Berlin Kurz vor Weihnachten überbrachte Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas den 3600 Einwohnern die frohe Botschaft: „Bad Elster kann Erweiterung der Turnhalle angehen“, prangte über der Wahlkreismitteilung der CDU-Abgeordneten. „Bund stellt umfangreiche Mittel zur Verfügung.“
4,13 Millionen Euro sind es konkret, die nun ins sächsische Vogtland fließen. Den Grund lieferte die CDU-Politikerin gleich mit: „Die bestehende Turnhalle mit ihrer Nutzfläche von knapp unter 240 Quadratmetern reicht nicht mehr aus, den Bedarf für den Schul- und Vereinssport hinreichend abzudecken.“
Deutschland ist ein föderaler Staat, in dem der Bund sich eigentlich auf Aufgaben wie die innere und äußere Sicherheit, die Außenpolitik oder die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse konzentriert. Die Länder hingegen haben vielfältige Aufgaben von der Bildung über die Kultur bis zur Verwaltung des Landes, wofür wieder auch die Kommunen verantwortlich sind und dafür Geld von den Ländern bekommen. So die Theorie.
Doch die reine Lehre gilt nicht mehr. Der Bund finanziert längst die Verwaltungseinheiten der Länder. Fast 500 Millionen Euro umfasst allein das Sanierungsprogramm, über das sich die Menschen in Bad Elster und anderswo im Land freuen dürfen.
Seit 2020 unterstützt der Bund ebenso Städte und Gemeinden bei der „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ und erstattet 85 Prozent der Kosten. So konnte sich kürzlich der Koblenzer Oberbürgermeister David Langner (SPD) über 850.000 Euro freuen. In der Stadt am Rhein wollen sie zubetonierte Flächen wieder begrünen, kühlende Bäume pflanzen und Sicker- und Speicherflächen für Regen schaffen. Das „Lokalklima“ soll sich verbessern.
Geld fließt für das kommunale Klima und die Kultur
Das Geld stellt das Bundesbauministerium. Das Bundesumweltministerium fordert gleich auch noch „Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels“. Warum aber bereiten die Länder ihre Kommunen nicht selbst auf den Klimawandel vor und fördern entsprechende Projekte?
Den Ländern sei es im Verbund mit den Kommunen gelungen, „dem Bund immer mehr Geld aus der Tasche zu ziehen“, analysiert Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, die Entwicklung. „Wir beobachten, dass sich dieser Trend verstärkt – auch deshalb, weil sich der Bund immer kleinteiliger in Länder- und Kommunalangelegenheiten hinziehen lässt.“
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In der Tat sind der Fantasie keine Grenzen mehr gesetzt. Seien es die vielen Fuhrparkerneuerungsprogramme für die Stadtwerke oder der seit Jahren steigende Etat der Kulturbeauftragten des Bundes, mit denen die Staatsministerin persönlich Projekte aussucht und fördert. Sie wolle die „kulturelle Infrastruktur stärken“, begründet Claudia Roth (Grüne) ihren Eingriff in die Kulturhoheit der Länder und den längst mehr als zwei Milliarden Euro schweren Haushalt.
Der Bund springt finanziell immer häufiger für Kommunen ein – etwa, wenn neue Turnhallen benötigt werden.
Der Bund unterstützt die Kommunen mit rund 100 Programmen, wie aus der zentralen Förderdatenbank hervorgeht. Der nächste Eingriff ins föderale Finanzgefüge wird das 49-Euro-Ticket sein. Der Bund hat erstmals einen Tarif erzwungen, den nun die Nahverkehrsunternehmen und Stadtwerke im Land umsetzen sollen.
Der Bund wird das Ticket direkt bezuschussen mit zunächst 1,5 Milliarden Euro, Warnungen des Bundesrechnungshofs hin oder her. Der Bund wird womöglich sogar den Tarif bundesweit genehmigen und damit eine bislang kommunale Aufgabe übernehmen.
Der Bund finanziert den Kommunen sogar Personal
Künftig will der Bund sogar den Kommunen Personal bereitstellen, damit sie schneller Großprojekte genehmigen. Auch will der Bund mit Geld die Digitalisierung der Amtsstuben beschleunigen. Einen entsprechenden Pakt hat das Bundeskanzleramt den Ländern vorgeschlagen. Auch Projektmanager will der Bund den Kommunen bezahlen, damit sie Ladesäulen aufstellen, Glasfaserkabel verlegen oder etwas fürs Klima tun.
„Städtebauförderung, sozialer Wohnungsbau, Finanzierung von Richterstellen, Ausbau von Radwegen, Denkmalpflege, Kulturveranstaltungen oder das 49-Euro-Ticket: Die Liste der Belastungen für den hochdefizitären Bundeshaushalt ist kaum noch überschaubar“, sagt Steuerzahlerpräsident Holznagel. „Die Ziele mögen zwar gut sein, doch verwischen solche Mischfinanzierungen klare Zuständigkeiten und widersprechen dem Föderalismusgedanken.“
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Laut Bundeshaushaltsordnung darf Bundesgeld nur fließen, wenn der Bund „ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann“. Dies resultiert aus einem Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 1967.
Und doch sehen Verfassungsrechtler die Entwicklung kritisch. „Die Förderprogramme des Bundes für Projekte der Kommunen erfolgen verfassungsrechtlich gesehen in einer Grauzone“, sagte Joachim Wieland dem Handelsblatt. „Sie entzieht sich vor allem deshalb einer eindeutigen Klärung, weil es praktisch nie zu Gerichtsentscheidungen in diesem Bereich kommt.“
Es gelte das Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. „Für Länder und Kommunen gibt es keinen Grund zu klagen, wenn sie vom Bund Geld erhalten“, sagte Wieland. Und: „Der Bund ist zufrieden, wenn er seine Ziele mit dem ,goldenen Zügel‘ des Einsatzes von Finanzmitteln erreicht.“
Und wenn dann auch noch die Haushaltspolitiker selbst das Geld verteilen können, verstummt Kritik gänzlich. Für das Programm, von dem das kleine sächsische Bad Elster profitiert, haben die Haushälter nicht etwa nur die Mittel für das kommunale Sanierungsprogramm freigegeben. Sie selbst haben auch die rund 1000 beantragten Projekte im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro gesichtet und entschieden, wer von ihnen Geld erhält. Natürlich denkt jeder Haushaltspolitiker da auch an seinen Wahlkreis und an Parteifreunde.
„Das Programm ist das beste Beispiel für den Selbstbedienungsladen Haushaltsausschuss“, heißt es kritisch innerhalb der Bundesregierung. Dass die Abgeordneten das Geld selbst verteilen, bedeute nichts anderes, „als dass jeder seinem oder ihrem Wahlkreis ein Geschenk macht – mit Steuergeldern“.
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