Jan 24, 2023
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Migration: „Belastungsgrenze vielfach überschritten“ – Kommunen sorgen sich wegen Geflüchteter um gesellschaftlichen Zusammenhalt

Written by Dietmar Neuerer


Berlin Vertreter von Kommunen halten die derzeitige Flüchtlingssituation für kaum noch beherrschbar. „Viele Städte und Gemeinden sind bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen längst an ihrer Leistungsgrenze“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, dem Handelsblatt.

Es würden teilweise Hotelzimmer angemietet, zudem würden Notunterkünfte in Turnhallen, aber auch in frei stehenden Gebäuden in Gewerbegebieten eingerichtet. „Das lässt sich nicht mehr beliebig ausweiten.“ Landsberg mahnte, das Thema müsse in der Bundesregierung endlich zur „Chefsache“ erklärt werden.

Auch der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, sieht Handlungsbedarf. Ein „Krisentreffen“ mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei überfällig. „Vielfach bereits überschritten“ sei die Belastungsgrenze durch die Flüchtlingsaufnahme in den Landkreisen. „Die Situation vor Ort ist nicht einfach, dies stellt auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt infrage“, sagte Sager dem Handelsblatt.

Die Sorgen der Kommunen sind leicht nachvollziehbar, wenn man die Statistik bemüht. So zeigt beispielsweise ein vertraulicher „Situationsbericht zur Migration und Flüchtlingslage“ der EU-Kommission, dass in Europa die Bundesrepublik das beliebteste Ziel von Flüchtlingen ist. Die Zahl der Asylanträge sei gegenüber 2021 um ein Drittel und damit auf den höchsten Wert seit 2016 gestiegen.

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Hinzu kommt ein Vielzahl Schutzsuchender aus der Ukraine. Bis zum Jahresende 2022 kamen von dort über eine Million Geflüchtete in Deutschland an, überwiegend Frauen und Kinder. Es ist ein doppeltes Dilemma, mit dem sich Deutschland konfrontiert sieht.

Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern funktioniert nur schlecht

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) brachte die Herausforderung kürzlich auf den Punkt: Mit der Aufnahme von Ukraineflüchtlingen ende die humanitäre Verantwortung Deutschlands nicht. „Wir sind dem internationalen Recht verpflichtet“, sagte Faeser und verwies dabei auf den Umstand, dass auch in anderen Teilen der Welt Menschen auf der Flucht vor Krieg und Terror seien. Dies spiegele sich in den deutlich gestiegenen Zahlen der im Jahr 2022 gestellten Asylanträge wider.

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Die Situation bereitet auch der Ampelkoalition Sorgen. „Die Lage ist angespannt, insbesondere Wohnraum ist in Deutschland knapp“, sagte der SPD-Migrationspolitiker Lars Castellucci. Der FDP-Abgeordnete Stephan Thomae ergänzte: „Die Flüchtlingssituation ist besorgniserregend.“ Die Aufnahmekapazitäten der Kommunen seien erschöpft.

Thomae rechnet damit, dass der Strom der Flüchtlinge wohl erst mal nicht abreißen werde. Einen Krisengipfel beim Kanzler sieht der FDP-Politiker aber genauso skeptisch wie sein SPD-Kollege, weil in der Flüchtlingsfrage nicht nur Deutschland gefordert sei. „Um eine wirklich tragfähige Lösung zu finden, ist ein europäischer Flüchtlingsgipfel notwendig“, sagte Thomae.

Der FDP-Politiker sieht aber auch nationale Möglichkeiten, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. „Es ist es wichtig, Asylverfahren zu beschleunigen und Menschen ohne Bleibeperspektive zügig in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, um die Kommunen zu entlasten“, so Thomae.

Die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern ist eine größere Aufgabe und funktioniert bislang kaum, wie Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeigen. Die Behörde hat im vergangenen Jahr 68.709 Rückübernahmeersuchen an andere Länder gestellt, zurückgenommen wurden aber nur 4158 Personen. „Das sogenannte Dublin-Verfahren, wonach Asylbewerber grundsätzlich in dem Land bleiben müssen, in dem sie ankommen und einen Asylantrag stellen, wird in der Praxis kaum umgesetzt“, bemängelte Städtebund-Chef Landsberg.

Flüchtlingsverteilung ist ein Dauerthema in der EU

Als Konsequenz verlangte er, auf der EU-Ebene endlich zu einer angemessenen und fairen Flüchtlingsverteilung zu kommen. „Europa muss die Flüchtlingsfragen langfristig und nachhaltig im gemeinsamen Konsens lösen“, sagte er. Auch Landkreistag-Präsident Sager mahnte: „Wir brauchen endlich spürbare Fortschritte bei der EU-weiten Verteilung von Geflüchteten.“

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Die Flüchtlingsverteilung ist ein Dauerthema in der EU. Bis heute gibt es keine zufriedenstellende Lösung, auch weil mehrere osteuropäische Länder eine verbindliche Verteilung der Flüchtlinge per Quote auf die EU-Staaten ablehnen. Es ist damit jedem Land selbst überlassen, ob und in welcher Größenordnung es Flüchtlinge aufnimmt.

Der Ampel ist denn auch daran gelegen, kurzfristig auf den Hilferuf der Kommunen zu reagieren. „Wir müssen darüber sprechen, wie wir die Flüchtlinge, die hier Schutz suchen, unterbringen und versorgen können“, sagte Thomae.

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Der SPD-Politiker Castellucci versicherte, die Bundesregierung sei mit allen Beteiligten im „engen Kontakt“. In den Kommunen bestehe „ganz grundsätzlich Handlungsbedarf“, fügte er hinzu. „Sie sind unterfinanziert, zum Teil hochverschuldet, und alles kommt bei ihnen an.“ Das gehöre ganz sicher auf die Tagesordnung.

Regierungsangaben zufolge hat der Bund die Länder und Kommunen allein im Jahr 2022 finanziell mit 3,5 Milliarden Euro unterstützt. Für dieses Jahr sind weitere 2,75 Milliarden Euro vereinbart. Ob die Mittel reichen werden?

Landkreistag für begrenzten Zuzug von Asylbewerbern

Landkreistag-Präsident Sager forderte die Länder auf, verstärkt mit eigenen Einrichtungen mehr Flüchtlinge selbst unterzubringen, „um Druck von den örtlichen Strukturen zu nehmen“. Städtebund-Chef Landsberg plädierte für eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern, um die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen deutlich auszuweiten.

Der Bund stelle zwar teilweise Liegenschaften wie ehemalige Kasernen zur Verfügung. „Diese sind aber zumeist nicht in einem Zustand, dass dort sofort Menschen untergebracht werden können.“ Häufig seien zusätzliche Baumaßnahmen erforderlich, die „erhebliche Mittel“ binden würden.

Sager befürwortet zudem eine Begrenzung des Zuzugs von Migranten – eine Forderung, die auch von der Union kommt. „Der Bund muss sofort den weiter stattfindenden Zustrom begrenzen, die europäischen Außengrenzen müssen geschützt und die Rückführungen innerhalb der EU deutlich verstärkt werden“, sagte Sager mit Blick auf die Zuwanderung insbesondere aus Afghanistan und Syrien.

Einen begrenzten Zuzug von Asylbewerbern lehnt die Ampel ab. „Ohne Zuzug können wir unseren Wohlstand nicht halten“, sagte der SPD-Abgeordnete Castellucci. Überall fehlten Arbeitskräfte.

Mehr: So machen es die anderen: Wie man Bürger eines EU-Staates wird



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