Jan 27, 2023
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Bundesregierung: Die Ampel kann sich bei zentralen Projekten nicht einigen

Written by pinmin

Während Ampelpolitiker am nächsten Morgen öffentlich „konstruktive Gespräche“ lobten, ist die Stimmung hinter vorgehaltener Hand schlecht. Ein Koalitionär sagt, es gebe „überhaupt keinen Modus Operandi mehr“, also keine verbindliche Vorgehensweise.

Der „Entscheidungsstau“ der Ampel bei der versprochenen Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren gefährde „die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Fortschrittskoalition immer stärker“, warnte die Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbands BDI, Tanja Gönner.

Auch Ökonomen zeigten sich enttäuscht: „Deutschlands Wirtschaft steht vor einer gewaltigen Transformation“, sagte Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Der Investitionsbedarf sei enorm. „Die größte Bremse bei den Investitionen ist – neben dem Fachkräftemangel – die lange Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren.“

Beim Bau der Terminals für Flüssiggas (LNG) habe die Regierung doch gezeigt, dass Beschleunigung möglich sei, sagte der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. „Daran sollte man anknüpfen.“ Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält den Abbau von Bürokratie und schnellere Genehmigungsverfahren für dringlich und fordert die Ampel auf, die im Koalitionsvertrag versprochene Verkehrswende umzusetzen.

Können SPD, Grüne und FDP ihre Versprechen als „Fortschrittskoalition“ in diesem Jahr noch einlösen? Man müsse „Tabula rasa“ machen, sagt eine Ampelpolitikerin. Es brauche große Entscheidungen, eine Art Reset. Doch die Liste möglicher Konfliktthemen ist lang:

Planungsbeschleunigung

Beim Ziel ist sich die Ampel einig: Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen in Zukunft nur noch halb so viel Zeit in Anspruch nehmen wie heute. Doch Grüne und FDP reden derzeit nur über eine Frage: Gilt mehr Tempo nur bei grünen Infrastrukturvorhaben – oder auch beim Bau von Autobahnen?

Den Grünen stößt vor allem auf, dass Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) bislang wenig unternommen hat, um die Vorgaben aus dem Klimaschutzgesetz einzuhalten. Bei einer Planungsbeschleunigung für neue Straßen wollen sie deshalb nicht mitmachen, auch wenn Wissing auf Wunsch des Kanzleramts ein Kompromissangebot gemacht hatte: Statt generell den Straßenbau zu erleichtern, sollten zunächst die 4000 maroden Brücken auf Autobahnen schneller saniert und erweitert und Engpässe im Autobahnnetz beseitigt werden.

Doch auch darauf ließen sich die Grünen nicht ein. Nachdem die Öko-Partei die Abbaggerung der Ortschaft Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier mitgetragen habe, brauche sie jetzt „irgendeinen Erfolg“, hieß es am Tag nach dem ergebnislosen Treffen bei der SPD. Mit Sachpolitik habe das Nein der Grünen nichts zu tun.

Neubau der Autobahnbrücke Neuenkamp der A40

Die Grünen stellen sich bei der von Verkehrsminister Wissing angestrebten Planungsbeschleunigung im Straßenbau quer.


(Foto: IMAGO/Jochen Tack)

Am 1. März wollen die Spitzen von SPD, Grünen und FDP weiterreden. Neuerliche Gespräche zwischen Wissing und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) seien aber nicht geplant, hieß es. Wie eine Einigung aussehen könnte, ist offen.

Steuererleichterungen

Finanzminister Christian Lindner (FDP) will im Frühjahr ein „ambitioniertes Steuerprogramm“ vorlegen. Was für die Liberalen wie eine Verheißung klingt, empfinden Grüne und Sozialdemokraten als Drohung. Sie lehnen weitgehende Steuersenkungspläne der FDP ab.

Im vergangenen Jahr war es Lindner wegen der hohen Inflation gelungen, umfangreiche Steuererleichterungen durchzusetzen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen. Neue Umstände verlangen neue Lösungen – so sieht es die FDP. Und das gilt aus ihrer Sicht auch für die Unternehmensteuern. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhöhen, würde man im Finanzministerium am liebsten die Steuersätze für Einkommen- und Körperschaftsteuer senken.

Das werden SPD und Grüne aber kaum mitmachen. Als Kompromiss könnte es deshalb kleinere Änderungen geben, welche sich in Summe aber auch für die Wirtschaft bemerkbar machen. Zu den Maßnahmen zählen etwa bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz.

Rente

Auf Druck der Liberalen haben die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag den Aufbau einer kapitalgedeckten Säule in der gesetzlichen Rentenversicherung vereinbart. Doch über die Reichweite dieser Idee gehen die Vorstellungen auseinander. Vereinbart ist zunächst nur, zehn Milliarden Euro in die neue Säule zu stecken.

Finanzminister Lindner schwärmt aber schon davon, die Kapitaldeckung mittelfristig auf einen dreistelligen Milliardenbetrag auszubauen. Davon hält die SPD wenig. Dreh- und Angelpunkt ihrer Rentenpolitik bleibe die langfristige Stabilisierung des Rentenniveaus von 48 Prozent. Hier warnen die Liberalen hingegen vor hohen Kosten.

Will Lindner mehr Geld oder Staatsbeteiligungen in sein „Generationenkapital“ stecken, wird seine Partei das in künftigen Haushaltsverhandlungen durchsetzen müssen.

Atomkraft

FDP und Grüne hatten sich im Herbst eine zermürbende Auseinandersetzung um längere Laufzeiten der drei verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland geliefert, die eigentlich Ende 2022 vom Netz gehen sollten. Nach einem Machtwort von Scholz im Oktober laufen diese nun bis 15. April.

Die FDP pocht aber mit Blick auf die Versorgungssicherheit bei Strom auf einen Weiterbetrieb der Atommeiler über dieses Datum hinaus. Weil die Grünen strikt dagegen sind, dürften die Erfolgschancen für einen Weiterbetrieb der Meiler gering sein. Auch die SPD zeigt keine Neigung, sich wieder mit dem Thema zu beschäftigen. Die Stimmung unter den Koalitionären belastet das Thema trotzdem.

Energieeffizienz

Nicht mal einen Tag nach dem Machtwort von Kanzler Scholz im Atomstreit brachte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Energieeffizienzgesetz auf den Weg. Die Geschwindigkeit wollte er beibehalten und es in der Folgewoche vom Kabinett beschließen lassen. Passiert ist das aber bis heute nicht.

Finanz- und Bauministerium hatten noch im Oktober ihr Veto eingelegt. Und eine Einigung scheint noch immer nicht in Sicht. Die SPD-Bauexperten halten die Pläne für den sozialen Wohnungsbau nicht mit den von den Grünen angedachten Energieeffizienz-Zielen vereinbar. Die FDP wollte generell nie ein eigenes Gesetz zu dem Thema, fürchtet Bürokratie und Doppelstrukturen.

Migration

Beim versprochenen „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik“ setzen die Parteien unterschiedliche Akzente. Die Liberalen wollen vor allem eine bessere Förderung der Arbeitsmigration sowie mehr Unterstützung vom Bund bei der Durchsetzung von Ausreisepflicht und Abschiebungen.

Hier zeichnet sich eine Lösung ab. Um das Thema Abschiebungen soll sich ab Februar der neue Sonderbevollmächtigte für Migrationsfragen, Joachim Stamp (FDP), kümmern.

Doppelte Staatsbürgerschaft

Die FDP hat Vorbehalte gegen die Pläne von Innenministerin Faeser.



(Foto: dpa)

Festgebissen hat sich die FDP an den Plänen von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine erleichterte Einbürgerung. So sollen Migranten künftig in der Regel schon nach fünf statt nach acht Jahren einen deutschen Pass bekommen können. Außerdem will Faeser die Möglichkeiten der doppelten Staatsangehörigkeit ausweiten.

Die FDP will klar geregelt haben, dass sich doppelte Staatsangehörigkeiten nicht weitervererben. Eine Lösung könnte darin bestehen, im Gesetz einen „Generationenschnitt“ bei der doppelten Staatsbürgerschaft zu verankern, so wie es FDP-Chef Lindner vorgeschlagen hat.

Wettbewerbsrecht

Nachdem im Sommer die Debatte um die Weitergabe des Tankrabatts aufkam, legte Habecks Wirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf zur Reform des Wettbewerbsrechts vor. Er beinhaltet einen Paradigmenwechsel: Das Kartellamt könnte bestimmte Branchen untersuchen und bei fehlendem Wettbewerb eingreifen, auch ohne illegales Verhalten der Unternehmen festzustellen – bis hin zur Zerschlagung als letztes Mittel. Anfang Dezember wollte das Wirtschaftsministerium das Gesetz durchs Kabinett bringen.

Doch die FDP-geführten Ressorts Finanzen und Justiz legten ihr Veto ein. Sie haben rechtliche Bedenken und fürchten zu tiefe Eingriffe in die Wirtschaft, ließen mit ihrer Kritik im Detail aber erst warten. Vor einigen Tagen verlieh Justizminister Marco Buschmann (FDP) seiner Blockade erneut Ausdruck, indem er eine lange Liste mit grundsätzlichen Fragen zum Gesetz an Habeck schicken ließ.

In dieser Woche, so heißt es in Regierungskreisen, habe man sich aber angenähert, eine Lösung des Zwists rücke näher.

Rüstung und Militärhilfe für die Ukraine

Bei der Militärhilfe für die Ukraine gab es bisher eine Koalition der zwei Geschwindigkeiten. Grüne und FDP waren in der Frage der Panzerlieferungen forscher als die SPD, in der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, Kanzler Scholz werde von den beiden kleineren Koalitionspartnern getrieben.

Kampfpanzer Leopard 2

In der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine entstand lange der Eindruck einer Koalition der zwei Geschwindigkeiten.


(Foto: AP)

Dies könnte sich wiederholen, wenn es nach den Panzern irgendwann um den nächsten qualitativen Schritt bei Waffenlieferungen geht, etwa Flugzeuge. Letztlich gilt aber: Gegen Scholz wird keine Entscheidung über die Lieferung bestimmter Waffen fallen.

Einigkeit besteht beim Ziel, die Bundeswehr besser auszustatten. Uneins ist die Ampel, ob es dafür eine starre Vorgabe für die Höhe der Verteidigungsausgaben braucht. Teile der SPD und der Grünen sehen die Orientierung am Zwei-Prozent-Ziel, das die Nato gerne in Richtung drei Prozent verschieben würde, skeptisch. Vorerst hilft aber das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen, um Konflikte in der Ampel zu entschärfen.

Mehr: Länder protestieren gegen Aus für Hilfen bei Öl- und Pellet-Heizungen



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