Berlin Das Bundesinnenministerium von Ressortchefin Nancy Faeser (SPD) warnt vor einer Vereinnahmung der Klimaschutzbewegung durch Linksextremisten. „Akteure aus der linksextremistischen Szene versuchen, Einfluss auf Klimaschutzgruppen zu nehmen, sie für ihre Ziele empfänglich zu machen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren und den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren“, sagte eine Ministeriumssprecherin dem Handelsblatt.
Die Einschätzung deckt sich mit der Beobachtung von Verfassungsschützern. „Es besteht die Gefahr, dass die bisher nicht extremistischen Umwelt- und Klimabewegungen ,Fridays for Future‘ oder ,Letzte Generation‘ durch Linksextremisten unterwandert werden“, sagte der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, dem Handelsblatt. Dahinter stehe die Absicht, letztlich „maßgeblichen Einfluss“ auf die Bewegungen auszuüben. „Es gibt bereits erste Versuche in diese Richtung.“
Kramer hält vor diesem Hintergrund eine Radikalisierung der Klimabewegung für möglich. „Als besorgniserregend einzustufen ist, dass in Teilen der Klimaszene eine Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit vorzuherrschen scheint, die in Endzeitgedanken mündet“, sagte er.
„Eine solche Perspektivlosigkeit macht anfällig für den Einfluss von Extremisten und könnte eine Radikalisierung befördern.“ Als Folge könnten die Protestaktionen „immer drastischer werden“. „Auf diese Weise soll noch mehr Aufmerksamkeit erzeugt werden, um die Politik und große Teile der Bevölkerung zum Handeln zu zwingen.“
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Die Grünen bewerten den Befund unterschiedlich. Hessens grüner Vizeministerpräsident Tarek Al-Wazir etwa sieht manche Radikalisierungstendenzen, die ihm Sorge machen. „Ich habe Angst davor, dass die Verzweiflung, die manche spüren, zu furchtbaren Dingen führen könnte“, sagte Al-Wazir der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, sind die Warnungen zu unkonkret. „Da reicht mir vermutete Perspektivlosigkeit nicht aus, um das bewerten zu können, zumal die meisten Bewegungen feststellen werden, dass sie von der Erfüllung ihrer Maximalforderungen sehr weit entfernt sind“, sagte Mihalic dem Handelsblatt.
„Letzte Generation“ greift teils zu drastischeren Methoden des Protests
Wenn es jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine Radikalisierung gebe, müsse dem selbstverständlich „entschlossen“ nachgegangen werden. „Auch die Frage, inwieweit andere extremistische Gruppierungen versuchen, sich auf Kosten der Klimabewegung zu inszenieren und deren organisatorische Kraft auszunutzen, ist hochrelevant“, fügte die Grünen-Politikerin hinzu. Das dürfe dann aber nicht bei der Klimabewegung abgeladen werden.
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Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler stützt indes den Befund des Thüringer Verfassungsschutzes. „Es gibt gewaltorientierte Linksextreme, die versuchen, Teile der Klimabewegung zu unterwandern und gewissermaßen als Nährboden für ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu nutzen“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „Sie versuchen, Klimaproteste in Richtung Gewalt zu radikalisieren.“ Damit erwiesen sie der Klimabewegung einen Bärendienst.
Die sogenannte „Letzte Generation“ greift teilweise schon zu drastischeren Methoden des Protests. Die Ende 2021 gegründete Klimaschutzgruppe hatte am 24. Januar vergangenen Jahres erstmals in Berlin Autobahnzufahrten blockiert. In der Regel kleben sich die Teilnehmer der Protestaktionen an Straßen oder anderen Oberflächen fest, damit die Räumung lange dauert.
Fast täglich finden derartige Blockaden statt, zudem Proteste in Museen, Stadien, an Erdölpipelines oder Flughäfen. Die Aktivisten forderten anfangs ein „Essen-Retten-Gesetz“ gegen Lebensmittelverschwendung. Die derzeitigen Forderungen sind Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.
Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, warnte: „Mit dem Festkleben auf deutschen Straßen oder gar dem tätlichen Angriff auf Polizeibeamte rund um die Räumung von Lützerath wird der berechtigte Grundgedanke der Klimaschutzbewegung immer weiter in das gesellschaftliche Abseits geführt.“ Die immer radikaleren Protestformen seien überdies „ein Nährboden für linksextreme Einflüsse auf die Bewegung“.
Bundesregierung: Straftaten können „nicht per se als Indikator für Extremismus gewertet werden“
Allein in Berlin, wo es regelmäßig Blockaden gibt, verbuchte die Polizei bis Mitte Januar rund 262.700 Einsatzstunden für die Proteste der „Letzten Generation“, wie eine Polizeisprecherin sagte. Die Gruppe will nun ihre Aktionen auf die ganze Bundesrepublik ausweiten.
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Deutschlands oberster Verfassungsschützer Thomas Haldenwang sieht bisher „keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte“, dass die Gruppierung eine „verfassungsfeindliche Bestrebung“ sein könnte. Der Verfassungsschutz komme erst ins Spiel, wenn es eine Radikalisierung oder eine Beeinflussung der Proteste durch Extremisten gebe, sagte er kürzlich. Gleichwohl bestehe bei der „Letzten Generation“ eine gewisse Gefahr, „dass es linksextremistische Gruppierungen gibt, die versuchen, diese Bewegung zu unterwandern“.
Im Rahmen ihrer Protestaktionen begeht die „Letzte Generation“ auch Straftaten. Die Blockadeaktionen auf den Flughäfen Berlin-Brandenburg und München im November und Dezember 2022 stellten hierbei eine neue Eskalationsstufe im Protestgeschehen dar, schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.
Das Begehen von Straftaten kann der Antwort zufolge jedoch „nicht per se als Indikator für Extremismus gewertet werden“. Entscheidend sei, ob die Straftaten aus verfassungsfeindlicher Motivation begangen werden, „mithin ob hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im oben genannten Sinne vorliegen“.
Verfassungsschützer Haldenwang betonte, Klimaschutz sei ein legitimes Anliegen. Die Protestaktionen der zahlenmäßig größten Bewegung „Fridays for Future“ „verlaufen friedlich und bewegen sich auf dem Boden der Legalität“.
Die Innenministerin legte in diesem Zusammenhang ebenfalls Wert auf die Feststellung, dass die Klimaschutzbewegung „ganz überwiegend“ aus nicht extremistischen, demokratischen Initiativen bestehe.
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