Brüssel Die europäische Antwort auf den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) zum ökologischen Umbau der Wirtschaft entzweit die EU-Kommission. Die drei wichtigsten Stellvertreter von Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) warnten am Donnerstag in einem Gastbeitrag in der „Financial Times“ vor einem Subventionswettlauf mit den USA.
Das US-Gesetz, das seit Januar in Kraft ist, sieht 369 Milliarden Euro an Steuerrabatten und Subventionen für grüne Technologien vor. In Brüssel wird befürchtet, dass europäische Unternehmen angesichts der massiven Unterstützung in die USA abwandern könnten.
Manche in Europa forderten, dass die EU mit ähnlichen Maßnahmen auf das US-Gesetz reagieren solle, schreiben die Kommissionsvizes Valdis Dombrovskis, Margrete Vestager und Frans Timmermans. „Ein solcher Schlagabtausch birgt die Gefahr einer erheblichen Beschädigung der eigenen Wirtschaft.“
Die drei Kommissare tragen den Titel „Executive Vice President“ und bilden zusammen mit von der Leyen den engeren Führungszirkel der Brüsseler Behörde.
Ihre Intervention richtet sich offenbar gegen Industriekommissar Thierry Breton, der seit Monaten in den europäischen Hauptstädten für eine robuste industriepolitische Antwort auf das US-Gesetz wirbt.
Breton: Übergangslösungen reichen nicht aus
Vergangene Woche hatte Breton in einem LinkedIn-Beitrag geschrieben, dass „kurzfristige Übergangslösungen“ nicht ausreichten. Vielmehr müsse die EU eine „starke Produktionsbasis“ aufbauen, „und damit meine ich ganze Ökosysteme mit Zulieferern und kleinen und mittleren Unternehmen“. Zuvor hatte er zusammen mit Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni bereits einen neuen EU-Investitionsfonds gefordert, der durch Gemeinschaftsschulden finanziert werden sollte.
Auch die drei Kommissionvizes äußern die Sorge, dass der IRA zu einer Benachteiligung europäischer Firmen führen könne. Deshalb sprechen sie sich dafür aus, die europäischen Beihilferegeln „befristet und gezielt“ zu lockern, um strategisch wichtige Branchen zu unterstützen. Kommende Woche will die Kommission dazu einen konkreten Vorschlag unterbreiten.
Subventionen könnten Binnenmarkt gefährden
Zugleich warnt das Trio aber, dass ein massiver Anstieg der Subventionen den Binnenmarkt fragmentieren könne, weil die Mitgliedstaaten unterschiedlich finanzstark seien. „Subventionen dürfen nicht auf Kosten funktionierender Märkte und fairen Wettbewerbs gehen“, schreiben sie.
Tatsächlich sehen etliche kleinere EU-Staaten die geplante Lockerung der Beihilferegeln kritisch. Sie fürchten, dass große Länder wie Deutschland und Frankreich dann ihre Konzerne mit Staatshilfen unterstützen und die wirtschaftliche Ungleichheit in der Union verschärfen.
Der belgische Ministerpräsident Alexander de Croo hatte die Sorge vergangene Woche auf den Punkt gebracht: „Die Antwort kann nicht sein, dass wir die Beihilferegeln lockern, denn dann gibt es einen Wettlauf darum, wer die tiefsten Taschen hat, und per Definition hat Deutschland tiefere Taschen als Belgien.“
Kommissionschefin von der Leyen hatte deshalb vergangene Woche in Davos noch einmal bekräftigt, dass man einen Ausgleichsmechanismus brauche. „Um eine Fragmentierung des Binnenmarkts zu verhindern und den Übergang zu Clean Tech in der gesamten Union zu unterstützen, müssen wir auch die EU-Finanzierung erhöhen“, hatte sie gesagt. Bereits im Dezember hatte sie einen europäischen „Souveränitätsfonds“ gefordert.
Kommission will noch nicht über neue Schulden reden
Dombrovskis, Vestager und Timmermans nennen in ihrem Gastbeitrag als mögliche Finanzierungsquelle für den „Souveränitätsfonds“ die Einnahmen aus dem Emissionshandel, die sich bis 2030 auf 700 Milliarden Euro belaufen sollen. Auch die Europäische Investmentbank soll zur Finanzierung herangezogen werden.
Die Kommission will die Finanzierungsdebatte jedoch noch nicht jetzt führen. Einen konkreten Vorschlag für den Souveränitätsfonds will sie frühestens im Sommer vorlegen. Erst einmal müsse man sich über die Ziele einer Industriepolitik und den Bedarf einzelner Branchen klarwerden, heißt es in Brüssel.
Auch hoffen die Europäer, dass sie in der gemeinsamen Taskforce mit den USA noch weitere Zugeständnisse bei der Anwendung des IRA bekommen. Sie wollen erreichen, dass europäische Firmen ebenso US-Subventionen erhalten können wie kanadische und mexikanische. Bei den Zuschüssen für E-Autos hat Washington sich bereits bewegt.
Ähnliches will Brüssel auch bei der Batteriefertigung und kritischen Rohstoffen erreichen. Davon hängt am Ende auch ab, welche Branchen wie viel Unterstützung benötigen.
Finanzministerium gegen Vorstoß des EU-Ratspräsidenten
Die EU-Regierungschefs wollen sich auf ihrem nächsten Gipfel am 9. Februar mit dem Thema beschäftigen. In einem Entwurf der Abschlusserklärung hat EU-Ratspräsident Charles Michel bereits einen Rahmen umrissen: Neben der Lockerung der Beihilfen will er auch schon über neue Finanzierungsinstrumente reden.
Unter anderem schlägt er vor, ein neues Programm nach dem Vorbild von „Sure“ aufzulegen. Damit hatte die EU in der Pandemie die Kurzarbeit in bedürftigen Mitgliedstaaten finanziert. Die Kommission hatte dafür EU-Anleihen in Höhe von 100 Milliarden Euro ausgegeben und das Geld in Form günstiger Darlehen an 19 Regierungen weitergereicht.
Der Vorschlag, den Michel am Montag auch schon im Handelsblatt gemacht hatte, stößt auf erbitterten Widerstand in etlichen Hauptstädten. „Vorschläge, neuen gemeinsamen Schulden den Weg zu bereiten, bringen Europa nicht weiter“, teilte das Bundesfinanzministerium am Donnerstag mit. Es gebe dafür auch keine finanzpolitische Notwendigkeit, weil erst ein Bruchteil der Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds Nextgen EU abgeflossen sei.
„Das Geld für Investitionen ist da. Es braucht nicht mehr Mittel, sondern es muss das vorhandene Geld schneller und effektiver zum Einsatz kommen.“ Ähnlich hatte sich diese Woche bereits der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte geäußert.
Mehr: EU-Ratspräsident Charles Michel skizziert europäische Antwort auf IRA
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