Salvador Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am heutigen Montag nach seinen Besuchen in Argentinien und Chile in Brasilien eintrifft, werden trotz der Reparaturen immer noch einzelne Schäden im Regierungsviertel sichtbar sein.
Radikale Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro haben dort vor etwa drei Wochen bei ihrem Sturm auf den Amtssitz von dessen Nachfolger, Luiz Inácio Lula da Silva, das Oberste Gericht und den Kongress viel zerstört. Doch der Plan, einen Putsch mit Beteiligung der Militärs zu provozieren, scheiterte.
Nach dem Sturm der Vandalen wird der deutsche Staatsbesuch in Brasília wohl als ein klares Zeichen der Solidarität zur brasilianischen Demokratie und Lula gewertet werden. Das passt gut zu den Plänen Berlins: Scholz will die Beziehungen zu Brasilien mit dem Sozialdemokraten Lula wiederbeleben. Diese waren unter Bolsonaro auf Eis gelegt worden. Politisch ist der Zeitpunkt günstig: Nicht nur in Brasília auch in Santiago und Buenos Aires stehen die Regierungen der Ampelkoalition nahe.
Mit seiner Blitzvisite zeigt Scholz nun unmissverständlich, wie wichtig Südamerika geworden ist. Deswegen ist seine Reise für die deutsche Wirtschaft eine Chance, sich in Südamerika stärker zu engagieren.
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Der Kontinent ist mit der veränderten weltpolitischen Lage durch den Ukrainekonflikt und die Klimawende wichtiger geworden für Europa. Die Staaten profitieren als Produzenten von Energie, Nahrung und Rohstoffen von der Energiewende. Die Gründe für die gewachsene geopolitische und geoökonomische Attraktivität Südamerikas für Europa:
Südamerika als Lebensmittellieferant
Mit Brasilien und Argentinien, aber auch wegen der Farmen in Staaten wie Chile, Paraguay, Peru, Bolivien oder Kolumbien ist Südamerika zu einem wichtigen Agrarexporteuer aufgestiegen, wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen berichtet. Demnach liegt Brasilien auf Platz drei – nach den USA und der EU. Argentinien ist auf Nummer zehn.
Die Region liefert Nahrungsmittel in die ganze Welt, die jetzt zum Teil wegen der Ukrainekrise fehlen. Das meiste von Soja, Mais, Zucker und tierischem Protein von Rindern, Schweinen und Geflügel wird nach Fernost verkauft.
Doch die Lebensmittelausfuhren etwa von Brasilien – dem größten Agrarexporteuer der Region – nach Europa wachsen schneller als nach China, dem wichtigsten Absatzmarkt Brasiliens. Europa importierte letztes Jahr 40 Prozent mehr aus Brasilien, wie das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung in Brasilien bekannt gab.
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Es gibt laut Investmentbank JP Morgan wenig Produzenten weltweit, die so breit aufgestellt sind, dass sie mit ihren Produkten die ganze Welt beliefern können, ohne dabei abhängig zu werden von einem Abnehmer.
Südamerika exportiert industrielle Rohstoffe
Gleichzeitig sind viele Staaten Südamerikas wichtige Rohstofflieferanten für die weltweite Industrie: Das gilt traditionell etwa für Eisenerz und Bauxit aus Brasilien, Kupfer aus Chile und Peru, Lithium aus Argentinien. Doch das Angebot an Rohstoffen aus dem Bergbau in Südamerika ist sehr viel diversifizierter, als es auf den ersten Blick scheint.
Beispiel Brasilien: Die deutsche Rohstoffagentur Dera verweist darauf, dass Brasilien neben Eisenerz, Bauxit und Niob über viele spezielle Metalle und Industriemineralen verfügt, die für die Entwicklung von Zukunftstechnologien bei Energie und Elektromobilität in Deutschland, aber auch weltweit unerlässlich sind.
Brasilien verfügt über große Vorkommen an Nickel, Zinn, Tantal, Vanadium, Kupfer und dem Mineral Grafit, schätzt die wissenschaftliche US-Behörde „Geological Survey“ jüngst. Auch das Potenzial an Kobalt, Lithium und seltenen Erden sei gewaltig. Viele von diesen Vorkommen werden gerade erschlossen.
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Knapp zwei Drittel der weltweiten Reserven an Lithium befinden sich in den Andenregionen von Bolivien, Argentinien und Chile, wie die Behörde bekannt gab. Das Dreiländereck in den Anden wird zum weltweit führenden Versorger des Batterie-Rohstoffs.
Südamerika als Energielieferant und als Exporteur von grünem Wasserstoff
Die Energiewende und der Bedarf an nachhaltig gewonnener Energie macht Südamerika als Lieferant und Standort für Industrie interessant, die ihre Emissionen reduzieren wollen. Chile und Uruguay sind am weitesten fortgeschritten.
In Chile etwa gibt es derzeit rund 30 Projekte, bei denen grüner Wasserstoff industriell zum Einsatz kommen wird, wie Cornelia Sonnenberg, Geschäftsführerin der Deutsch-Chilenischen Handelskammer in Santiago, sagt. „Chile hat das Ziel, bis 2030 einer der wettbewerbsfähigsten Hersteller von grünem Wasserstoff weltweit zu werden“, fügt Sonnenberg hinzu.
Auch Brasilien wird immer mehr zum Lieferanten nachhaltig gewonnener Energie. Einerseits produziert das Land konventionelle Energie (Öl, Ethanol aus Zuckerrohr, Biodiesel aus Soja). „In der globalen Energiebilanz ist Brasilien eines der Länder mit dem größten Anteil an erneuerbarer Energie“, heißt es bei der Exportinitiative Energie von der Deutsch-Brasilianischen Handelskammer in São Paulo. Der überwiegende Anteil des Stroms wird in Wasserkraftwerden, Solar- oder Windparks produziert. Dazu gibt es noch Biostrom aus den Zuckerraffinerien und Methangas aus der Landwirtschaft.
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Dadurch ist Brasilien prädestiniert als künftiger Lieferant von grünem Wasserstoff. Luiz Ribeiro, der Manager des Private-Equity-Fonds General Atlantic in Brasilien, rechnet damit, dass Brasilien beim Thema Dekarbonisierung künftig eine entscheidende Rolle weltweit spielen wird.
Ausländische Konzerne investieren trotz der Krisen wieder massiv in die Region
Ausländische Konzerne haben als Erste die strategische Bedeutung Südamerikas erkannt – und investieren dort wie zuletzt in den 2000er-Jahren. Brasilien ist Vorreiter, trotz des schwachen wirtschaftlichen Wachstums seit nun einer Dekade. Brasilien zog 2021 nach den USA, China und Hongkong sowie Kanada die meisten ausländischen Direktinvestitionen an.
Scholz drängt in Argentinien auf Abschluss des Freihandelsabkommens
JP Morgan schätzt, dass es dieses Jahr mit rund 56 Milliarden Dollar noch mal zehn Prozent mehr werden. Ivan Kleimann, Portfoliomanager von Abrdn in São Paulo, sagt: „Brasilien ist im Vergleich zu den anderen Schwellenländern weniger geopolitischen Risiken ausgesetzt und gilt zudem als starke Demokratie mit soliden Institutionen.“
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Das gilt ähnlich auch für das restliche Südamerika: Auch in kleineren Ökonomien wie Uruguay oder Chile ist der Anteil der Auslandsinvestitionen im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) überdurchschnittlich hoch, wie aus amtlichen Statistiken hervorgeht.
Viele der Demokratien Südamerikas sind überraschend stabil
Lateinamerika ist neben Westeuropa und Nordamerika die Region mit der höchsten Demokratiedichte. Nach dem jährlichen Demokratie-Index des Economist Intelligence Unit (EIU) leben etwa 80 Prozent der 664 Millionen Menschen in der Region in Demokratien.
Erstaunlich positiv ist die Spitzenstellung einiger Staaten in dem Index: So steht Uruguay auf Platz 13, zwei Plätze vor Deutschland. Uruguay ist einer der wenigen Staaten weltweit, die seit mehr als 15 Jahren ihre Demokratie verbessern. Chile auf Platz 25 rangiert bei der Qualität seiner Demokratie auf der gleichen Stufe wie etwa Spanien. Beide Staaten stehen auf dem Index des EIU deutlich vor den USA, Italien oder Belgien.
In Chile, Kolumbien und Brasilien haben innerhalb der demokratischen Spielregeln politische Richtungswechsel stattgefunden. Die erfreulichen Ereignisse werden etwa von den schweren Unruhen in Peru überschattet, bei denen viele Menschen gegen die Übergangsregierung demonstrieren. Die Regierung in Venezuela verfolgt Aktivisten des Landes zufolge eine Politik der systematischen Einschüchterung und Repressalien gegen Organisationen der Zivilgesellschaft.
Die hohe Demokratiedichte in Südamerika macht die Region attraktiv als Partner, angesichts der wachsenden geopolitischen Polarisierung. Doch die strategische Aufwertung Südamerikas lässt die Region auch für andere Partner attraktiv werden: Europa ist nur einer, aber nicht der wichtigste außenpolitische Partner Brasiliens – die USA und China haben für fast alle südamerikanischen Regierungen Priorität.
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Das gilt auch umgekehrt: China ist derzeit hochaktiv dabei, nach der Pandemiepause wieder seine Investitionen und politischen Kanäle nach Brasilien und Südamerika zu beleben. Auch seitens der USA erfährt Südamerika eine Aufmerksamkeit, die Washington seit Jahrzehnten nicht mehr gegenüber der Region gezeigt hat.
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