Berlin Die Sorge davor, dass der Ukrainekrieg zu einer Konfrontation zwischen der Nato und Russland wird, hat die Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit Kriegsausbruch geleitet.
Ist das jetzt der „Gamechanger“, der Deutschland zur Kriegspartei macht? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten:
Im politischen Berlin sind es vor allem Vertreter von AfD und Linken, die befürchten, Deutschland könnte infolge weiterer Waffenlieferungen zur Kriegspartei werden. Für Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fällt mit der Lieferung von Leopard-Kampfpanzern ein weiteres Tabu. „Das führt uns potenziell näher an den Dritten Weltkrieg als Richtung Frieden in Europa“, sagte er der dpa.
>> Lesen Sie auch: Das können der Leopard 2 und der M1 Abrams
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) beließ es bei der Feststellung, man sei sich völlig einig, dass Deutschland, die EU und die Nato nicht zur Kriegspartei werden dürften.
Für Kanzler Scholz ist die Sache indes klar. „Nein, auf keinen Fall“, entgegnete Scholz im ZDF auf die Frage, ob Deutschland mit der Leopard-Lieferung an die Ukraine zur Kriegspartei werde.
Warum sieht die Bundesregierung Deutschland nicht als Kriegspartei?
Das Bundesjustizministerium erklärt dazu: „Völkerrechtlich ist klar: Wer ein Land darin unterstützt, sich zu verteidigen, wird dadurch nicht zur Kriegspartei.“ Die Ukraine habe das Recht zur Selbstverteidigung. Deutschland werde auch mit der Lieferung schwerer Waffen nicht zur Kriegspartei.
Der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon sieht das genauso. Weder Waffenlieferungen noch die Ausbildung ukrainischer Soldaten machten Deutschland zur Kriegspartei, schreibt Talmon in einem Beitrag für den „Verfassungsblog“. Dies zeige auch die Staatenpraxis.
Völkerrechtlich ist klar: Wer ein Land darin unterstützt, sich zu verteidigen, wird dadurch nicht zur Kriegspartei. Erklärung des Bundesjustizministeriums
„So liefern zum Beispiel die USA seit vielen Jahren Waffen an Saudi-Arabien und bilden saudische Soldaten sowohl in Amerika als auch in Saudi-Arabien an diesen Waffen aus, ohne dass die USA dadurch zur Partei in dem von Saudi-Arabien seit 2015 geführten Krieg im Jemen geworden wären“, erklärte der Jurist.
>> Lesen Sie auch: Ukraine droht mit Angriffen auf russische Großstädte
Auch Belarus, das die russische Aggression gegen die Ukraine in vielfältiger Weise unterstütze, sei dadurch nicht zur Kriegspartei geworden. Die UN-Generalversammlung habe lediglich dessen „Beteiligung an der rechtswidrigen Gewaltanwendung“ Russlands gegen die Ukraine missbilligt, so Talmon.
Spielt das Völkerrecht für Russland im Ukrainekrieg überhaupt noch eine Rolle?
Die bisherigen Einlassungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin legen nahe, dass für ihn das Völkerrecht nicht von Belang ist. Der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München weist etwa darauf hin, dass Putin sämtliche Nato-Staaten, nicht nur Deutschland, schon lange zur Kriegspartei erklärt habe. Die Lieferung der Leopard-Panzer ändere daran nichts.
Alles, was die Allianz und die von mir erwähnten Hauptstädte (Europas und der USA) tun, wird in Moskau als direkte Beteiligung am Konflikt aufgefasst. Kremlsprecher Dmitri Peskow
Entsprechend fällt auch die Reaktion des Kremls aus. „Alles, was die Allianz und die von mir erwähnten Hauptstädte (Europas und der USA) tun, wird in Moskau als direkte Beteiligung am Konflikt aufgefasst“, sagte der Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Moskau wirft den USA und der EU immer wieder vor, in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen. Den Krieg erklären werde Russland trotzdem nicht, sagte Peskow.
Unter welchen Umständen könnte Deutschland ein militärisches Ziel Russlands werden?
Nach Einschätzung des Völkerrechtlers Talmon wäre der Tatbestand des Einsatzes von Waffengewalt erfüllt, wenn die Einweisung ukrainischer Soldaten in die gelieferten Waffen im Rahmen aktiver Kampfhandlungen unter Beteiligung deutscher Soldaten erfolgen würde.
„Bei einer Ausbildung in der Ukraine hinter den Frontlinien oder im Hinterland würden deutsche Soldaten oder Mitarbeiter der deutschen Rüstungsindustrie zu legitimen militärischen Zielen und dürften von Russland angegriffen werden“, sagt er.
Wie sieht es mit Waffentransporten aus?
Russland hat bereits erklärt, dass es die an die Ukraine gelieferten schweren Waffen als „legitime militärische Ziele“ ansieht. Davon betroffen sein könnte bereits ein Transportkonvoi, der die gelieferten Panzer auf Sattelschleppern oder per Bahn von der ukrainischen Westgrenze nach Kiew oder in den Donbass bringen soll.
Tatsächlich kann Kriegsgerät, das in ein Konfliktgebiet gebracht und dort einer Konfliktpartei zur Verfügung gestellt wird, ein „legitimes militärisches Ziel“ sein. Darauf weist ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages unter Berufung auf die Genfer Konvention hin.
Andererseits gilt es aus Sicht der Parlamentsjuristen zu beachten, dass Angriffe Russlands auch auf militärische Ziele in der Ukraine eine Verletzung des Gewaltverbots der Charta der Vereinten Nationen darstellten und somit völkerrechtswidrig seien.
Könnte die Nato zur Kriegspartei im Ukrainekrieg werden?
Die Nato versteht sich als reines Verteidigungsbündnis, das auf keinen Fall zur Kriegspartei werden will – auch aus Sorge vor einem Dritten Weltkrieg. Im aktuellen Strategischen Konzept heißt es so ganz deutlich: „Die Nato sucht keine Konfrontation und stellt für die Russische Föderation keine Bedrohung dar.“
Der sogenannte Bündnisfall, der im Fall eines Angriffs die Vertragsparteien des westlichen Verteidigungsbündnisses zu gegenseitigem Beistand verpflichtet, greift angesichts des Kriegs in der Ukraine nicht. Das Land ist nicht Mitglied der Nato – anders als zum Beispiel die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.
Für wie realistisch hält die Nato einen russischen Atomwaffeneinsatz im Krieg?
In der Nato wird die Ansicht vertreten, dass der Einsatz von Atomwaffen für Russland militärisch keinen Sinn ergeben würde – vor allem wegen der unkalkulierbaren Folgen. So wird auch darauf verwiesen, dass die Russen im Fall eines offensiven Atomwaffeneinsatzes fürchten müssten, dass sich auch Länder wie China und Indien klar gegen sie stellen.
Mehr: Panzerlieferung: Ist das Kalkül des Kanzlers aufgegangen?
<< Den vollständigen Artikel: Leopard-Panzer für die Ukraine: Wird Deutschland jetzt Kriegspartei? >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.