Rom Campobello di Mazara, ein Örtchen im Nordwesten Siziliens, hat nur um die 11.000 Einwohner. Einer davon war wohl über Jahre einer der meistgesuchten Verbrecher der Welt: Matteo Messina Denaro, 60 Jahre alt, Chef des Cosa-Nostra-Clans, verantwortlich für diverse Morde.
Vor einer Woche wurde Denaro in Palermo festgenommen, nach 30 Jahren auf der Flucht. Seitdem versuchen die Antimafia-Behörden herauszufinden, wie groß das Netz von Beschützern war – und ob sich Denaro gar die ganze Zeit über in seiner Heimat aufhielt. Drei Verstecke sind schon gefunden worden, alle in dem Dorf, anderthalb Autostunden von Palermo entfernt.
Es ist schwer vorstellbar, dass die Menschen vor Ort nicht gemerkt haben, wer hier Unterschlupf gesucht hat. „Wenn ihn nicht so viele gedeckt hätten aus Zuneigung, aus Freundschaft, aus Angst, wäre er schon viel früher geschnappt worden“, wird der Pfarrer von Campobello von italienischen Medien zitiert. Juwelen hat die Polizei gefunden, Rechnungen über 700 Euro in Luxusrestaurants, etliche Dokumente, Post-its mit Namen und Telefonnummern.
Denaro sei bis zuletzt ein Boss „mit Kontakten und finanziellen Mitteln“ gewesen, erklärte der Chefankläger. Zwar feiert der Staat die Verhaftung des meistgesuchten Mafioso als großen Erfolg. Der Fall zeigt aber auch, wie mächtig und einflussreich die Mafia-Clans auch heute noch sind.
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In einem der Verstecke stießen die Ermittler auf einen Kühlschrank mit Magneten des berühmtem Films von Francis Ford Coppola „Der Pate“. „Il padrino sono io“, der Pate bin ich, stand auf einem. Im Wohnzimmer hingen Poster von Al Pacino und Marlon Brando, den Hauptdarstellern der Mafia-Saga. Große Bargeldmengen oder Tresore fand die Spurensicherung bislang nicht – dabei wird Denaros Vermögen auf vier bis fünf Milliarden Euro geschätzt.
Seit Monaten ließ sich der Cosa-Nostra-Chef unter dem Scheinnamen Andrea Bonafede wegen Darmkrebs behandeln. Die erste Operation soll schon auf den 13. November 2020 datieren, spätestens seitdem soll er wieder in seiner Heimat leben. Seine Erkrankung führte am Ende auch zur Verhaftung: Am 16. Januar wollte sich Denaro einer Chemotherapie unterziehen, dort griffen die Beamten zu. Seitdem sitzt er in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Der Mann, der ihn zur Klinik gefahren hat, heißt Giovanni Luppino. „Ich kannte ihn nur als Francesco“, erklärte er den Ermittlern, die ihn ebenfalls festnahmen. An der Geschichte gibt es Zweifel: Luppino, ein Agrarunternehmer, hat direkt neben einem von Denaros Verstecken gewohnt. Die Polizei fand bei ihm ein Klappmesser und zwei ausgeschaltete Handys – ein Indiz dafür, dass er Telefonüberwachung vermeiden wollte.
Unter Verdacht steht auch der aus Campobello stammende Arzt Alfonso Tumbarello, der Denaro jahrelang behandelt haben soll. Zu seinen Unterstützern soll auch der Politiker Antonio D’Alì zählen. Er war von 1994 bis 2018 Senator im Parlament, zwischendurch Staatssekretär im Innenministerium und Präsident der Provinz Trapani – aus der auch Denaro kommt. Im Dezember vergangenen Jahres wurde D’Alì wegen Mafia-Verstrickungen zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Auch der ehemalige Bürgermeister von Castelvetrano, einem Nachbarort von Campobello, könnte zu den Mitwissern zählen. Der Mann, der immer wieder mit Denaro in Kontakt gestanden haben soll, verstarb allerdings bereits vor zwei Jahren.
Mafia-Clans machen in fünf Jahren 200 Milliarden Euro Umsatz
Roberto Scarpinato spricht von einer „Systemfrage“. Er war in den Neunzigern leitender Staatsanwalt in Palermo, steht seit 1989 unter Polizeischutz. Seit der Wahl im September sitzt der 71-Jährige als Senator im Parlament.
Im Interview mit „La Repubblica“ erhebt er schwere Vorwürfe: Denaro sei nicht nur von Menschen vor Ort und in den Institutionen beschützt worden, sondern womöglich auch aus Kreisen der Polizei. „Mehrmals ahnten wir, dass er wusste, wie die Ermittlungen gegen ihn vorangingen“, erinnert sich Scarpinato. Die Überwachung von Denaros Mutter und seiner Schwester habe einmal abgebrochen werden müssen, weil die Ermittler von einer Polizeistreife aufgehalten worden seien.
In den Achtzigern und Neunzigern war die Mafia noch blutig. Allein 1991 starben mehr als 1900 Menschen, ein bis dato trauriger Rekord. Bei den tödlichen Anschlägen auf die berühmten Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino soll der damals 30-jährige Denaro schon zu den Strippenziehern gehört haben.
Mitte der Neunziger kam dann der Paradigmenwechsel, die Ära des „stillen Eintauchens“ begann. Damit ist das Unterwandern der Realwirtschaft gemeint, von Immobilienfirmen, Restaurants und Hotels, von Industriebetrieben. All die Firmen braucht es, um die Milliarden aus dem Drogengeschäft, mittlerweile das größte Standbein, reinzuwaschen.
Laut einer Studie der italienischen Notenbank sollen die großen Mafia-Clans in Italien in fünf Jahren einen Umsatz von 200 Milliarden Euro gemacht haben. Demgegenüber stehen rund 35 Milliarden Euro an Immobilien, Unternehmen und Wertgegenständen, die die italienische Mafiabehörde DIA konfisziert hat. Allein im vergangenen Halbjahr gab es laut den Behörden knapp 69.000 verdächtige Banktransaktionen im Land, knapp 10.500 davon hatten einen bestätigten Bezug zur Mafia.
Mehr: Die Mafia schielt auf die Hilfsmilliarden der EU – kann Italien das noch verhindern?
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