Berlin Der Bundeskanzler hat die Zeit für sein Einführungsstatement schon fast überschritten, er hat zuvor überraschend lange über Energiekrise, Konjunktur und Zusammenhalt gesprochen, als er am Mittwochmittag im Bundestag endlich zum Thema des Tages kommt. Die Bundesregierung werde Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 an die Ukraine liefern, das habe er gerade in einem Telefonat mit Ukraines Präsident Wolodimir Selenski mitgeteilt, erklärte Scholz.
„Es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen“, verteidigt der Kanzler nach der teils heftigen Kritik in den vergangenen Tagen sein Vorgehen. Und an die Bürger gewandt, die sich wegen der neuen Dimension der Waffenlieferungen an die Ukraine Sorgen machten, bittet Scholz: „Vertrauen Sie mir!“ Es sind ungewöhnlich emotionale Worte, die Scholz an die Bürger richtet, und sie zeigen, welch historische Tragweite die Entscheidung des Bundeskanzlers hat.
Mit der Lieferung von 14 Kampfpanzern des Typs Leopard 2 aus dem Bundeswehr-Bestand werden Deutschland und weitere Staaten erstmals westliche Kampfpanzer an die Ukraine liefern, damit sich das Land im Krieg mit Russland gegen eine absehbare Frühjahrsoffensive besser zur Wehr setzen kann. Die Waffenlieferungen erreichen damit eine völlig neue Qualität. Der Westen mischt sich immer stärker in den Krieg in der Ukraine ein.
Insgesamt wollen europäische Länder der Ukraine zwei Bataillone mit jeweils 40 Leopard-Kampfpanzern zur Verfügung stellen, und das so schnell wie möglich. Auch die Ausbildung der ukrainischen Besatzungen in Deutschland solle sehr bald beginnen, teilte die Bundesregierung am Mittwochvormittag mit, nachdem die Entscheidung bereits am Dienstagabend rausgesickert war.
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Die ersten Leopard-Kampfpanzer aus Deutschland könnten nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in etwa drei Monaten in der Ukraine sein. Das sagte der SPD-Politiker am Mittwoch nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestags in Berlin.
„Keine direkte Beteiligung von Nato-Soldaten in dem Ukrainekrieg“
Dieser Mittwoch ist aber nicht nur ein historischer Tag, für Scholz ist es auch ein Tag des Erklärens. Am Abend wendet er sich mit einem Fernsehauftritt an die Bürger, in der Regierungsbefragung im Bundestag teilte er zuvor den Abgeordneten die Motive seiner Entscheidung mit.
Scholz über Panzer-Lieferung: „Es war richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen“
„Deutschland wird immer vorne an sein, wenn es darum geht, die Ukraine zu unterstützen“, beteuert der Kanzler. „Gleichzeitig wollen wir eine Eskalation des Krieges verhindern.“ Es sei daher richtig und mit voller Absicht geschehen, dass die Regierung sich „Stück für Stück“ zu dieser Entscheidung voran gearbeitet habe. „Es ist das einzige Prinzip, das in einer so gefährlichen Angelegenheit Sicherheit auch für Europa und Deutschland gewährleistet.“
Eine Eskalation zwischen Russland und der Nato müsse weiterhin verhindert werden. Es gebe dabei jedoch keine Gewissheiten, räumt Scholz ein. „Keiner kann einem erklären, was die richtigen und falschen Entscheidungen sind.“
So war in den vergangenen Monaten immer wieder befürchtet worden, die Lieferung von Kampfpanzern könnte für Kremlchef Wladimir Putin eine rote Linie sein, nach deren Überschreitung er die Nato als Kriegspartei ansieht. Dies war ein zentraler Grund, warum sich die Entscheidung länger hingezogen hat, als sich das auch viele Mitglieder der Bundesregierung wünschten.
Scholz sagte allerdings: „Bodentruppen werden wir in keinem Fall schicken. Ich habe gesagt, es wird keine direkte Beteiligung von Nato-Soldaten in dem Ukrainekrieg geben.“ Das sei bisher nicht der Fall und das werde es auch in Zukunft nicht. „Darauf können sich alle verlassen“, sagte Scholz.
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Für die Union hingegen hat Scholz zu lange gezögert und damit in den Beziehungen zu Partnern wie den USA einen „Flurschaden angerichtet“, wie CDU-Politiker Jürgen Hardt dem Kanzler vorhielt. Der antwortete: „Wenn wir Ihren Ratschlägen folgen würden, wäre das eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands. Es wäre ein schlimmer Fehler gewesen, allein vorwegzumarschieren“, sagte Scholz. Vor genau so einer Politik fürchteten sich die Bürger, so der Kanzler.
Kampfpanzer nur im Verbund schicken
Scholz sieht sich in dem tagelangen harten Ringen über die Lieferung von Kampfpanzern am Mittwoch als Gewinner. Der Kanzler hatte stets betont, Kampfpanzer nur im Verbund mit anderen Nationen liefern zu wollen. Vor allem ohne die USA wollte Scholz keine Kampfpanzer in die Ukraine schicken.
Die ersten Leopard-Kampfpanzer aus Deutschland könnten nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in etwa drei Monaten in der Ukraine sein.
Dieses Ziel konnte der Kanzler erreichen. So werden die USA nach anfänglichem Zögern etwa 30 Panzer vom Typ M1-Abrams an die Ukraine liefern. US-Medien zufolge werde das Weiße Haus diesen Beschluss am Mittwoch offiziell bekanntgeben.
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Vorausgegangen waren dem Panzer-Paket intensive, teils schwierige Abstimmungen. Insbesondere Polen hatte den Druck auf Scholz erhöht und am Dienstag offiziell einen Leopard-Lieferantrag an die Bundesregierung gestellt.
Deutschland muss als Produktionsland des Leopard-Panzers jeder Lieferung anderer Länder zustimmen. Die Bundesrepublik nimmt damit bei der Frage der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine eine Schlüsselrolle ein, allein die Leopard-2-Modelle wurden bislang mehr als 3500 Mal in deutschen Waffenfabriken gefertigt.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki twitterte am Mittwoch: „Danke Bundeskanzler Olaf Scholz“. Die Lieferung von Leopard-Panzern in die Ukraine sei ein großer Schritt auf dem Weg, Russland zu stoppen.
Melnyk fordert Kampfflugzeuge für die Ukraine
Der ukrainische Präsident Selenski sagte, er sei dankbar für die angekündigten Panzer-Lieferungen aus dem Westen. Allerdings sagte er auch: „Es geht nicht um fünf oder zehn oder fünfzehn Panzer. Der Bedarf ist größer.“
Auch Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba deutete bereits die nächste große Diskussion an – nämlich über den Wunsch der Ukraine nach modernen Kampfflugzeugen aus westlicher Produktion.
Der stellvertretende Außenminister der Ukraine und frühere Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, forderte von Deutschland die Lieferung von Tornado- und Eurofighter-Kampfjets, Kriegsschiffen und U-Booten an sein Land. Mit Blick auf die Lieferung von Leopard-Panzern sagte Melnyk dem TV-Sender RTL: „Das sollte nur der erste Schritt sein.“
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Die Ukraine hatte zuletzt immer lauter Kampfpanzer westlicher Bauart für den Kampf gegen die russischen Angreifer gefordert. Die Frontlinie in der Ostukraine hat sich seit Wochen kaum noch bewegt. Mit den Kampfpanzern hofft die Ukraine nun, wieder in die Offensive zu kommen und weiteres Gelände zurückzuerobern.
Die Reaktionen aus Russland fielen erwartet wütend aus. Alle US-Kampfpanzer M1 Abrams und deutsche Leopard-Panzer, die an die Ukraine geliefert werden, würden „genau wie alle anderen verbrennen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Reportern in einer Telefonkonferenz, wie die russische Nachrichtendienst Tass berichtete.
Auch der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, kritisierte die Entscheidung. Eine Lieferung von Kampfpanzern der USA an die Ukraine stelle eine „weitere eklatante Provokation“ des Konflikts dar. „Wenn die Vereinigten Staaten beschließen, Panzer zu liefern, dann kann man einen solchen Schritt definitiv nicht mit dem Argument der „Verteidigungswaffen“ rechtfertigen“, heißt es in einer Stellungnahme auf Telegram. Es sei offensichtlich, dass die Regierung in Washington gezielt auf eine strategische Niederlage Russlands hinwirke.
Russlands Botschaft in Berlin sagte zur Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. „Berlins Entscheidung, Kiew Panzer vom Typ Leopard 2 zu liefern, ist äußerst gefährlich, weil sie den Konflikt auf ein neues Level der Konfrontation hebt“, sagte Botschafter Sergej Netschajew am Mittwoch einer Pressemitteilung zufolge. Die Entscheidung widerspreche den Ankündigungen deutscher Politiker, sich nicht in den Konflikt hineinziehen lassen zu wollen.
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