Brüssel, Berlin Stromkunden sollen künftig nicht mehr so hohen Preisanstiegen ausgesetzt sein, wie im vergangenen Jahr. Außerdem soll es mehr Anreize geben, Wind- und Solarkraft auszubauen. Die EU-Kommission hat dazu einen ersten Schritt unternommen, die Regeln des Strommarkts zu verändern. Am Montag begann sie einen Konsultationsprozess, indem sie 65 Fragen und mehrere Seiten an Erklärungen an Stakeholder verschickte. Die Befragung läuft bis zum 13. Februar. Im Laufe des März will die Kommission einen Gesetzesvorschlag vorstellen.
Die Ziele der Reform widersprechen sich in Teilen: Hohe Strompreise sollen vermieden werden, um Verbraucher nicht übermäßig zu belasten. Andererseits soll der Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken attraktiver werden, was hohe Preise erfordert. Zwei Mittel sieht die Kommission, um diesen Widerspruch aufzulösen. Beide zielen darauf ab, die Schwankungen der Marktpreise zu begrenzen.
Zum einen geht es um Verträge, bei denen Großkunden ihren Strom über fünf bis 20 Jahre zu einem Festpreis einkaufen („Power Purchase Agreement“, PPA). Laut Kommission werden heute 15 bis 20 Prozent des Stroms aus neuen Wind- und Solaranlagen über diese PPAs verkauft. In ihrem Fragebogen bittet sie um Hinweise, welche Hürden für PPAs sich abbauen ließen.
Zum anderen geht es um Verträge mit dem Staat, in denen ein konstanter Strompreis festgeschrieben wird („Contracts for Difference“, CfD). Solange der Marktpreis unter diesem Referenzpreis liegt, zahlt der Staat die Differenz an den Stromerzeuger. Dafür muss der Stromerzeuger zahlen, wenn der Marktpreis über dem Referenzpreis liegt. Nicht nur für die Stromerzeuger, auch für die Stromkunden wird der Markt dadurch berechenbarer. Der Staat übernimmt das Risiko.
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„Eine Marktreform kann die Schwankungen der Marktpreise reduzieren. Das würde Investoren und Verbrauchern helfen“, sagt Ingmar Schlecht, Strommarktexperte an der School of Management and Law in Zürich.
Branche sieht Gefahr für Windkraftausbau
Allerdings warnt die Ökobranche deutlich vor CfDs. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), spricht von einem „planwirtschaftlichen Modell“.
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Das liegt an folgendem Mechanismus: Je komplexer das Stromsystem wird und je mehr schwankende Strommengen über erneuerbare Energien ins Netz kommen, desto wichtiger sind Preissignale. Sie führen dazu, dass flexible Erzeuger wie Gaskraftwerke genau dann anspringen, wenn sie gebraucht werden. Auch dadurch lassen sich niedrigere Strompreise erreichen.
„Wir brauchen Preis- und Marktsignale, um den Strommarkt auszugleichen, und daher ein Marktdesign, das Flexibilitäten anregt“, sagt Peter. Die CfDs kappten dagegen die Preissignale.
Auch eine Analyse der europäischen Strommarktregulierer (Acer) vom April 2022 bewertete CfDs darum kritisch. Die Experten kamen damals zu dem Schluss, dass es gute Gründe gibt, das bisherige Marktdesign beizubehalten, und Verbesserungen daran eher langfristig anzugehen seien als kurzfristig.
Abschlag
40
Prozent billiger
könnte Strom in Europa von 2024 bis 2028 werden. Darauf deuten aktuell die Kurse für Termingeschäfte hin.
Die EU-Kommission will das Thema aber möglichst zum Abschluss bringen, bevor sie im Frühjahr 2024 neu zusammengesetzt wird. Auch einige Mitgliedstaaten machen Druck, insbesondere was die Einführung der CfDs angeht. Spanien und Frankreich haben schon vor der Konsultationsphase versucht, den Kommissionsvorschlag entsprechend zu beeinflussen.
Kommission überlegt, Notfall-Eingriffe in Strommarkt fortzuführen
Ihr Kalkül könnte ein kurzfristiges sein, denn mit CfDs ließen sich Strompreise kurzfristig senken. Das liegt daran, dass die Preise aktuell sehr hoch liegen und die Märkte für die Zukunft niedrigere Preise erwarten, was sich an den Kursen für Termingeschäfte ablesen lässt. Von 2024 bis 2028 wird der Preis demnach um gut 40 Prozent fallen.
CfDs für bestehende Wind- und Solaranlagen würden diesen Preisverfall vorwegnehmen, dafür aber in Zukunft zu höheren als den erwarteten Preisen führen. „Das ist eine andere Art der Staatsverschuldung“, sagt Energieexperte Schlecht. „Wir leben heute billiger und zahlen dafür in der Zukunft.“
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In ihrem Fragebogen lotet die EU-Kommission auch die Möglichkeiten aus, die noch immer geltenden Notfalleingriffe in den Strommarkt fortzusetzen. Durch diese Eingriffe ist der Preis für Strom von den meisten Erzeugern zu jeder Zeit auf 180 Euro pro Megawattstunde begrenzt.
„Überlegungen der Kommission zur langfristigen Weiterführung der Erlösabschöpfung sind mit Blick auf Investitionen in erneuerbare Energien kontraproduktiv und sollten nicht weiterverfolgt werden“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Überhaupt sei die Kommission zu sehr auf die Preise fixiert und müsse stärker Investitionen in den Fokus nehmen.
Mehr: Spaniens Wirtschaftsministerin über Energiekosten: „Unser Ansatz war ganz anders als der deutsche“
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