Jan 23, 2023
60 Views
Comments Off on Verwaltungsrecht: Experten kritisieren schnellere Gerichtsverfahren bei Infrastrukturprojekten
0 0

Verwaltungsrecht: Experten kritisieren schnellere Gerichtsverfahren bei Infrastrukturprojekten

Written by Heike Anger

Berlin Schnellere Gerichtsverfahren bei Streitigkeiten um wichtige Infrastrukturprojekte – dieser Plan der Bundesregierung stößt bei Experten auf Kritik. So kommt Ulrike Bick, Richterin am Bundesverwaltungsgericht, zu dem Schluss: „Die meisten der vorgeschlagenen Regelungen werden aus meiner Sicht nicht zu einer Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens führen – im Gegenteil.“ Von dem Entwurf solle daher Abstand genommen werden.

Künftig sollen Gerichtsverfahren zu solchen Projekten Vorrang vor anderen Verfahren erhalten. Vorgesehen ist auch, dass Richter künftig formale Mängel des umstrittenen Verwaltungsakts außer Acht lassen können, wenn klar sei, dass diese Mängel „in absehbarer Zeit“ behoben würden.

Eingeführt werden soll zudem eine Klageerwiderungsfrist von zehn Wochen sowie ein obligatorischer „früher erster“ Erörterungstermin, bei dem die Richter vor allem die Möglichkeiten einer „gütlichen Beilegung des Rechtsstreits“ ausloten sollen.

Top-Jobs des Tages

Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.

Bislang einziger Plan zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren

Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hatte sich zum Ziel gesetzt, Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen und deren Dauer zu halbieren. Bislang können sich das Bundesumweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) und das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) jedoch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Buschmanns Vorstoß zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren ist der einzige Teil des Pakets, der bislang auf den Weg gebracht wurde.

Doch in der Sache gibt es Kritik. So von Richterin Bick, die beim Bundesverwaltungsgericht als Vorsitzende des Neunten Senats für zahlreiche große Straßenprojekte und die „Feste Fehmarnbeltquerung“ zwischen Dänemark und Deutschlang erst- und letztinstanzlich zuständig ist.

In ihrer Stellungnahme als Sachverständige zur öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am Montag bezeichnete sie den Entwurf von Minister Buschmann als „praxisfremd“.

Die „wahren Gründe“ für die erheblich zu lange Planungsdauer großer Infrastrukturprojekte würden ausgeblendet. Sie seien vor allem auf die unzureichende Personalausstattung der Planungsbehörden und die zu hohe Fluktuation zurückzuführen. Es gebe kaum noch „Planungsexperten“ auf Verwaltungsebene. Zu dieser Einschätzung kommen auch andere Sachverständige.

>> Lesen Sie hier: Infrastruktur, Bürokratie, Energiekosten und Steuerlast: Deutschlands Standortqualität lässt nach

Zudem führt laut Bick der Einfluss von EU- und Völkerrecht zu immer weiter steigenden Anforderungen an die Planung, was auch die Gerichtsverfahren verzögere. Die Gerichte hätten ebenfalls mit einer unzureichenden Personalausstattung zu kämpfen.

Verwaltungsrechtler halten Vorhaben für verfassungswidrig

Die Richterin zeigte sich überzeugt: „Einige der neuen Regelungen würden mit Sicherheit zu einer deutlichen Verzögerung führen.“ So unterschätze ein obligatorischer früher erster Termin „völlig den zeitlichen, personellen und organisatorischen Aufwand“. Zugleich würden die Möglichkeiten für einen Vergleich überschätzt. Hier gebe es mangels „Verhandlungsmasse“ kaum Potenzial.

Schon vor der Anhörung hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem unveröffentlichten Schreiben an das Bundesjustizministerium, das dem Handelsblatt vorliegt, vor den Plänen gewarnt.

Die Leipziger Fachanwältin für Verwaltungsrecht Franziska Heß, die bereits im Auftrag des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) eine schriftliche Stellungnahme erarbeitet hatte und nun vom Ausschuss als Sachverständige geladen war, hält den Entwurf für „unionsrechtswidrig und zudem verfassungswidrig“.

>> Lesen Sie hier: Bauindustrie schreibt Brandbrief an Verkehrsminister – Bürokratie führt zu Bau-Stopps

Das bezieht sich darauf, dass die Gerichte künftig Verfahrens- oder Formfehler außer Acht lassen sollen. Heß meint, trotz letzter Änderungen am Entwurf sei auch eine Außerachtlassung schwerwiegender Verstöße gegen das nationale und europäische Umweltrecht möglich.

Der Vorsitzende des Bunds Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, Robert Seegmüller, warnte vor dem Rechtsausschuss vor der Einführung einer Klageerwiderungsfrist. Dies werde „voraussichtlich nicht nur zu erheblicher Mehrarbeit bei den Gerichten und zu einer Verlängerung der Verfahrenslaufzeiten führen“, auch die Realisierung rechtmäßiger Vorhaben könne dadurch dauerhaft verhindert werden.

Denn trete die Verwaltung den Einwendungen der Klägerseite nicht innerhalb der Erwiderungsfrist entgegen, „muss das Gericht diese Einwendungen, ähnlich wie im Zivilprozess, als zugestanden behandeln und in der Folge auch rechtmäßige Planfeststellungsbeschlüsse für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklären“.

Peter Wysk, ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, der nun an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, fasste zusammen: „Einige Regelungen sind redundant, andere verschlechtern eine gute Praxis, wieder andere werden den Gesetzeszweck der Verfahrensbeschleunigung sogar konterkarieren.“ Der Entwurf solle in der vorliegenden Gestalt nicht Gesetz werden.

Schon im Bundestag waren Buschmanns Pläne bei einer ersten Debatte am vergangenen Donnerstag kritisiert worden. So befürchtete der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer eine „Verschlimmbesserung“ wegen schwammiger Formulierungen im Gesetzentwurf. Den Gerichten drohe Doppelarbeit.

Richterin: „Keine Beschleunigungsmöglichkeiten“

Justizminister Buschmann selbst sprach hingegen von einem „ersten wichtigen Schritt“ zur Modernisierung des Landes. Angesichts der Bedeutung einer neuen Energieinfrastruktur, die Deutschland unabhängig von Wladimir Putin mache, sei dies auch „ein Beitrag zur Freiheit“.

Bundesverwaltungsrichterin Bick präsentierte dem Rechtsausschuss am Montag die nackten Zahlen: Die Verfahrensdauer betrage in Hauptsacheverfahren durchschnittlich 13 Monate, in Planfeststellungs-Eilverfahren durchschnittlich vier Monate. In besonders eilbedürftigen Fällen entscheide das Gericht auch innerhalb weniger Tage, Wochen oder Monate. Abgesehen von der Schlussphase sehe sie keine Beschleunigungsmöglichkeiten, so Bick.

Mehr: Auf Deutschlands Baustellen geht nichts voran



<< Den vollständigen Artikel: Verwaltungsrecht: Experten kritisieren schnellere Gerichtsverfahren bei Infrastrukturprojekten >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.