solcher Mega-Ereignisse eher überschätzt, da ein – durchaus möglicher Worst Case – zum Glück meist eben doch nicht eintritt. Und so schlugen die Konjunkturprognosen seit 2020 deutlich stärkere Kapriolen als die tatsächliche gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Einbruch und Erholung wurden deutlich überschätzt.
Konjunkturelle Lage verhalten
Realistisch betrachtet ist die konjunkturelle Lage zum Jahresstart 2023 eher verhalten. Das ordentliche Wachstum des Vorjahres basiert fast zur Hälfte aus dem statistischen Überhang aus 2021, also aus der Vorkriegszeit.
Definition: Was ist eine Rezession?
Das hohe Wachstum im zweiten Halbjahr 2021 führte dazu, dass das Bruttoinlandsprodukt am Jahresende deutlich höher als im Jahresdurchschnitt war – und bei der Berechnung des Wachstums werden Jahresdurchschnittswerte verglichen. Selbst bei vier Quartalen Stagnation hätte am Jahresende 2022 daher 0,8 Prozent Wachstum in den Statistiken gestanden.
>> Lesen Sie hier: Fünf Gründe, die gegen eine Rezession in Deutschland sprechen
Das Ifo-Geschäftsklima gilt als wichtigster Frühindikator für die deutsche Konjunktur. Dieser Index steigt seit nunmehr drei Monaten, und ein weiteres Plus im Januar ist wahrscheinlich – ein gutes Zeichen.
Es gilt aber zu beachten, dass der Ifo-Index die Veränderung der Stimmung in den befragten Unternehmen widerspiegelt und nicht unbedingt die Verbesserung oder die Verschlechterung von etwas. Das derzeit steigende Geschäftsklima signalisiert also nicht unbedingt einen Aufschwung, sondern lediglich, dass die Unternehmen überwiegend keine weitere Eintrübung erwarten.
Geldpolitik muss sich noch auf Wirtschaft durchschlagen
Schließlich stehen die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Zinserhöhungen noch aus; meist dauert es drei bis sechs Quartale, bis eine geldpolitische Bremsung ihre volle Wirkung entfaltet. Eine Ifo-Umfrage zeigt, dass die restriktive Geldpolitik allmählich auf die Realwirtschaft durchschlägt.
Für Unternehmen wird es schwieriger, an neue Kredite zu kommen; 30 Prozent jener Unternehmen, die im Dezember Kreditverhandlungen führten, berichteten von Zurückhaltung bei den Banken – im September waren es 24 Prozent.
Letztlich entscheidend für die Konjunkturentwicklung ist das Kaufverhalten der Verbraucher. Der private Konsum steuert laut amtlicher Statistik mehr als 50 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Aussichten sind durchwachsen. Zwar dürfte die Inflation nach 7,9 Prozent in 2022 dieses Jahr nach Berechnungen des Handelsblatt Research Institute auf rund fünf Prozent im Jahresmittel zurückgehen – doch ein Rückgang der Inflation bedeutet ja kein Rückgang der Preise, sondern lediglich eine etwas schwächere Teuerung.
Der reale Kaufkraftverlust geht also weiter. So groß die Freude bei manchem Sparer zu sein scheint, wieder ein oder zwei Prozent Zinsen auf Tagesgeld zu bekommen – real verlieren die Notgroschen weiter an Wert.
>> Lesen Sie hier: Kommentar – Warum das Konjunktur-Drama keine Realität geworden ist
Diesen Kaufkraftverlusten will die Bundesregierung mit ihren zahlreichen Hilfen entgegenwirken. Aufsummiert ergeben sich aus den Hilfspaketen rund 50 Milliarden Euro Entlastung in 2023, zuzüglich der Energiepreisbremsen. Doch diese groß als 200-Milliarden-Euro-Dopplelwumms angekündigten Staatshilfen könnten womöglich als ein leises Ploppen verhallen.
Schließlich sinken die Energiepreise rapide. Für die Gaspreisbremse veranschlagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm jetzt nur noch einen „hohen einstelligen Milliardenbetrag“. Eine ähnliche Größenordnung scheint auch für die Strompreisbremse realistisch.
Konjunkturentwicklung wohl noch mehrere Quartale schwach
Eine große Unbekannte sind die Tarifrunden für elf Millionen Arbeitnehmer in diesem Jahr. So fordert die Gewerkschaft Verdi für die 2,8 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden 10,5 Prozent Gehaltsplus.
Während Abschlüsse im öffentlichen Dienst stets auch eine politische Komponente beinhalten, werden in der Privatwirtschaft Verteilungsspielräume zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern austariert. Sollte es wie zuletzt in der Industrie zu moderaten prozentualen Lohnsteigerungen plus hohen einmaligen steuer- und abgabenfreien „Inflationsausgleichsprämien“ kommen, blieben die Arbeitnehmer auf den Folgen des Teuerungsschubs auf Dauer sitzen.
>> Lesen Sie hier: Fünf Gründe, die gegen eine Rezession in Deutschland sprechen
Das HRI schätzt, dass bis Ende 2024 das Preisniveau binnen vier Jahren um fast 23 Prozent gestiegen sein wird. Um diesen Preisschub auszugleichen, müssten die Löhne über alle Branchen hinweg vier Jahre lang um je rund 5,5 Prozent steigen – was angesichts geringer Produktivitätszuwächse unwahrscheinlich ist.
Wahrscheinlicher ist, dass die Konjunktur sich noch mehrere Quartale schwach entwickeln wird. Ein Ende des Ukrainekriegs ist ebenso wenig in Sicht wie eine Energiestrategie. „Der womöglich härtere Winter ist der nächste“, warnt Netzagenturchef Klaus Müller. Gut möglich, dass die Wirtschaftsleistung am Ende des kommenden Winters kaum höher sein wird als vor dem Ausbruch der Pandemie Anfang 2020. Deutschland fehlten dann vier Jahre Wachstum.
Mehr: Bundesregierung rechnet 2023 voraussichtlich nicht mehr mit Rezession.
<< Den vollständigen Artikel: HRI-Konjunkturausblick : Wirtschaftsaufschwung ist in Deutschland nicht in Sicht >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.