Eine Aussage, die seither für internationale Schlagzeilen sorgt. Denn damit könnte die nach der EU größte Währungsunion der Welt entstehen – sollten alle Staaten Lateinamerikas die Währung annehmen. Fünf Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) entstehen in der Region. In der EU sind es 14 Prozent des globalen BIP.
Auch über den Namen der Währung sei schon nachgedacht worden, so Massa. Brasilien habe „Sur“, also „Süden“ auf Spanisch, vorgeschlagen. „Ich will keine falschen Erwartungen wecken“, betonte der Argentinier. „Aber es ist der erste Schritt einer langen Reise, die Lateinamerika machen muss.“
Tatsächlich hatten Lula und sein argentinischer Amtskollege Alberto Fernández einen ähnlichen Plan auch schon kürzlich in einem Meinungsartikel skizziert. Allerdings klangen dort die Pläne weit weniger ambitioniert. Geschaffen werden soll eine Währung, die primär als Verrechnungseinheit dienen soll. Die lokalen Währungen Real und Peso sollen also parallel weiter existieren.
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Ziel sei es, das schrumpfende Handelsvolumen zwischen den zwei größten Ökonomien in Südamerika zu vergrößern, so die Präsidenten. „Wir wollen die operationalen Kosten und die externe Abhängigkeit verringern“, schrieben sie.
Es gibt fast zwei Dutzend verschiedene Wechselkurse zum Dollar
In Südamerika sorgten die Ankündigungen gleichwohl für wenig Aufmerksamkeit. Schon seit den ersten Integrationsprojekten in Südamerika vor 50 Jahren befeuert die gemeinsame Währung immer wieder die Fantasien der Politiker – doch über mehr als Material für akademische Arbeiten kamen die Versuche nie hinaus.
Als „Zeitverschwendung“ kritisiert denn auch der brasilianisch-argentinische Ökonom Fabio Giambiagi die erneute Diskussion. Laut Giambiagi verhindern die fehlende staatliche Planung der Ökonomien durch die Regierungen sowie die unterschiedliche wirtschaftliche Situation in beiden Staaten die Entwicklung eines seriösen Währungsprojekts zum jetzigen Zeitpunkt.
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Die berechtigte Frage ist: Wie soll eine gemeinsame Währung funktionieren in einer Region, in der die Länder nicht einmal eine Freihandelszone bilden – geschweige denn einen gemeinsamen Markt?
Brasilien hat einen freien Wechselkurs und eine unabhängige Zentralbank. Argentiniens Zentralbank druckt auf Anweisung des Präsidenten Geld, um das Defizit im Haushalt auszugleichen. Dadurch hat sich die Peso-Menge in seinen drei Amtsjahren vervierfacht. Die Inflation in Argentinien beträgt 95 Prozent im Jahr. In Brasilien waren es 2022 knapp sechs Prozent.
Brasilien hat mehr als 300 Milliarden Dollar Devisenreserven und ist damit Gläubiger des Weltfinanzsystems. Argentiniens Devisenkasse ist fast leer. Mit rigiden Kapitalverkehrskontrollen verhindert die Regierung, dass die Argentinier Dollars kaufen.
Es gibt rund zwei Dutzend verschiedene Wechselkurse zum Dollar. Auf dem Schwarzmarkt ist der Dollar rund doppelt so viel Wert wie zum offiziellen Kurs. Zudem hat das Land mehr als 40 Milliarden Dollar Schulden beim Internationalen Währungsfonds.
Und auch die Handelsströme zwischen den beiden Ländern haben an Bedeutung eingebüßt: Nur noch knapp fünf Prozent der brasilianischen Exporte gehen nach Argentinien. Beide Länder sind vor allem Agrar-, Energie- und Rohstofflieferanten für China geworden.
Der Mercosur ist nicht viel mehr als eine löchrige Zollunion
Einen gemeinsamen Markt gibt es nicht, nicht einmal eine Freihandelszone. Im Mercosur, der Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, gibt es zahlreiche Produkte und Dienstleistungen, deren Einfuhren mit hohen Zöllen belegt sind. Viel mehr als eine löchrige Zollunion ist der Staatenbund bis heute nicht. Mit den anderen Ökonomien Südamerikas ist die wirtschaftliche Integration noch weniger fortgeschritten.
Für Ökonom Giambiago könnte lediglich der Versuch einer gemeinsamen Verrechnungseinheit in Lateinamerika Sinn machen. „Doch es gibt bereits den Dollar, mit dem das perfekt funktioniert“, sagt Giambiago. Auch gibt es bereits die Möglichkeit, Im- und Exporte in lokaler Währung zu bezahlen. Warum solle man das Rad mit einem Dollar des Südens neu erfinden, fragt Giambiagi.
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Es ist wohl vor allem ein politischer Grund, warum nun erneut über eine gemeinsame Währung diskutiert wird. Präsident Lula will nach seiner Wiederwahl die politische und wirtschaftliche Integration in Lateinamerika vorantreiben. Brasilien konzentriert mehr als die Hälfte der Wirtschaftskraft und Bevölkerung des Doppelkontinents auf sich. Lula will mit der Einheit in der Region das geopolitische Gewicht Lateinamerikas in der Welt erhöhen – so, wie ihm das in seinen ersten zwei Regierungen gelungen ist.
Dazu passt, dass der Lula-Vertraute und Finanzminister Fernando Haddad bereits im April letzten Jahres mit Gabriel Galípolo, seinem wichtigsten Staatssekretär, einen Artikel zum Thema veröffentlicht hat. Danach soll die gemeinsame Währung „Sur“ von einer südamerikanischen Zentralbank emittiert werden, jedoch nicht die bestehenden Währungen ablösen.
Die Aufgabe des „Sur“ definieren sie dabei so: „Er soll den Prozess der regionalen Integration beschleunigen und ein starkes Instrument der politischen und wirtschaftlichen Koordination in Südamerika schaffen.“
Und auch das Vorpreschen des argentinischen Wirtschaftsministers Massa lässt sich politisch deuten: Der Minister rechnet sich Chancen aus, im Oktober bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Doch um die Wählerschaft zu überzeugen, muss er inmitten der schweren wirtschaftlichen Krise mit Erfolgsgeschichten auftrumpfen. Der „Sur“ soll eine davon werden.
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<< Den vollständigen Artikel: Zweitgrößte Geldgemeinschaft: Darum planen Politiker in Brasilien und Argentinien eine gemeinsame Währung >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.