Feb 8, 2023
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Klimaneutralität: Überraschendes Papier: Habecks Berater empfehlen anderen Fokus bei Transformation der Industrie

Written by Julian Olk


Berlin Monatelang haben die Beamten von Robert Habeck (Grüne) an einer Formel getüftelt. Sie soll bestimmen, wie Stahlkocher, Chemiebetriebe und andere grundlegende Industrien Verluste vom Staat erstattet bekommen, wenn sie von fossiler auf teurere grüne Produktion umstellen.

Die Formel wird sich in den geplanten Klimaschutzverträgen wiederfinden, die die Ampel im Koalitionsvertrag vereinbart hat und die die Ministerien derzeit abstimmen. Sie soll zum Herzstück des Transformationsplans des Bundeswirtschaftsministers werden.

Doch es gibt eine Alternative zu den Verträgen: grüne Leitmärkte. Dabei treibt der Staat nicht direkt die Umstellung der Industrie an. Stattdessen sorgt er dafür, dass klimaneutral hergestellte Produkte bevorzugt gekauft werden, sei es Stahl, Chemikalien, Holz oder andere Grundstoffe. Auch die Leitmärkte finden sich im Koalitionsvertrag, doch nur vereinzelt. Habeck setzt zwar immer mehr auf sie, im Fokus stehen aber weiter die Klimaschutzverträge.

Diese Aufteilung – Klimaschutzverträge zentral und Leitmärkte selektiv – hält der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium für verbesserungswürdig. Das äußern die 37 Ökonominnen, Ökonomen und Juristen in einem neuen Gutachten, das dem Handelsblatt vorliegt. „Der Beirat empfiehlt, dem Instrument der grünen Leitmärkte den klaren Vorrang gegenüber den Klimaschutzverträgen zu geben“, heißt es darin.

Das Gutachten, das unter Federführung des Vorsitzenden Klaus Schmidt entstand, ist Ausdruck des Wandels des altehrwürdigen Beirats. Beim Klimaschutz verwiesen die Expertinnen und Experten bislang stets auf den CO2-Preis als das einzig sinnvolle Instrument.

Mit dem neuen Gutachten trennt sich das seit 1949 existierende Gremium endgültig von diesem Dogma. Es zeige sich, „dass eine reine Fokussierung auf den CO2-Preis zu erheblichen Wohlfahrtsverlusten führt“, heißt es darin.

Beiratsgutachten: Kontroversen wie selten zuvor

Der Wandel ist umso bemerkenswerter, da die Mitglieder auf Lebenszeit berufen werden. So sind klassische Ordnungsökonomen wie Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn oder Wirtschaftsweisen-Ikone Olaf Sievert bis heute Mitglieder des Beirats.

Auch die Autoren des Gutachtens, darunter mit Achim Wambach der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), sind nicht bekannt für überschwängliche Begeisterung bei staatlichen Interventionen.

>>Lesen Sie hier: Habeck hilft der Industrie mit Milliarden bei der Transformation

Aus dem Gremium ist zu hören, dass das neue Gutachten zu Kontroversen wie selten zuvor geführt habe. So findet sich darin auch der unübliche Hinweis, dass das Gutachten teils „umstritten“ sei. Das Gutachten mache ihn nervös, erzählt ein Mitglied.

Und doch hat der Beirat letztlich ohne Gegenstimme ein Gutachten beschlossen, in dem sich Formulierungen finden wie: „Hier könnte staatliche Unterstützung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass [klimafreundliche Prozesse] zügiger realisiert werden, als es der Markt allein erreichen würde.“

Das Gutachten zeigt aber auch, dass der Beirat seinen marktwirtschaftlichen Kompass nicht grundsätzlich verloren hat. Vielmehr folgt aus der Erkenntnis, dass es mit der CO2-Bepreisung allein nicht getan sei, seitenlang die Erläuterung, warum es innerhalb der staatlichen Intervention umso mehr Wettbewerb brauche.

Neuer Vorschlag: Grüne Leitmärkte anstatt nur Klimaschutzverträge

Dafür schlägt der Beirat vor, grüne Leitmärkte ins Zentrum zu rücken. Im Gutachten wird das anhand des Beispiels Stahl durchdekliniert. Beim Leitmarkt erhalten die Hersteller kein Geld direkt vom Staat, um die Mehrkosten auszugleichen, die bei der Stahlproduktion mit Wasserstoff anstelle fossiler Energie entstehen. Stattdessen sorgt der Staat dafür, dass die Nachfrage nach grünem Stahl so hoch wird, dass es keinen finanziellen Nachteil mehr gibt.

Ein grüner Leitmarkt könne auf drei Wegen entstehen:

  • indem der Staat selbst in der Beschaffung vorgibt, grünen Stahl zu verwenden, beispielsweise im Bau, für Züge oder bei Brücken;
  • indem die Verwendung von grün produziertem Stahl vorgeschrieben wird, für Haushaltsgeräte oder Fahrzeuge – je nach Größe eines Autos würde dieses durch grünen Stahl 300 bis 700 Euro teurer werden;
  • oder indem der Staat den Produzenten oder Abnehmern Vergünstigungen gewährt, wenn diese sich für grünen Stahl entscheiden.

Der größte Vorteil aus Sicht des Beirats ist, dass der Staat die Kostenstrukturen der Unternehmen nicht kennen muss. Bei Habecks Klimaschutzverträgen hingegen kann die Berechnungsformel noch so gut sein: Ob sie die genaue Lücke bei den Betriebskosten zwischen grüner und fossiler Stahlproduktion abbildet, kann der Staat nicht wissen.

Die Details kennt nur das Unternehmen. Und das hat einen Anreiz, die Lücke größer darzustellen, um mehr Geld vom Staat zu bekommen.

Neue, handelbare Zertifikate für grüne Produktion

Damit ein Leitmarkt funktioniert, müssen die Hersteller beweisen, dass sie grün produzieren. Denn ob mit Wasserstoff oder fossiler Energie produziert, am Ende sieht der Stahl gleich aus.

Deshalb müssten Zertifikate eingeführt werden, die das Unternehmen erhält, nachdem eine Behörde die CO2-Neutralität bei der Herstellung kontrolliert hat. Über die Zertifikate könnten auch ausländische Wettbewerber in den Leitmarkt einbezogen werden.

Arbeiter an einem Behälter mit flüssigem Eisen

Die Stahlproduktion ist für 30 Prozent der CO2-Emissionen der deutschen Industrie verantwortlich.


(Foto: imago images/imagebroker)

Damit es für die Unternehmen aber nicht zu kompliziert wird, schlägt der Beirat vor, die Zertifikate handelbar zu machen. Angenommen, im Automarkt lautete die Vorgabe, dass 50 Prozent grüner Stahl eingesetzt werden müssen, kann das für Hersteller problematisch sein. Was, wenn sie einen festen Lieferanten haben, der aber nur 20 Prozent seiner Stahlproduktion grün umgestellt hat? Oder wenn zu wenig grüner Stahl verfügbar ist?

Dann könnten die Unternehmen einfach Grünstahl-Zertifikate kaufen, etwa von Unternehmen, die die Vorgaben übererfüllen. An der Menge an grün produziertem Stahl ändert das nichts.

>>Lesen Sie hier: Mittelstand sieht sich bei Klimaschutzverträgen benachteiligt

Die grünen Leitmärkte haben allerdings ein Problem: Sie funktionieren nur europäisch. Einen Zertifikatehandel für Stahl und für alle anderen Grundstoffindustrien aufzubauen würde Jahre dauern. „Darum sind grüne Leitmärkte keine schnelle Lösung, um die Transformation zur klimafreundlichen Produktion voranzutreiben“, heißt es im Gutachten.

Aus diesem Grund hält der Beirat es für richtig, Klimaschutzverträge einzusetzen. Das sollte die Bundesregierung jedoch nur kurz und sehr begrenzt tun, um dann auf den Leitmärkte-Zertifikatehandel umzustellen. Robert Habeck wird den Vorschlag vermutlich genau betrachtet haben: Er hat das Gutachten vor einigen Tagen freigegeben.

Mehr: Klimaschützer und Wissenschaftler fordern CO2-Speicher in Deutschland.



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Politik

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