Berlin Die SPD will ihre Außenpolitik neu ausrichten. Ein zentraler Aspekt dabei: Deutschland soll künftig innerhalb Europas, aber auch international mehr Verantwortung übernehmen. Begründet wird dieser Führungsanspruch damit, dass die Bundesrepublik sich in den letzten Jahrzehnten „ein hohes Maß an Vertrauen erarbeitet“ habe.
In vielen außenpolitischen Debatten stehe Deutschland immer mehr im Mittelpunkt und sei für viele Staaten auf der Welt ein wichtiger Partner, heißt es in einem Strategiepapier der SPD-Spitze, das dem Handelsblatt vorliegt. „Und genau deshalb erwarten sie, dass Deutschland auf internationaler Ebene mehr Initiative zeigt und eine Führungsrolle einnimmt.“
Das 21 Seiten lange Papier hat die parteiinterne „Kommission für internationale Politik“ (KIP) erarbeitet und soll, wie es in der Überschrift heißt, „sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ geben. Geleitet wird die Kommission von Co-Parteichef Lars Klingbeil. Das SPD-Präsidium will sich am Montag mit der neuen außenpolitischen Strategie befassen. Beschlossen werden soll das Papier auf einem Parteitag Ende des Jahres.
Auch in Europa soll Deutschland nach Vorstellung der SPD in Zukunft mehr Stärke zeigen. „Nicht zuletzt aufgrund seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke erwarten unsere europäischen Partner von Deutschland, seiner Verantwortung gerecht zu werden und eine Führungsrolle einzunehmen“, heißt es in dem Papier. Dies bedeute, Partner einzubinden, Impulse zu liefern, Orientierung zu geben und zugleich auf Vermittlung und Ausgleich von Interessen zu setzen.
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Das Mehr an Verantwortung für Deutschland leiten die Autoren des Grundsatzpapiers auch von der veränderten außenpolitischen Lage durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ab, der in dem Papier als der „bisher brutalste Bruch mit Grundprinzipien der internationalen Ordnung“ bezeichnet wird.
SPD verspricht Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato
Die SPD spart dabei nicht mit Selbstkritik. Vor allem Deutschland habe „zu lange ausschließlich auf eine kooperative Zukunft mit Russland gesetzt und dabei versäumt, Szenarien für einen anderen Umgang mit Russland zu entwickeln“, heißt es in dem Papier. „Dies wäre nach der russischen Invasion in Georgien, spätestens aber nach der Annexion der Krim 2014 dringend erforderlich gewesen.“
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Wegen der besonderen deutsch-russischen Geschichte sei zudem zu sehr das Verbindende in den Mittelpunkt gerückt worden, wodurch „der Blick für das Trennende getrübt“ wurde. Deutschland habe zudem nicht ausreichend auf Russlands immer aggressiveres Auftreten in der Außenpolitik reagiert. Stattdessen habe Deutschland sich energiepolitisch in eine einseitige Abhängigkeit von Russland begeben.
Als Konsequenz aus den Fehlern im Umgang mit Russland schlagen die SPD-Experten eine vorausschauende Außen- und Sicherheitspolitik mit einem „Denken in Szenarien“ vor. „Wir müssen Trends frühzeitig erkennen und entsprechend mögliche Handlungsoptionen aufzeigen.“ Hinter dem Ansatz steht das Bestreben auch die militärischen Fähigkeiten der Sicherheits- und Verteidigungsbündnisse stärker in den Blick zu nehmen.
Für SPD bedeutet dies auch, dass die Bundeswehr so ausgestattet sein müsse, dass sie ihre Aufgaben im Zusammenspiel mit EU und Nato „jeder Zeit vollumfänglich“ erfüllen könne. Das 100 Milliarden schwere Sondervermögen für die Truppe versteht die Partei dabei als klare Botschaft an die Bündnispartner, dass Deutschland zu „mehr Verantwortung für die Durchsetzung unserer gemeinsamen Interessen im Sinne einer wertebasierten Friedensordnung“ bereit sei.
Die Flugzeuge aus US-Produktion gehören zu den größten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr.
Die SPD verbindet dies mit der Zusage, künftig zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. Allerdings sieht die Partei auch auf europäischer Ebene Handlungsbedarf, weil Anspruch und Wirklichkeit einer verteidigungsfähigen EU noch weit auseinanderklafften. Insbesondere die Amtszeit des früheren US-Präsidenten Donald Trump habe deutlich gezeigt, dass Europa sich souveräner aufstellen und mehr in die eigene Sicherheit investieren müsse.
Sozialdemokraten wollen gemeinsame europäische Rüstung
Konkret schwebt der SPD vor, die europäische Säule in der Nato zu stärken und die militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten der EU auszubauen. Voraussetzung sei allerdings, dass die Europäische Union „die ineffiziente und ineffektive Zersplitterung in ihrer Verteidigungspolitik überwindet“. Es sei „schon lange nicht mehr zeitgemäß“, dass die 27 EU-Mitgliedstaaten alle ein eigenes Beschaffungswesen unterhalten, eine Vielzahl unterschiedlicher Waffensysteme besitzen, eigene Rüstungskonzerne mit Aufträgen versorgen und mit ihnen über die Waffen der Zukunft verhandeln.
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Notwendig seien vielmehr gemeinsame, europäische Verteidigungsanstrengungen und mehr Zusammenarbeit in Produktion und Beschaffung. Als wegweisend sehen die Außenpolitikexperten in dieser Hinsicht die Initiative der Bundesregierung zum Aufbau eines europäischen Luft- und Raketenabwehrsystems.
Die im vergangenen Jahr gestartete sogenannte European Sky Shield Initiative soll helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Schutzschirm für Europa zu schließen. Anlass ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach Einschätzung der Nato macht das Vorgehen Russlands zusätzliche Anstrengungen bei der Luftverteidigung notwendig. Bislang war die Raketenabwehr in Europa vor allem auf mögliche Bedrohungen aus dem Iran ausgerichtet.
Darüber hinaus halten die SPD-Experten es für geboten, dass Europa sich konventionell gegen Angriffe auch hybrider Natur unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs verteidigen können und entsprechende Abschreckungsfähigkeiten aufweisen müsse. Neben einer gemeinsamen Beschaffung seien hierfür auch gemeinsame Mindeststandards für Rüstungsexportkontrollen, koordinierte Verteidigungsausgaben, eine schnelle Eingreiftruppe und „ein echtes EU-Hauptquartier für eine klare Führungsstruktur“ notwendig.
„De-Coupling“: SPD lehnt eine völlige Lösung von China ab
Auch die deutschen Beziehungen zu China spielen in der außenpolitischen Neuaufstellung der SPD eine entscheidende Rolle. Ein „De-Coupling“, also eine völlige Lösung von China sei nicht die richtige Antwort, heißt es dem Außenpolitik-Papier der Parteispitze. „Stattdessen brauchen wir eine europäische Resilienzstrategie, die Risiken verringert (De-Risking), auch mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur in Europa.“
Wirtschaftliche Abhängigkeiten von China müssten minimiert werden, „beispielsweise bei der Rohstoff-Beschaffung nach dem Prinzip ‘China plus eins’, bei dem wir neben China immer auch einen alternativen Lieferanten haben“, heißt es. Man müsse deutschen Unternehmen Anreize geben, damit sie ihre Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte auf andere Staaten ausbauten. Nach dem deutschen Lieferkettengesetz müsse auch auf europäischer Ebene untersagt werden, dass aus Zwangsarbeit entstandene Produkte importiert werden dürfen.
Der Blick der Parteispitze auf China fällt damit deutlich kritischer aus als früher. Peking strebe nach wirtschaftlicher und militärischer Dominanz im indopazifischen Raum und wolle das internationale System zu Gunsten Chinas umbauen, heißt es. „Der Dialog mit China sollte gesucht und robust und konstruktiv-kritisch geführt werden“, wird in dem Papier deshalb gefordert.
Menschenrechtsverstöße und Protektionismus müssten angesprochen werde. Zwar bleibe es bei der Ein-China-Politik, aber Peking müsse klar gemacht werden, dass die Taiwan-Frage nur mit friedlichen Mitteln gelöst werden könne. Der demokratische Inselstaat Taiwan wird von China als abtrünnige Provinz angesehen.
Zugleich wird eine gemeinsame europäische Chinapolitik eingefordert. „Europa darf sich nicht von Peking auseinanderdividieren lassen, sondern muss seine geopolitische Macht nutzen und mit einer Stimme für Europas Interessen und Werte sprechen.“
Mehr: Die aktuellen Entwicklungen im Ukrainekrieg im Newsblog
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