Ankara Als am frühen Montagmorgen ein Erdbeben schlimmste Verwüstungen in der Südtürkei und Nordsyrien anrichtete, sorgte ein Angebot für Aufsehen: Israel erklärte sich bereit, Hilfsgüter in das benachbarte Syrien zu schicken. Dabei befinden sich die beiden Länder seit Jahren offiziell im Kriegszustand.
Die Zahl der Toten in Syrien ist nach Angaben von Behörden und Einsatzkräften mittlerweile auf mindestens 1602 gestiegen, dazu kommen Tausende Verletzte. Insgesamt kamen bei der Katastrophe in beiden Ländern mehr als 5000 Menschen ums Leben. Doch die schrecklichen Folgen des Erdbebens könnten einen positiven Nebeneffekt erzeugen: Mehrere Staaten bieten Syrien humanitäre Hilfe an – und könnten damit ein Tor öffnen für Verhandlungen über ein Ende des seit mehr als einem Jahrzehnt andauernden Bürgerkriegs, der das Land politisch isoliert hat.
Am Montag hatte zunächst der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Hilfe für die Opfer des Erdbebens in Syrien angekündigt. Israelische Regierungsvertreter bestätigten, es sollten Medikamente, Decken und Zelte geschickt werden.
Solche Angebote beweisen, dass humanitäre Katastrophen auch eine Chance für diplomatische Bemühungen sein können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Türkei. Nach einem Erdbeben 1999 entsandte der damalige Erzfeind Griechenland Rettungsteams in das Nachbarland. Anschließend entspannte sich die politische Lage zwischen Ankara und Athen für mehrere Jahre.
Von diesen als „Erdbebendiplomatie“ bekannten politischen Tauwettermaßnahmen könnte nun auch Syrien profitieren. Bereits in den vergangenen Monaten hatten sich einige Staaten der Region trotz des Bürgerkriegs Syrien angenähert. So reisten etwa Politiker aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten in das Land. Auch mit türkischen Regierungsvertretern gab es Treffen. Jetzt könnten die Hilfsmaßnahmen dazu führen, alte Feindschaften zu überwinden.
Doch im Falle Syriens ist es nicht so einfach wie damals zwischen Griechenland und der Türkei. Denn der syrische Machthaber Baschar al-Assad wird wegen seines Vorgehens gegen die eigene Bevölkerung international geächtet. Hunderttausende starben, weil Assads Truppen ihre eigenen Landsleute ermordeten. Außerdem fliegt das Regime mit russischer Unterstützung immer noch Luftangriffe im Norden des Landes. Die von der Opposition betriebene Zivilschutzorganisation Weißhelme forderte bereits, die Luftangriffe nach dem Erdbeben einzustellen.
Lage im Norden Syriens ist kompliziert
Mittlerweile haben Länder wie Algerien, der Irak, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Ägypten Hilfslieferungen per Flugzeug in die betroffenen Gebiete geschickt. Der Iran kündigte an, sowohl die Türkei als auch Syrien zu unterstützen. Die Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission meldete ebenfalls, über ihre humanitären Hilfsprogramme Such- und Rettungsaktionen zu organisieren sowie Hilfsgüter in betroffene Regionen zu schicken.
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Die Hilfe zu den Opfern zu bringen ist allerdings eine Herausforderung. Während die Türkei über geschulte und erfahrene Rettungskräfte sowie eine professionelle staatliche Katastrophenhilfe verfügt, dürften sich auf syrischer Seite aufgrund des Bürgerkriegs sowohl die Rettungs- als auch die Hilfsmaßnahmen als weitaus schwieriger erweisen.
Vor allem im Norden des Landes, wo das Erdbeben die stärksten Schäden hinterließ, ist die Lage kompliziert. Die Region Idlib wird von oppositionellen Rebellen kontrolliert. Ein Grenzabschnitt zur Türkei steht zum großen Teil unter der Kontrolle türkischer und russischer Truppen. Weiter im Landesinneren hat die Zentralregierung in Damaskus die Macht.
Wichtige UN-Hilfslieferungen von der Türkei nach Syrien sind vorerst unterbrochen. Die Sprecherin des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, Madevi Sun-Suona, erklärte, Lieferungen seien aufgrund beschädigter Straßen und anderer logistischer Probleme derzeit nicht möglich. „Wir können noch nicht sagen, wann es weitergeht.“
Der Syrisch-Arabische Rote Halbmond, der Mitglied der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung ist, kündigte derweil an, auch in die von der Opposition gehaltenen Gebiete Hilfsgüter zu liefern. Dies könne durch UN-Organisationen vermittelt werden, sagte der Leiter Chalid Hbubati bei einer Pressekonferenz. Hilfe solle in allen Gebieten Syriens geleistet werden.
Unterdessen forderte Syrien die USA und die EU dazu auf, ihre Sanktionen aufzuheben. Sein Land brauche jetzt dringend Hilfe, so Hbubati. „Ich fordere die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien. Das ist das Wichtigste für uns“, sagte er. Die Sanktionen gelten seit 2011, als der syrische Präsident Assad gewaltsam gegen Proteste vorging, was zum bis heute anhaltenden Bürgerkrieg führte.
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