Berlin Eine Gruppe mittelständischer Unternehmer will eine Plattform schaffen, um den Dialog mit den Grünen auszubauen und auf dem Weg zu Klimaneutralität bis 2045 schneller voranzukommen. Der Name des bereits eingetragenen Vereins: „Die Wirtschaftsvereinigung der Grünen e.V.“. Den Vorsitz hat Thomas Fischer, Chef und Gründer der Managementberatung Allfoye in Düsseldorf. Der Start ist für April geplant.
Derzeit organisiert sich das Bündnis. Eine Liste, die dem Handelsblatt vorliegt, führt 30 Unterstützerinnen und Unterstützer auf. Neben Fischer ist etwa Tatiana Ohm, Managerin beim Personaldienstleister Randstad Sourceright, engagiert. Mit von der Partie ist auch Wolfgang Bach, Geschäftsführer der Ejot Holding GmbH & CO KG, eines Anbieters von Verbindungselementen wie Schrauben für Kunststoffe und Metalle, ebenso Peter Heine, Geschäftsführer von Marley Deutschland, einem Anbieter von Produkten für den Heimwerkermarkt.
Es finden sich bislang allerdings kaum bekannte Namen – und kein großes Industrieunternehmen. Man sei noch „im Aufbau“, sagte Fischer dem Handelsblatt. Die Unternehmer wollten dazu beitragen, das wirtschaftspolitische Profil der Grünen zu schärfen. Dazu will der Verein die Interessen der Wirtschaft an die Grünen kommunizieren und so den Dialog herstellen. „Wir wollen ein starkes Deutschland, das nachhaltig wirtschaftet, klimaneutral erfolgreich. Nur so bleiben wir wettbewerbsfähig“, sagte Fischer.
Später soll die ganze Breite der Wirtschaft abgedeckt werden, vom großen Stahlhersteller bis hin zum Start-up. „Im Mittelstand sind das zu 98 Prozent Firmen, die kaum ein Mensch kennt, aber die den Standort Deutschland eben auch ausmachen“, sagte Fischer. „Bei uns versammelt sich nicht nur die Prominenz, sondern auch der große Mittelstand.“
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Darüber hinaus werde das Gespräch mit Dax-Konzernen gesucht, ergänzte er. „Auch ihr Interesse ist groß.“ Fast täglich, erklärt Fischer, kämen neue Mitglieder hinzu. Die Wirtschaft treibe das Thema um, wie der Weg zu Klimaneutralität 2045 zu managen ist. „Viele merken, dass die Grünen das Thema Nachhaltigkeit am ernsthaftesten voranbringen wollen.“
Grüne wollen wirtschaftspolitisches Profil schärfen
Der Anstoß für die Wirtschaftsvereinigung sei aus der Wirtschaft gekommen, berichtet Fischer. Die Partei- und Fraktionsspitze soll sich später in einem Beirat wiederfinden, ebenso die grünen Kabinettsmitglieder wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Die Grünen umwerben nicht erst Industrie- und Konzernchefs, seitdem ihr früherer Vorsitzender Habeck das Wirtschaftsministerium übernommen hat.
Die Grünen versuchen seit Jahren, ihr wirtschaftspolitisches Profil zu schärfen. Die Vorsitzende Ricarda Lang sieht die Grünen gar auf dem Weg zur „neuen Wirtschaftspartei“, wie sie im Dezember sagte. Ökonomische Debatten stünden im Zentrum progressiver Debatten – „während man sich auf CDU-Parteitagen vor allem mit dem Gendern beschäftigt“.
Derzeit scheint die Partei besonders in der jungen Unternehmergeneration damit zu punkten. In einer Umfrage, die der Bundesverband Deutsche Start-ups und die Beratungsfirma PwC jedes Jahr erhebt, waren die Grünen zuletzt unter allen Parteien die mit Abstand führende.
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Mehr als 50 Prozent der befragten Unternehmerinnen und Unternehmer gaben demnach im Sommer 2022 an, die Grünen wählen zu wollen. Vielen sei neben unternehmerischem Erfolg wichtig, positive ökologische Wirkung zu entfalten, sagte damals Magdalena Oehl, Vizechefin des Bundesverbands. „All das scheint in den Augen des Start-up-Ökosystems bei den Grünen am stärksten abgedeckt.“
Draht in die Wirtschaft
In der breiten Bevölkerung sind die Grünen damit aber noch nicht durchgedrungen. So steht die Union weiterhin mit Abstand vorn in der Frage, wem die höchste Kompetenz im Bereich Wirtschaft zugetraut wird. Laut Statista sehen 23 Prozent der Bürgerinnen und Bürger die Union vorn und neun Prozent die Grünen. Immerhin die auf Wirtschaftspolitik zugeschnittene FDP aber lassen die Grünen hinter sich. Sie kommt in der Umfrage lediglich auf sechs Prozent.
Die ganze Breite der Wirtschaft soll mit der Vereinigung abgedeckt werden, vom großen Stahlhersteller bis hin zum Start-up.
Dabei umwerben die Grünen nicht erst Industrie- und Konzernchefs, seitdem ihr früherer Vorsitzender Habeck das Wirtschaftsministerium übernommen hat. Bereits im Bundestagswahlkampf suchte man auch die Nähe zu Branchen, die von vermeintlich grüner Industriepolitik besonders betroffen wären – insbesondere zu energieintensiven Chemie- und Stahlunternehmen.
Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock warb gar für einen „Industriepakt“. Und Habeck setzte die Charmeoffensive später im Ministeramt fort. Er traf allerdings auch in der von hohen Energiepreisen belasteten Wirtschaft umstrittene Entscheidungen wie jene, Atomkraftwerke nicht über den Frühling hinaus weiterlaufen zu lassen. Der Unmut äußerte sich beispielsweise in lautstarkem Protest von Familienunternehmern vor dem Grünen-Parteitag Mitte Oktober.
Dass die Grünen nun auch mit einer Vereinigung stärker den Draht in die Wirtschaft suchen, ist deswegen nicht sonderlich überraschend. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte dem Handelsblatt, mit der Vereinigung „intensivieren und institutionalisieren wir den Austausch zwischen Partei und Wirtschaft darüber, wie wir den Standort Deutschland in eine klimaneutrale und wettbewerbsfähige Zukunft führen“.
Andere Parteien sind längst deutlich weiter mit teils prominent besetzten Wirtschaftsvereinigungen. Im Präsidium des CDU-nahen Wirtschaftsrats etwa sitzen Vorstandsmitglieder von Unternehmen wie Mercedes-Benz, Fraport und Deutsche Bank. Insgesamt hat die Vereinigung rund 12.000 Mitglieder, zehrte in den vergangenen Jahren allerdings auch von der Nähe zur CDU-geführten Regierung. Die zur Partei gehörende Mittelstandsvereinigung MIT ist ebenfalls einflussreich, zudem sucht die Fraktion mit dem Parlamentskreis Mittelstand den Kontakt zur Wirtschaft.
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Ähnlich ist es in der SPD und dem 2015 von dem früheren Tui-Vorstandsvorsitzenden Michael Frenzel gegründeten Wirtschaftsforum. Bereits 2018 hatte die Bundestagsfraktion der Grünen den Wirtschaftsbeirat gegründet, um den Dialog mit der Wirtschaft auszubauen und über einen klimafreundlichen Umbau zu diskutieren. Initiatorin war Kerstin Andreae, damals wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, heute Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW.
Einstellung gegenüber den Grünen
Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Thomas Gambke rief fast zeitgleich Ende 2018 den Wirtschaftsdialog ins Leben – einen unabhängigen Verein, der den Austausch zwischen Grünen und der Wirtschaft ebenfalls befördern soll. Damals waren die Grünen die kleinste Fraktion im Parlament.
Der Wirtschaftsbeirat bestand aus einem festen Kreis von rund 50 Personen, vor allem Manager und Unternehmer, aber auch Vertreter von Wirtschafts- und Branchenverbänden. Zwei- bis dreimal im Jahr fanden nicht-öffentliche Treffen statt. Mit von der Partie waren damals unter anderem Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns BASF mit Hauptsitz in Ludwigshafen am Rhein, und Hagen Pfundner, Vorstand des Schweizer Pharmakonzerns Roche mit drei Hauptstandorten und 16.000 Mitarbeitern allein in Deutschland. Doch während der Wirtschaftsbeirat seit dem Eintritt der Grünen in die Regierung erlahmt ist und in diesem Jahr neu aufgesetzt werden soll, ist Gambke, Chef des Wirtschaftsdialogs, weiter aktiv.
Ob Airbus, Bosch, Pfizer oder Siemens: Insgesamt 152 Unternehmen sind Fördermitglieder des Vereins, regelmäßig trifft der promovierte Physiker Gambke und frühere Industriemanager mit Unternehmern zusammen, die Kritik, aber auch Lob oder Anregungen loswerden wollen.
„Die Einstellung gegenüber den Grünen hat sich erheblich verändert“, sagt Gambke. „Das liegt vor allem daran, dass führende Grüne auf allen Ebenen seit Jahren die Bereitschaft zeigen, auf die Wirtschaft zuzugehen und sie als Teil der Lösung für eine klimaneutrale Zukunft zu begreifen.“
Dies erlebe er in vielen Gesprächen sowohl mit Regierungsvertretern und Fraktionsmitgliedern in Berlin wie in den Ländern als auch der Partei. „Die Wirtschaft wiederum sieht bei den Grünen eine hohe Lösungskompetenz, Gesprächsangebote werden gesucht und angenommen“, sagt er.
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Allerdings, schränkt Gambke ein, „sehe ich durchaus noch Skepsis gegenüber den Grünen allgemein“. Es gebe schon noch Bereiche, in denen sich ein Misstrauen gegenüber den Grünen zeigt und wo die Grünen immer noch als weniger kompromissbereit oder faktenorientiert gesehen würden.
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