Feb 6, 2023
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Handelsabkommen: Partner oder Gegner? Wie sich EU und USA beim Freihandel annähern könnten

Written by Annett Meiritz

Washington Robert Habeck ist als Schadenbegrenzer angereist. Zwei Tage lang versucht der Bundeswirtschaftsminister in Washington derzeit, den sogenannten „Inflation Reduction Act“ (IRA) zu entschärfen. Das Milliarden-Subventionsprogramm der USA hat die EU in Aufruhr versetzt. Die Europäer fürchten Abwanderungen ihrer Industrien. Große Teile der Förderinstrumente des IRA sind daran geknüpft, dass die Produkte aus den Vereinigten Staaten kommen.

Das Dilemma hätte es für die EU gar nicht geben müssen: Die meisten protektionistischen Vorschriften gelten nicht für Länder, mit denen die USA ein Handelsabkommen geschlossen haben. Die EU hätte dazugehören können, doch das transatlantische Abkommen TTIP scheiterte 2017. Seit Jahren sprechen Europäer und Amerikaner in der Handelspolitik eine andere Sprache.

Doch jetzt gibt es vom alten Kontinent wieder Annäherungsversuche, dem IRA zum Trotz. Die geopolitische Zeitenwende hat zumindest Gedankenspiele um ein EU-US-Handelsabkommen wieder auf die Agenda gebracht. Und noch konkreter könnten die Gedanken bei einem Zollabkommen werden. „Europa und die USA sind im letzten Jahr eng zusammengerückt“, sagte Grünen-Politiker Habeck.

So wird der Vizekanzler in Washington nicht nur über Trennendes zwischen der EU und den USA reden, sondern auch über potenziell Verbindendes. Fraglich ist allerdings, ob die Amerikaner sich gesprächsbereit zeigen werden.

Habeck erinnerte zwar daran, dass offizielle Verhandlungen in der Handelspolitik immer in der Hand der EU-Kommission lägen: „Das ist eindeutig so und soll auch nicht infrage gestellt werden.“ Klar ist aber: Wenn Europa handelspolitisch vorankommen will, muss der Weg erst einmal über Berlin gehen. Das Scheitern von TTIP hatte viele Gründe, Proteste mit Tausenden Anhängern in Deutschland gehörten zum Kern. Und Habecks Grüne waren ein wichtiger Teil der Protestbewegung.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Der russische Angriff auf die Ukraine und die Sorge vor einer Abkopplung Chinas, sollte die Volksrepublik den Inselstaat Taiwan angreifen, haben Habeck zum Handelsreisenden gemacht. Seit Monaten ist er weltweit auf Mission, neue Märkte zu erschließen und bestehende Partnerschaften zu vertiefen. Auch die Wirtschaftsmacht USA gehört dazu.

Lindner und Scholz wollen TTIP-Neuauflage

In der im Herbst beschlossenen Handelsagenda der Ampelkoalition findet sich ein eigenes Kapital für einen „neuen Anlauf für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für Freihandel und fairen Handel“. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat schon vor Monaten einen Neustart für ein Handelsabkommen mit den USA gefordert. Zuletzt hat das auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) getan.

Ein umfassendes Handelsabkommen mit den USA wird mit den Grünen nicht zu machen sein, dafür wiegt das TTIP-Trauma zu schwer. „Die großen Handelsabkommen sind ja immer allumfassend, darüber wird im Moment überhaupt nicht gesprochen“, sagte Habeck am Montag in Washington. Das USA-Kapitel fand seinen Weg überhaupt nur auf Drängen der FDP in die Handelsagenda.

>> Lesen Sie hier: Habeck will mit Le Maire in Washington Europas Industrie verteidigen

Doch ignorieren können die Grünen weder die geeinte Agenda noch die geopolitische Zeitenwende. Habeck erklärte, er könne sich gut ein Abkommen über gemeinsame Standards mit den USA vorstellen. Dadurch sollten ihm zufolge möglicherweise EU-Produkte in den USA und andersherum ohne weitere Prüfung zugelassen werden können. „Das scheint mir jetzt auch keine Raketenwissenschaft zu sein.“

Schon vor seiner Reise hatte der Wirtschaftsminister aber eine weitere Option ins Spiel gebracht, die der Wirtschaft mindestens genauso schmackhaft sein dürfte. Anstatt eines umfassenden Vertrags wie TTIP könnte eine auf das Wesentliche abgespeckte Variante Thema werden: ein Industriezollabkommen.

Habeck ist mit diesem Vorschlag bei den Parteilinken auf offene Ohren gestoßen. Katharina Dröge, einst einer der Köpfe der Anti-TTIP-Bewegung und inzwischen Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hatte dem Handelsblatt kürzlich gesagt: „Allen voran hielte ich es für sinnvoll, Gespräche für ein Industriezollabkommen aufzunehmen.“ Auch im 2021 eingerichteten transatlantischen Handels- und Technologierat (TTC) tauschen sich Europäer und US-Amerikaner über Zollangelegenheiten aus.

Gegenseitige Zölle auf Autos im Fokus

Verhandlungsmasse gibt es bei den Zöllen durchaus. US-Präsident Joe Biden hat zwar dem Handelskrieg seines Vorgängers ein Ende bereitet. Donald Trump hatte während seiner Amtszeit Strafzölle auf die Einfuhr von Stahl und Aluminium erhoben, Brüssel mit Gegenzöllen auf Jeans oder Motorräder und weitere US-Produkte geantwortet.

Stahl der Salzgitter AG in Niedersachsen

Unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump galten in den USA hohe Zölle auf die Einfuhr von Aluminium und Stahl.



(Foto: dpa)

Seit Oktober 2021 können die Europäer Stahl und Aluminium wieder zollfrei einführen, allerdings nur eine bestimmte Menge pro Jahr. Für alles darüber hinaus fällt der Zoll an.

Und dieser Kompromiss läuft im Oktober 2023 aus. Die US-Regierung hatte kürzlich vorgeschlagen, Stahl und Aluminium danach nur mit abgestuften Zöllen zu belegen. Dafür verlangte Washington vom geplanten CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU („CBAM“) ausgenommen zu werden.

Für die EU sei es aber unvorstellbar, den größten Handelspartner von dem Instrument auszuschließen, heißt es aus Regierungskreisen. Schließlich wolle man damit den Nachteil durch die CO2-Bepreisung in der EU ausgleichen. In den USA gibt es zwar teilweise CO2-Preise, doch nur sehr fragmentiert und nicht annähernd mit einer Wirkung wie der in Europa.

Weitere Zölle sind nur ausgesetzt. Im Streit über die Subventionierung der Flugzeugbauer Airbus und Boeing hatte Trump umfassende Zölle veranlasst, die EU zog nach. Biden hat das gestoppt, allerdings erst einmal nur für fünf Jahre. Sollte bei den nächsten US-Präsidentschaftswahlen 2024 Trump wieder an die Macht kommen, stünde ein erneuter Handelskrieg an.

>> Lesen Sie hier: Kommentar: Die EU darf im Subventionswettlauf mit den USA nicht stehen bleiben

„Ein umfassendes Industriezollabkommen würde daher einen deutlichen Schub für die wirtschaftliche Integration der beiden Wirtschaftsräume bedeuten und wäre auch geopolitisch ein starkes Signal“, sagt Lisandra Flach, Außenhandelschefin des Ifo-Instituts.

Die Amerikaner könnten mit Blick auf die Automobilbranche Interesse haben. Für ein Elektroauto aus den Vereinigten Staaten fällt in der EU ein Einfuhrzoll von zehn Prozent an. Für ein EU-Elektroauto wird in den USA dagegen ein Importzoll von zwei Prozent erhoben.

Biden setzt auf Protektionismus

Ausgerechnet das Beispiel Autos zeigt aber die Hürden eines solchen Abkommens. Deutschland und Frankreich haben wenig Interesse, dass ihre wichtigen Autoindustrien zusätzliche ausländische Konkurrenz bekommen.

Und obwohl der Präsident nicht mehr Trump heißt, ist von den USA kaum Bewegung in der Handelspolitik zu erwarten. Protektionismus ist auch unter Biden eine zentrale Konstante. Wenn es um Amerikas wirtschaftliche Interessen geht, setzt der Demokrat in vielen Belangen auf einen konsequenten „Buy America“-Kurs. Auch die Gespräche im TTC zu dem Thema Zölle laufen äußerst schleppend, ist von Beteiligten zu hören.

Selbst wenn es ein Interesse der Amerikaner gäbe, müsste die EU ihnen Zugeständnisse machen, etwa eine Öffnung des europäischen Agrarmarkts. Und da würde unter anderem Frankreich keinesfalls mitmachen. 

Habeck hat immerhin die Möglichkeit, beide problematischen Fronten auf einmal anzugehen: Am Dienstag trifft er in Washington gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire auf US-Handelsministerin Gina Raimondo. Das geplante Treffen mit der Handelsbeauftragte Katherine Tai fällt allerdings aus.

Mehr: Streitgespräch: Wie viel Industriepolitik muss sein? „So kann man den USA nicht begegnen“ – „Sehe ich komplett anders“



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Politik

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