London In Großbritannien landen frühere Premierminister nach ihrem Rücktritt meist auf den Hinterbänken des Unterhauses in Westminster. Dort werden sie dann von ihren Nachfolgern misstrauisch beäugt und mehr oder weniger ernst genommen. Dem amtierenden britischen Premier Rishi Sunak sitzen gleich drei geschasste Vorgänger aus der eigenen Konservativen Partei im Nacken – und zwei davon könnten ihm gefährlich werden.
Von der 2019 zurückgetretenen Theresa May hat der amtierende Premier kaum etwas zu befürchten. Boris Johnson und Liz Truss sind dagegen zwei „politische Zombies“, derzeit Parlamentarier ohne Regierungsposten, die Sunak direkt oder indirekt für ihren Machtverlust mitverantwortlich machen. Beide Ex-Premiers hegen aber auch Ambitionen, den politischen Kurs Großbritanniens noch einmal erheblich zu beeinflussen.
In der konservativen Parlamentsfraktion hat sich unter dem Truss-Anhänger Simon Clarke bereits eine „Wachstumsgruppe“ gegründet, die sich den Ideen der Möchtegern-Thatcher-Erbin verpflichtet fühlt. Selbst Tory-Granden wie der ehemalige Brexit-Unterhändler David Frost liebäugeln mit Truss“ Ideen, die, so Frost, die Ex-Premierministerin nur zu überstürzt habe durchsetzen wollen.
Das könnte für den von Skandalen und Wirtschaftskrise bereits angeschlagenen Sunak zu einem weiteren Problem werden. Trifft Truss doch mit ihren neuerlichen Forderungen nach Steuersenkungen den Nerv vieler Tories, die angesichts schlechter Umfragewerte um ihre Parlamentssitze bangen und den finanzpolitischen Stabilitätskurs ihres Premiers für viel zu mutlos und wachstumshemmend halten.
Parteiinterner Druck nimmt zu
Der parteiinterne Druck für eine Kurskorrektur hat weiter zugenommen, nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) vergangene Woche die Wachstumszahlen bekannt gab. Von allen großen Industrienationen, inklusive Russland, weisen die Briten mit voraussichtlich minus 0,6 Prozent den schwächsten Wert für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf.
Am Wochenende lieferte Truss in einem Gastbeitrag für ihr konservatives Herzblatt „The Telegraph“ in 4000 Worten ihre Memoiren über ihre nur 49 Tage dauernde Amtszeit ab. Statt ihre krisengeschüttelten Landsleute für das Chaos ihrer „Trussonomics“ aus ungedeckten Steuersenkungen um Verzeihung zu bitten, behauptete die 47-Jährige, sie sei mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht an der Realität, sondern am „mächtigen wirtschaftlichen Establishment“ gescheitert.
Das parteiunabhängige Office for Budget Responsibility (OBR) habe sie in eine finanzpolitische „Zwangsjacke“ stecken wollen. Das eigene Finanzministerium leide an chronischem „Pessimismus“. Zwar habe auch sie Fehlergemacht. Aber: „Als ich die Downing Street betrat, ging ich davon aus, dass mein Mandat respektiert und akzeptiert würde. Wie falsch ich doch lag.“
Ihre Partei habe sie nicht hinreichend unterstützt. Sie habe mit ihren Ideen von niedrigen Steuern und Deregulierung „gegen den internationalen Strom schwimmen müssen“ und sei dabei auch vom IWF und von US-Präsident Joe Biden kritisiert worden.
Ihren Nachfolger Sunak nennt sie zwar nicht namentlich, seine und die Entscheidung von Finanzminister Jeremy Hunt, ihre Steuersenkungspläne weitgehend wieder rückgängig zu machen, prangert sie jedoch offen an. Am Montagabend legte sie in einem Interview mit dem konservativen Magazin „The Spectator“ noch einmal nach.
Nein, sie wolle nicht noch einmal Premierministerin werden, aber für ihre Ideen kämpfen, sagte Truss. Sie kritisierte, dass unabhängige Denkfabriken wie das OBR mit ihren Wirtschaftsprognosen den Handlungsspielraum von gewählten Regierungen einschränkten. „Uns wird im Prinzip vorgegeben, was wir tun können“, sagte die frühere Premierministerin mit Blick auf Einnahme- und Ausgabeentscheidungen.
Für das abrupte Ende ihre Amtszeit nach nur 49 Tagen machte sie nicht nur die linksgerichtete Orthodoxie des wirtschaftlichen Establishments verantwortlich, sondern auch die Marktturbulenzen bei den sogenannten Liability-Driven-Investments (LDI), die Pensionsfonds zur Deckung ihrer Verpflichtungen einsetzen. „Wir kannten diese Risiken nicht“, sagte Truss.
Das Echo auf den Comeback-Versuch kam prompt. Wirtschaftsminister Grant Shapps, der schon unter Truss gedient hatte, konterte, die ehemalige Premierministerin habe es versäumt, die strukturellen Probleme des Landes wie hohe Inflation und Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen.
Sunak steht unter Druck
Sunak steht also politisch wie wirtschaftlich unter enormem Druck. Sein Finanzminister Hunt hat Steuersenkungen bei seinem für Mitte März geplanten Haushaltsentwurf bereits ausgeschlossen. Kürzlich legte Hunt auch einen Wachstumsplan vor, der jedoch von der Wirtschaft und Ökonomen als viel zu vage kritisiert wurde.
Sunak wird von seinen Vorgängern in die Enge getrieben.
(Foto: AP)
Zwar sei das „allgemeine Thema ermutigend, aber die Einzelheiten sind dürftig, insbesondere im Bereich Bildung“, sagte Jagjit Chadha, Direktor beim National Institute of Economic and Social Research (NIESR).
Zugleich wittern Truss und Johnson ihre zweite Chance: Beide reisten kürzlich in die USA und wurden dort von erzkonservativen Republikanern und Denkfabriken umgarnt: Truss für ihre neoliberale Wirtschaftspolitik, Johnson für seine uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine gegen Russland.
Da beide vom rechten Parteiflügel kommen, wird sich über kurz oder lang die Frage stellen, wer die innere Opposition bei den Tories anführen soll. Sunak hat dann vielleicht einen Gegenspieler weniger, aber leichter hat er es damit nicht.
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