Washington Selten stand Deutschland in den USA so im Fokus wie in den vergangenen Tagen. Nicht nur US-Medien diskutieren die Entscheidung der Bundesregierung, vorerst keine Panzer an die Ukraine zu liefern, um sich gegen die russische Invasion verteidigen zu können. Auch in Briefings von US-Ministerien, im Kongress und im Weißen Haus war die Panzerdebatte das Thema Nummer Eins. Erinnerungen an Donald Trump wurden wach, der Deutschland während seiner Präsidentschaft regelmäßig kritisierte und damit in die amerikanischen Schlagzeilen brachte.
US-Präsident Joe Biden wurde bei einer Veranstaltung am Freitag auf die Panzer-Kontroverse angesprochen – und reagierte kurz angebunden. „Die Ukraine wird alle Hilfe bekommen, die sie braucht“, sagte er und ging. Das sieht die Regierung in Kiew anders. „Es gibt keine Alternative zu mehr Panzern“, sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski. Für den Moment bleibt es jedoch dabei: Großbritannien ist vorerst das einzige Land, das Panzer in das Kriegsgebiet schicken wird.
Die Gespräche über eine Ukraine-Strategie des Westens scheinen festgefahren, und Deutschland scheint für viele Länder der Hauptschuldige dafür zu sein. Am Samstag riefen die Außenminister der baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen über Twitter die Bundesregierung auf, ihre Entscheidung zu überdenken. „Deutschland als europäische Führungsmacht trägt eine besondere Verantwortung“, schrieben die Minister.
In den USA sorgte die deutsche Entscheidung für Empörung. „Die Weigerung von Scholz“, schrieb die amerikanische Historikerin Anne Applebaum am Samstag, „ergibt keinen Sinn“. Applebaum unterstellte dem Bundeskanzler „eine persönliche Marotte“, dass er sich „nichts sagen lassen“ wolle.
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Lindsay Graham, republikanischer Senator, der gerade Kiew besuchte, wurde deutlicher: Er habe die „Shitshow“ – ein englischer Begriff für Chaos – darüber satt, „wer Panzer schicken wird und wann man sie schicken werde“, sagte er. „Und ich sage den Deutschen: Schicken Sie Panzer in die Ukraine. Es ist in Ihrem Interesse, dass Putin verliert.“
Wer macht den ersten Schritt: Deutschland oder die USA?
Vorangegangen waren Tage des Ringens über Unterstützung für den Ukraine-Krieg, der seit bald elf Monaten wütet. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos und dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein stand eine drohende Winteroffensive Moskaus im Mittelpunkt.
Doch die Woche endete in Differenzen und Enttäuschung. Die Panzerfrage habe den „ersten Riss innerhalb des westlichen Bündnisses“ seit der russischen Invasion provoziert, kommentierte das konservative „Wall Street Journal“.
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Tatsächlich wird in den USA immer unverblümter der Wunsch vorgetragen, dass Deutschland bei Panzerlieferungen vorangehen müsse. „Wir glauben, dass es einen Bedarf an Panzern in der Ukraine gibt“, sagte John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus, kurz nachdem die Kontaktgruppe in Ramstein ihr Treffen beendet hatte. Die Leopard-Panzer seien ein „großartiges System – sehr, sehr modern; sehr effektiv“. Gerichtet an „Deutschland und alle unsere Verbündeten und Partner“, sagte Kirby: „Wenn Sie ein Bedürfnis der Ukrainer befriedigen können, dann wollen wir da natürlich Handlungen sehen“.
Gleichzeitig wollen die USA für den Moment keine eigenen, amerikanischen Abrams-Kampfpanzer bereitstellen. Offiziell wird das mit praktischen Bedenken begründet. „Leoparden können über große Teile des Territoriums manövrieren, bevor sie tanken müssen. Der Aufwand und die hohen Kosten, die für die Wartung eines Abrams erforderlich wären, sind immens. Es macht im Moment einfach keinen Sinn“, erklärte Sabrina Singh, Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Leoparden hingegen könnten schneller einsatzfähig sein. 2000 Leoparden, so Schätzungen der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, seien in ganz Europa verteilt.
Deutsche und amerikanische Medien hatten zuvor berichtet, Olaf Scholz (SPD) habe Bedingungen an US-Präsident Biden gestellt. Die Bundesregierung würde demnach nur Leopard-Panzer liefern, wenn die USA ihrerseits Kampfpanzer vom Typ Abrams bereit stellten. Sowohl das Weiße Haus als auch die Bundesregierung dementierten die Berichte – erklärten aber nicht, was gemeinsamen Panzerlieferungen sonst im Wege stünde.
Ein alter Konflikt bricht wieder auf
Von einem reinem Missverständnis geht in Washington niemand aus. Die Deutschen hätten die Amerikaner „in eine unbequeme Position gebracht“, zitierte der Sender CNN einen hochrangigen US-Regierungsbeamten. Sowohl Scholz als auch Vizekanzler Robert Habeck hatten in Davos betont, Deutschland wolle „keinen Alleingang“ in der Panzerfrage. Die US-Regierung wiederum will sich nicht unter Druck setzen lassen. Militärhilfen seien „eine souveräne Entscheidung jedes einzelnen Landes“, hieß es aus den zuständigen Ministerien.
Dabei sind die USA und Deutschland in der Sache gar nicht so weit voneinander entfernt. Zusammen mit Großbritannien ist Deutschland der zweitgrößte Geber von Militärhilfe für die Ukraine. Seit Ausbruch des Krieges haben die USA über 27 Milliarden US-Dollar an Militärhilfen genehmigt, darunter für Kampffahrzeuge, Militär-Trucks, minenresistente Fahrzeuge sowie das Raketenabwehrsystem Patriot. Und auch Deutschland bewilligte schrittweise immer mehr schweres Kampfgerät.
Deutschland und die USA seien Teil einer breiten „Koalition der Willigen“, betonte Kirby am Freitag, trotz der Panzer-Kontroverse. Beide Länder haben künftige Panzerlieferungen zudem nicht ausgeschlossen.
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Die Biden-Regierung, so beschrieben es Diplomaten, sei weiterhin wohlwollend und unterstützend gegenüber Berlin. Allerdings sei der seit Jahren schwelende Konflikt über mehr Eigenverantwortung Europas wieder an die Oberfläche gespült worden.
„Deutschland enttäuscht mal wieder“
In der Biden-Regierung sieht man jede neue militärische Lieferung als Balanceakt. Teile der US-Republikaner, die seit Januar die Mehrheit im Repräsentantenhaus halten, drohen mit einer Blockade weiterer Ukraine-Gelder. Auch aus taktischen Gründen wollen die USA zum Beispiel keine Langstrecken-Raketensysteme, die tief in Russland eindringen können, in das Kriegsland schicken. Denn das könnte die USA und ihre Verbündeten in einen unmittelbaren Konflikt mit Putin reißen. „Das würde die Nato zersprengen“, so drückte es Biden aus, als er sich mit Selenski vor Weihnachten im Weißen Haus traf.
Laut des Senders NBC stecken hinter der amerikanischen Panzer-Bremse strategische Bedenken. Verteidigungsminister Lloyd Austin und Hauptgeneral Mark Milley, so der Sender, würden westliche Panzer auf dem Schlachtfeld schlichtweg nicht für entscheidend halten – zumindest nicht aktuell. Ausstattung mit Stryker-Kampffahrzeugen zum Beispiel, wie gerade bewilligt, seien im ländlichen Terrain der Fronten effektiver. „Wir sind auf Panzer fixiert, aber es gibt noch andere Möglichkeiten“, so Kirby.
Trotzdem gibt es in den USA Rufe nach mehr Zugeständnissen der Amerikaner. Markus Esper, früherer Verteidigungsminister in der Regierung von Donald Trump, sieht die USA in der Pflicht. „Schickt ein paar US-Panzer, wenn es das braucht, um Berlin zum Handeln zu bewegen“, twitterte er. „Deutschland enttäuscht mal wieder, aber der Westen hat keine Zeit zu verschwenden“.
Demokraten äußerten sich ähnlich. „Scholz will im Gleichschritt mit den USA sein“, sagte der Abgeordnete Seth Moulton gegenüber CNN. „Ich denke, die USA sollten ein paar Panzer geben, wenn das für Deutschland erforderlich ist. Das nennt man Führung.“ Der demokratische Senator Richard Blumenthal zeigte sich auch für die Entsendung von Militärflugzeugen offen.
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