Paris Als Olaf Scholz in Paris aus seiner Staatslimousine stieg, schleuste ihn Emmanuel Macron direkt zu einem weißen Zelt, das für das deutsch-französische Regierungstreffen im Ehrenhof des Élysée-Palastes aufgestellt worden war. Der Kanzler und der Präsident begutachteten dort Beispiele für die industrielle Kooperation zwischen beiden Ländern: ein Wasserstoffprojekt von Siemens und Air Liquide, das Modell einer von Airbus entwickelten Drohne für das zukünftige Luftkampfsystem FCAS, ein Raketenmotor der Ariane Group.
Die Industriepolitik war am Sonntag eines der zentralen Themen des deutsch-französischen Ministerrats. Es ging auch darum, wie die EU auf die US-Subventionen für grüne Technologien antworten sollte, die in Europa Sorgen vor Produktionsverlagerungen und Arbeitsplatzverlusten ausgelöst hatten. Die gemeinsame Position reichte jedoch nicht so weit, wie es sich die Franzosen gewünscht hatten.
In der Abschlusserklärung forderten Berlin und Paris ein „zügiges und ehrgeiziges europäisches Handeln“, das „Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit“ der europäischen Industrie gewährleisten und zugleich „faire Wettbewerbsbedingungen unter den EU-Mitgliedstaaten“ garantieren müsse. Der Text bleibt allerdings vage.
Die Rede ist von „vereinfachten und beschleunigten Verfahren für staatliche Hilfen“. Außerdem müsse eine „ausreichende Finanzierung“ sichergestellt werden, dafür müssten „die verfügbaren finanziellen Mittel und Finanzinstrumente“ in der EU genutzt werden. Außerdem solle die Europäische Investitionsbank „eine höhere Risikofinanzierung für Unternehmertum und Innovationen bereitstellen“, heißt es in der Erklärung.
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Die französische Regierung hatte im Vorfeld des Treffens sehr weitreichende Ideen entwickelt, darunter auch neue europäische Finanzierungsmittel, um die europäische Industrie zu unterstützen. Dieser Punkt stieß aber insbesondere im FDP-geführten Bundesfinanzministerium auf Widerstand. Hier werden neue gemeinschaftliche Schulden in der EU gefürchtet. Paris hatte auch für europäische Produktionsziele in strategischen Branchen und für die Bevorzugung europäischer Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge geworben.
Scholz erwartet Einigung in den nächsten Monaten
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz sagte Macron, dass er dennoch eine „echte Konvergenz“ zwischen Frankreich und Deutschland bei der Antwort auf die Subventionen des amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) sehe. Nun gehe es darum, „gute europäische Finanzierungsmechanismen“ finden, die für die Wirtschaft „so einfach wie möglich“ abzurufen seien und einen vergleichbaren Umfang wie die Staatshilfen in den USA haben müssten.
Wir müssen Sorge tragen, dass wir als EU nicht schlechter behandelt werden als die unmittelbaren Nachbarn Kanada und Mexiko. Bundeskanzler Olaf Scholz
Scholz sagte, es sei notwendig, eine europäische Antwort auf den IRA zu formulieren. „Wir müssen Sorge tragen, dass wir als EU nicht schlechter behandelt werden als die unmittelbaren Nachbarn Kanada und Mexiko“. Der Kanzler zeigte sich zuversichtlich, dass in den kommenden Monaten dazu eine Verständigung mit den USA bei diesem Thema möglich sei. Zugleich müssten die „viel zu bürokratischen“ Regeln für die Förderung von Unternehmen in der EU geändert werden.
Nach der kurzfristigen Absage des Ministerrats im Herbst, die ein Schlaglicht auf das zuletzt arg strapazierte deutsch-französische Verhältnis geworfen hatte, bemühten sich Berlin und Paris am Sonntag um Einigkeit. Das Harmoniebedürfnis war auch deshalb groß, weil das Treffen von Scholz und Macron mit ihrer jeweiligen Ministerriege am 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags stattfand. Das Abkommen schuf einst die Grundlage für die engen deutsch-französischen Beziehungen.
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In der Abschlusserklärung bekannten sich Deutschland und Frankreich dazu, gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine „unsere Bande in allen Bereichen“ zu stärken. Dazu gehöre die „Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten“ mit den deutsch-französischen Rüstungsprojekten.
Nach der Einigung auf die nächste Projektphase beim Luftwaffensystem FCAS müsse man nun auch beim Bodenkampfsystem MGCS mit dem Panzer der Zukunft vorankommen. „Zusätzlich zu großen Rüstungsvorhaben vereinbaren wir, die gemeinsame Arbeit in den Bereichen Cyber und Weltraum zu intensivieren“, hieß es weiter.
Im Energiebereich verpflichteten sich beide Länder, „mehr in die Technologien der Zukunft zu investieren, insbesondere in erneuerbare und kohlenstoffarme Energien“. Vor allem bei der Windkraft wollen die Regierungen stärker zusammenarbeiten, „um das Offshore-Windpotenzial der Nordsee zu einem Eckpfeiler wettbewerbsfähiger Strompreise und Wasserstofferzeugung zu machen“.
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Zugleich werden in der Abschlusserklärung die „Achtung des Prinzips der Technologieneutralität“ und die „Anerkennung der Unterschiede zwischen unserer jeweiligen nationalen Energieerzeugung“ hervorgehoben – ein Verweis auf die Differenzen beim Umgang mit der Atomkraft, die Frankreich ausbauen will. Wie trotz dieser Unterschiede eine gemeinsame Strategie bei der Erzeugung von Wasserstoff gefunden werden kann, soll eine Arbeitsgruppe klären. Deutschland soll auch an die geplante Wasserstoffpipeline von Spanien durch das Mittelmeer nach Frankreich angebunden werden.
Kanzler und Präsident fordern selbstbewussteres Auftreten Europas
Beim Festakt zum Jahrestag des Élysée in der Universität Sorbonne, an dem auch Abgeordnete des Bundestags und der französischen Nationalversammlung teilnahmen, hob Scholz die deutsch-französische Bedeutung für die EU hervor. Zusammen seien beide Länder eine „Kompromissmaschine“, sagte er. Macron sagte in seiner Festrede, dass Deutschland und Frankreich „Pioniere für eine Neugründung Europas“ sein müssten, bei der es um mehr Souveränität bei Energie und Verteidigung sowie „Innovation und Zukunftstechnologien“ gehen müsse.
Der Kanzler und der Präsident forderten ein selbstbewussteres Auftreten der Europäer in der Welt. Beide bekräftigten auch ihre Unterstützung für die Ukraine gegen die russischen Angreifer. „Putins Imperialismus wird nicht siegen“, sagte Scholz. „Wir werden die Ukraine weiter unterstützen – so lange und so umfassend wie nötig.“
Die von Berlin bislang unbeantwortete Bitte der Ukrainer, ihnen Leopard 2-Kampfpanzer zu liefern, erwähnte der Kanzler dabei aber nicht. Bei der Pressekonferenz sagte Scholz lediglich, die Bundesregierung wolle „eng abgestimmt“ mit seinen Verbündeten handeln.
Am Freitag hatten die westlichen Verbündeten der Ukraine umfangreiche Waffenlieferungen beschlossen. Allerdings konnte nicht geklärt werden, ob und welche Länder Kampfpanzer liefern. Scholz will, dass sich auch die USA an einem solchen Schritt beteiligten. Diese haben es bisher abgelehnt, ihre Abrams-Kampfpanzern an die Ukraine abzugeben. Damit wächst der Druck auf Deutschland, den Weg für Leopard-Lieferungen freizumachen.
Frankreich prüft derzeit eine Lieferung von Leclerc-Kampfpanzern, das französische Pendant zum Leopard 2. „Nichts ist ausgeschlossen“, sagte Macron auf die Frage, ob er der Bitte der Ukraine nachkommen werde. Seine Regierung werde sie sich ebenfalls eng mit den Verbündeten abstimmen, „und dann werden wir in den nächsten Tagen und Wochen sehen.“
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