Brüssel EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist mit einem klaren Bekenntnis zum EU-Ukraine-Gipfel gereist, der am Freitag beginnt. Als sie am Donnerstagmorgen in der ukrainischen Hauptstadt eintraf, zum vierten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs und dieses Mal in Begleitung von 15 ihrer Kommissare, verkündete sie: „Wir sind zusammen hier, um zu zeigen, dass die EU so fest wie eh und je zur Ukraine steht.“
Ein Gipfel in Kriegszeiten und unter hohem Risiko – das allein ist ein Signal dafür, wie eng die Beziehungen zwischen Kiew und Brüssel geworden sind. Doch von der Leyen will es nicht bei Symbolik belassen. Sie hat konkrete Hilfszusagen mitgebracht.
Dazu zählt die Unterstützung bei der Reparatur der Energie-Infrastruktur, die von Russland systematisch bombardiert wird. „Wir stellen sicher, dass trotz der Angriffe weiter Strom durch das Netz fließt“, versprach von der Leyen. 150 Millionen Euro werde die EU für den Einkauf von Energietechnik bereithalten. Insgesamt stellt die EU der Ukraine in diesem Jahr 18 Milliarden Euro zur Verfügung, um den Staatsbetrieb aufrechtzuerhalten.
Auch die EU-Ausbildungsmission für das ukrainische Militär soll ausgeweitet werden. Die EU will 15.000 weitere Soldaten trainieren, die Gesamtzahl steigt damit auf 30.000.
Zudem kündigte von der Leyen an, dass das seit Dezember geplante zehnte Sanktionspaket spätestens am 24. Februar fertig sein soll – zum erste Jahrestag der russischen Invasion. Erwartet werden neue Einreise- und Vermögenssperren für Verantwortliche in Russland und Belarus.
Selenski erwartet „Neuigkeiten“ zum EU-Beitrittsverfahren
Doch die ukrainischen Gastgeber erwarten mehr, auf dem Gipfel ist daher vor allem Erwartungsmanagement gefragt. Die Regierung in Kiew dringt auf ein konkretes Datum für ihren EU-Beitritt. Brüssel will sich aber bisher nicht auf einen konkreten Zeitpunkt festlegen.
Es gelte was für alle Beitragskandidaten gelte, betonen hochrangige EU-Beamte: Erst müssten alle Kriterien für einen Beitritt erfüllt sein. Gerade bei Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung sei dies trotz wichtiger Reformen noch nicht der Fall. Erst kürzlich erschütterten Korruptionsfälle innerhalb der Regierung das Land, mehrere Minister und Vizeminister mussten gehen.
Die Ukraine will sich mit einer unbestimmten Perspektive hingegen nicht begnügen. Seine Regierung erwarte „Neuigkeiten“, stellte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski vor der Ankunft von der Leyens klar. „Wir erwarten Entscheidungen unserer Partner in der Europäischen Union, die (…) unserem Fortschritt entsprechen. Fortschritt, der offensichtlich da ist – und das trotz des großflächigen Krieges“, betonte er und unterstrich seinen Reformwillen. Schon in zwei Jahren soll sein Land beitrittsbereit sein.
Der EU-Beitritt ist für die Ukraine nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch bedeutsam. Die europäischen Verträge sehen eine Beistandsklausel vor. Im Falle eines „bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ sind die anderen EU-Mitglieder dazu verpflichtet, das angegriffene Land zu unterstützen.
Genau das ist allerdings auch der Grund, warum ein rascher Beitritt der Ukraine für viele EU-Staaten nicht infrage kommt. Nicht in den Krieg mit Russland hineingezogen zu werden bleibt eine außenpolitische Leitlinie, auch für Deutschland. Die Ukraine hat deshalb schon einen Plan B erstellen lassen.
Der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat gemeinsam mit Selenskis Stabschef Andrij Jermak den „Kyiv Security Compact“ ersonnen – ein Arrangement, das Sicherheitsgarantien für die Ukraine vorsieht, um die Zeit bis zu ihrem Beitritt zur EU und eventuell auch zur Nato zu überbrücken.
Im September 2022 wurde der Plan erstmals bekannt. Er sieht vor, dass sich eine Reihe westlicher Staaten inklusive Deutschland dazu verpflichtet, die Ukraine militärisch zu stärken und zu einem „Bollwerk“ gegen russische Angriffe zu machen.
Der bisherige Ansatz, die Waffenlieferungen an Kiew Schritt für Schritt auszuweiten, würde durch umfassende Hilfszusagen ersetzt.
Rasmussen: Europa kann nicht auf Friedensverhandlungen warten
Rasmussen wirbt seit Wochen für die Initiative – mit einigem Erfolg. Am Donnerstag stimmte das EU-Parlament für eine Resolution, die den „Kyiv Security Compact“ explizit erwähnt. Die Abgeordneten fordern die EU-Mitgliedstaaten darin auf, „für Sicherheitsgarantien auf der Grundlage des Kiewer Sicherheitspakts eng mit der Ukraine zusammenzuarbeiten“.
Die Resolution hat keine bindende Wirkung, entfaltet aber „politischen Druck auf die Regierungen“, wie Rasmussen im Gespräch mit dem Handelsblatt und einigen anderen europäischen Medien hervorhob. Kommende Woche will der frühere Nato-Chef für Spitzengespräche nach Berlin reisen. Auch ein Termin in Kanzleramt ist geplant.
„Je schneller wir den Security Compact unterzeichnen können, desto besser“, sagte Rasmussen. Auf einen Waffenstillstand oder gar einen Friedensschluss mit Russland sollten die Europäer nicht warten. „Das würde dem Kreml einen Anreiz dafür geben, die Aggression fortzusetzen“, mahnte er. „Um einen Krieg zu gewinnen, muss man den Feind überraschen und überwältigen.“
Dass sich die Europäer auf den Militärpakt mit Kiew einlassen, gilt in Brüssel allerdings als ebenso unwahrscheinlich wie die Verkündung eines festen Datums für den EU-Beitritt. Und zwar aus demselben Grund: Die Europäer haben Sorge, in eine direkte Konfrontation mit Russland verwickelt zu werden.
Mehr: EU will keinen Diesel und kein Schweröl aus Russland mehr importieren
<< Den vollständigen Artikel: EU-Ukraine-Gipfel: Kiew verlangt Sicherheitsgarantien – doch die Europäer zögern >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.