Brüssel Die EU und ihre Mitgliedstaaten spielen durch, wie sie die Energiecharta verlassen können. Am Dienstag trafen sich Energieexperten der Mitgliedstaaten. Beamte der EU-Kommission präsentierten dabei ein Diskussionspapier, wonach sie einen koordinierten Rückzug der EU, der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) als geeignetste Option darstellen. Das Papier liegt dem Handelsblatt vor.
Damit sind die Aktivisten, die seit Jahren gegen die Energiecharta kämpfen, fast am Ziel. Sie schreiben dem Vertrag eine schädliche Wirkung auf die Energiewende zu.
Die Energiecharta ist ein Investitionsschutzvertrag zwischen mehr als 50 Staaten, von denen die meisten in Europa oder Zentralasien liegen. Er gibt Unternehmen aus dem Energiebereich das Recht, gegen Enteignungen oder mutmaßlich ungerechte Behandlung vor privat betriebenen Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie ihre Gewinne geschmälert sehen.
Was den Aufbau von Infrastruktur im Osten fördern und westliche Unternehmen schützen sollte, hat mittlerweile auch einen Effekt auf Europa: Unternehmen klagten gegen Atom- und Kohleausstiege oder gegen den Entzug von Bohrrechten und Umweltauflagen.
So verklagte der deutsche Konzern RWE die Niederlande, weil er sich für den dortigen Kohleausstieg nicht ausreichend entschädigt sieht. Der schwedische Konzern Vattenfall verklagte Deutschland wegen des Atomausstiegs und zog die Klage erst zurück, als die Bundesregierung eine Milliardenentschädigung zusagte.
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Damit soll künftig Schluss sein. Die EU-Kommission hatte im vergangenen Sommer zwar noch eine umfassende Modernisierung der Energiecharta ausgehandelt und warb um Unterstützung. Doch immer weniger EU-Staaten wollten ihr folgen. Spanien, die Niederlande, Polen, Slowenien und Frankreich kündigten den Rückzug an, im November schließlich auch Deutschland. Italien hatte die Energiecharta schon 2016 verlassen.
Reform der Charta gescheitert
Die Modernisierung ist damit gescheitert, wie die EU-Kommission nun anerkennt. Ein nicht modernisierter Energiecharta-Vertrag „steht nicht im Einklang mit der EU-Politik zum Investitionsschutz oder dem Green Deal“, heißt es in dem Diskussionspapier.
Die Beamten betonen, dass ihre Analysen keine offiziellen Kommissionspositionen sind. Ein Sprecher der Behörde bestätigte aber, dass ein koordinierter Ausstieg nun in Erwägung gezogen wird.
Für den Rückzug der EU sei eine qualifizierte Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten notwendig, heißt es in dem Papier. Damit müssten 15 der 27 Staaten dafür stimmen. Dann wären auch alle anderen Staaten gezwungen, den Vertrag zu verlassen oder sich bei der EU eine Ausnahmegenehmigung zu organisieren. Denn viele Bestimmungen in der Energiecharta fallen in die alleinige Zuständigkeit der EU.
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Die Kommissionsbeamten zeigen den Weg von Ausnahmegenehmigungen als zweite Option in ihrem Diskussionspapier auf. Die Kommission müsste dann die Bedingungen definieren, unter denen ein Verbleib möglich ist.
Das könnte ein Kompromiss sein, wenn sich einige Staaten gegen den Ausstieg sperrten, heißt es in dem Papier. Doch dieser Ansatz wäre „mit erheblicher Komplexität und Verwaltungsaufwand verbunden“, heißt es.
Auch die dritte Option, den Vertrag zuerst zu reformieren und sich dann zurückzuziehen, halten die Experten nicht für praktikabel. Vor allem müssten dafür auch jene Staaten an Bord geholt werden, die den Austritt bereits verkündet haben.
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„Alle Argumente sprechen für einen schnellen Ausstieg“, sagt die Europaabgeordnete Anna Cavazzini (Grüne). „Die Mitgliedstaaten sollten jetzt keine neuen Reformversuche planen, sondern eine schnelle Entscheidung treffen.“
Bis ein Ausstieg eine Wirkung entfaltet, wird es noch dauern: Noch 20 Jahre nach dem Ausstieg können Unternehmen klagen, wenn sie ihre Gewinne aus bereits getätigten Investitionen geschmälert sehen.
Um das zu verhindern, fordert das EU-Parlament eine Nebenabsprache von Staaten, die Klagen untereinander ausschließen. Unter den EU-Staaten wäre das möglich, andere Staaten würden dabei aber wohl eher nicht mitmachen. „Bislang hat keine Nicht-EU-Vertragspartei signalisiert, dass sie für eine solche Lösung offen wäre“, heißt es in dem Papier.
Und auch in anderen internationalen Verträgen finden sich noch Investitionsschutzklauseln, die Unternehmen weitreichende Klagerechte einräumen. „Staaten sollten nicht erpressbar sein“, sagt Cavazzini. „Darum müssen wir die alten Verträge systematisch durchleuchten und Klagegründe klar eingrenzen.“
Mehr: Deutschland lässt die Reform der Energiecharta scheitern
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