Washington Ungewöhnlich zurückhaltend war die US-Regierung, als die ersten Berichte über amerikanische Panzerlieferungen durchsickerten. „Wir haben zu diesem Zeitpunkt nichts zu verkünden“, erklärte Sprecherin Karine Jean-Pierre am Dienstag. Stunden zuvor hatte das „Wall Street Journal“ berichtet, US-Präsident Joe Biden habe sich nun doch entschlossen, Panzer vom Typ M1-Abrams an die Ukraine zu liefern. Das hatte die US-Regierung bislang abgelehnt. Auch das Verteidigungsministerium wollte sich zunächst nicht hervorwagen. Der Abrams-Panzer sei ein „komplexes Waffensystem, das schwierig zu warten ist“, teilte das Pentagon mit. „Das galt gestern, das gilt heute und wird in Zukunft gelten“.
Laut der „New York Times“ werde die US-Regierung den Beschluss zu Panzerlieferungen am Mittwoch bekannt geben. Geplant seien etwa 30 Panzer vom Typ M1-Abrams, die die Ukraine künftig auf dem Schlachtfeld unterstützen sollen. Sollten sich die Panzerlieferungen bestätigen, würde Washington eine Blockade lösen: Die Bundesregierung hatte zuletzt nahegelegt, man würde deutsche Panzer nur im Schulterschluss mit den USA liefern wollen, und damit diplomatische Verstimmungen ausgelöst.
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Allerdings stünden die amerikanischen Panzer den Ukrainern nicht sofort zur Verfügung. US-Regierungsbeamte hatten in den vergangenen Tagen betont, es könne „Monate oder gar Jahre“ dauern, bis Abrams-Panzer in der Ukraine voll einsatzfähig wären. Die amerikanischen Panzer verbrauchen wegen ihres Düsenantriebs viel Kerosin, der Betrieb bedarf aufwendiger Trainings.
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Ein Fonds als Zwischenlösung
Da die USA gerade ein 2,5 Milliarden Dollar schweres Waffenpaket geschnürt haben, würden die Panzer nicht aus Haushaltsmitteln finanziert, schrieb die Nachrichtenagentur AP. Stattdessen käme ein Fonds namens Ukraine Security Assistance Initiative (USAI) ins Spiel. Er ermöglicht es der US-Regierung, Waffen aus der Privatindustrie zu beziehen, anstatt aus bestehenden US-Waffenbeständen. Dadurch könnte man zum Beispiel Abrams-Panzer von verbündeten Ländern wie Polen zurückkaufen, sie generalüberholen und dann in die Ukraine schicken.
Die geplanten Lieferungen der Amerikaner wären eine abrupte Kehrtwende. Zuletzt hatte die US-Regierung konstant Gründe gegen amerikanische Panzerlieferungen vorgebracht. Noch am Freitag hieß es aus dem Verteidigungsministerium: „Der Aufwand für die Wartung und die hohen Kosten eines Abrams sind immens. Es ergibt im Moment einfach keinen Sinn“.
Die Option des Ukraine-Fonds legt nun eine Zwischenlösung nahe. Die USA kämen damit nicht in die Verlegenheit, sofort Panzer auf das Schlachtfeld entsenden zu müssen – es ist quasi eine Zusage ohne akute Folgen. „Der einzige Grund, warum die USA M1-Panzer in die Ukraine schicken, ist, Deutschland die politische Deckung zu geben, die es benötigt“, sagte der Verteidigungsexperte Mark Cancian der Nachrichtenagentur Reuters.
Die abwartende Haltung der US-Regierung deutete auf Abstimmungsbedarf innerhalb der Biden-Regierung hin – und auf eine Koordination mit der deutschen Bundesregierung. Offenbar legte man Wert auf ein gemeinsames Vorgehen zwischen Washington und Berlin. Am Mittwoch wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Regierungserklärung im Bundestag halten.
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Laut des „Wall Street Journal“ zeigte sich US-Präsident Biden offener für Panzerlieferungen als sein Verteidigungsminister Lloyd Austin, der bis zuletzt davon abgeraten haben soll. Nach Tagen der intensiven Verhandlungen zwischen Berlin und Washington, so die Zeitung, sei die Entscheidung schließlich zu Gunsten der Panzer gefallen.
Vorangegangen war eine Woche des Ringens um eine neue Strategie des Westens für den Ukraine-Krieg, der seit bald elf Monaten wütet. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos und dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein am Freitag hatten die Nato-Partner darüber verhandelt, wie man die Ukraine bestmöglich auf eine drohende Winteroffensive Moskaus vorbereiten könne. Doch die Woche endete in Differenzen und Enttäuschung, es war eine erste größere Disharmonie des Westens im Ukraine-Krieg.
Die USA als Führungsmacht
Die USA hätten sich „viel Kopfschmerzen und öffentliche Zwietracht ersparen können“, wenn die Biden-Regierung früher umgeschwenkt wäre, sagte der Sicherheitsexperte Peter Rough dem Handelsblatt. Rough leitet das Center on Europa an der Washington Denkfabrik Hudson Institute. Doch die Entscheidung habe „Deutschlands Leoparden freigesetzt und den Ukrainern eine Chance für eine kämpferische Gegenoffensive gegeben. Es ist ein gutes Ergebnis nach einem schlechten Prozess“, so Rough.
Der frühere Berater von Ex-Präsident George W. Bush sieht in dem Hin und Her in der Panzerfrage eine „umfassende Lektion“. Anstatt „auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners zu agieren“, sollten die USA „vorangehen und einen Windschatten bilden, hinter dem sich Verbündete bewegen können“, betonte er.
Führende US-Republikaner hatten Biden aufgefordert, die Panzer zu liefern, um Deutschlands Leopard-Entsendung zu beschleunigen. Allerdings ist unklar, wie lange die USA noch im jetzigen Umfang schweres militärisches Gerät ins Kriegsgebiet schicken. Teile der Republikaner, die seit Januar das Repräsentantenhaus im US-Kongress dominieren und damit den Haushalt blockieren können, wollen die Ukraine-Hilfen reduzieren.
Die Korruptionsvorwürfe gegen die ukrainische Regierung verkomplizieren die Lage noch. Das US-Außenministerium betonte am Dienstag, man habe keine Hinweise darauf, dass US-Hilfen veruntreut wurden. Bislang unterstützt eine Mehrheit der US-Bürger die Gelder für die Ukraine. Doch laut des Forschungsunternehmens Ipsos sinkt der Rückhalt in der Öffentlichkeit langsam, aber stetig. Seit Ausbruch des Krieges haben die USA über 27 Milliarden US-Dollar an Militärhilfen für die Ukraine genehmigt, darunter für Kampffahrzeuge, Militär-Trucks, minenresistente Fahrzeuge sowie das Raketenabwehrsystem Patriot.
Mehr: Deutschland will Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 in die Ukraine schicken
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