Paris Nur wenige Stunden zuvor hatte Olaf Scholz vor einem „Überbietungswettbewerb“ der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine gewarnt. Dann flog er nach Paris und fand sich mitten in jenem Rüstungswettlauf wieder, den er eigentlich vermeiden möchte.
Der Bundeskanzler traf am späten Mittwochabend im Élysée-Palast Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und den ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski, der direkt aus London angereist war. Dort hatte Selenski zu einer „Koalition der Kampfflugzeuge“ aufgerufen, die britische Regierung zeigte sich dafür plötzlich offener als zuvor.
Macron hatte schon in der vergangenen Woche die Lieferung von Kampfjets nicht ausgeschlossen. Im Élysée-Palast sicherte er der Ukraine an der Seite von Scholz die „Unterstützung bis zum Sieg“ zu. „Die Ukraine kann auf Frankreich und Europa zählen, um diesen Krieg zu gewinnen“, sagte der französische Präsident. „Russland kann und darf nicht den Sieg davontragen.“
Selenski betonte in Paris: „Wir brauchen Waffen.“ Die Ukraine habe angesichts der russischen Pläne für eine Frühjahrsoffensive nur noch „wenig Zeit“. Es gehe darum, den Krieg gegen sein Land zu beenden und „zum Frieden in Europa zurückzukehren“.
Auch Scholz erneuerte in Paris sein Unterstützungsversprechen an die Ukraine, bevor er sich mit Macron und Selenski zu einem sehr späten Abendessen und Beratungen über die weitere Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte zurückzog. „Die Ukraine gehört zur europäischen Familie“, sagte der Kanzler.
Doch seine Wortwahl ist vorsichtiger als das, was Selenski von Macon und zuletzt auch vom britischen Premier Rishi Sunak hörte. Auch für Sunak ist die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine neuerdings „nicht vom Tisch“.
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In einer Regierungserklärung im Bundestag sagte Scholz am Mittwoch: „Was unserer Geschlossenheit hingegen schadet ist ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge – wer fordert noch mehr?“ Was schade, seien markige innenpolitische Statements und Kritik an Partnern und Verbündeten auf offener Bühne.
Deutschland werde sich daran nicht beteiligen, betonte er. „Denn jede Dissonanz, jede Spekulation über mögliche Interessenunterschiede nutze einzig und allein dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner Propaganda.“
Nur: Kann Deutschland sich dieser Debatte entziehen? Anfang Januar preschte Frankreichs Präsident Macron vor und verkündete die Lieferung von Spähpanzern vom Typ AMX-10 RC an die Ukraine. Einen Tag nach Macron erklärte sich Scholz dann zur Abgabe von Marder-Schützenpanzern an Kiew bereit. In der dadurch ausgelösten Dynamik machte der Kanzler dann den Weg frei für Leopard-Kampfpanzer, die USA sagten nicht zuletzt auf Drängen Berlins den schweren Panzer M1 Abrams zu.
Nach Panzern geht es um Kampfjets
Nach Kampfpanzern sind Kampfflugzeuge das nächste Rüstungsgut, das die ukrainische Regierung zur Verteidigung gegen Russland einfordert. Im Gespräch sind nicht nur die F-16-Jets amerikanischer Bauart, sondern auch Mirage-Kampfflugzeuge, die derzeit nach und nach von der französischen Luftwaffe durch die neuere Rafale ersetzt werden. „Prinzipiell ist nichts verboten“ hatte Macron auf die Frage zu Kampfjet-Lieferungen Ende Januar bei einem Besuch in den Niederlanden geantwortet.
Die Realität der Waffenlieferungen an Kiew sieht allerdings so aus, dass Paris ungeachtet der großen Worte bislang eher zurückhaltend war. Der Leclerc, das französische Pendant zum Leopard 2, wird wohl nicht auf den Schlachtfeldern in der Ukraine zum Einsatz kommen. Zwar prüft Frankreich das Thema offiziell noch, hat aber zu verstehen gegeben, dass der Leopard die bessere Option sei.
Laut einer Aufstellung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat Paris der Ukraine bis Ende November 2022 Rüstungsgüter für 600 Millionen Euro zugesagt. Frankreich lag weit hinter den Vereinigten Staaten zurück, die den Angaben zufolge militärische Hilfe in Höhe von 22,9 Milliarden Euro gewährten. Auch Großbritannien (4,1 Milliarden Euro), Deutschland (2,3 Milliarden Euro) und Polen (1,8 Milliarden Euro) lieferten demnach deutlich mehr an Kiew.
In den vergangenen zwei Monaten hat sich aber viel getan: So sagte Macron neben den Spähpanzern auch die Lieferung von zusätzlichen Caesar-Haubitzen zu. Zudem soll das französisch-italienische Luftverteidigungssystems SAMP/T bereitgestellt werden, das Mittel- und Langstreckenraketen abfangen kann. Das hochmoderne System, das bei den französischen Streitkräften auch unter dem Namen „Mamba“ bekannt ist, dürfte mit seinen Boden-Luft-Raketen die ukrainische Flugabwehr deutlich stärken.
Die bisherigen Entwicklungen deuten auf eine künftige Arbeitsteilung hin: Frankreich konzentriert sich bei der Unterstützung der Ukraine auf den Luftkampf, während Deutschland eher bei den Kampfpanzern gefordert zu sein scheint. Auch Selenski sieht das offenbar so. Nach seiner Ankunft in Paris sagte er: „Emmanuel, je eher unsere Piloten moderne Flugzeuge erhalten, und Olaf, je stärker unsere Panzerkoalition wird, umso schneller endet diese Aggression Russlands.“
Scholz muss für Selenski-Treffen nach Paris kommen
Bemerkenswert ist, dass Selenski Paris neben London als weiteres Ziel seiner Europa-Tour ausgewählt hat – was sicher nicht nur an der geografischen Nähe zu Brüssel liegt, wo der ukrainische Präsident am Donnerstag an einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU teilnehmen soll. Als der ukrainische Präsident am Mittwochabend den Ehrenhof des Élysée-Palastes betrat, holte ihn Macron ab und führte ihn nach einer herzlichen Begrüßung die Treppen zum Eingang hoch.
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Dann trat durch das Eingangsportal wie ein Überraschungsgast der Bundeskanzler nach draußen, suchte seinen Platz zwischen den Präsidenten Frankreichs und der Ukraine und stellte sich schließlich an die linke Seite. Aus dem Umfeld von Macron hieß es, der französische Präsident habe sich die Präsenz von Scholz gewünscht.
Macron setzte in der Anfangsphase der Ukraine-Krise ebenso wie Scholz große Hoffnungen auf einen Dialog mit Putin, um die Krise zu entschärfen. Und vor dem russischen Angriff war das Lagebild in Berlin und Paris eher so, dass es Putin nicht wagen würde, erneut in der Ukraine zu zündeln. In den USA, in Großbritannien und in Osteuropa sah man die Dinge damals schon anders.
In der Nacht zum Donnerstag nahm Macron Selenski außerdem noch in die Ehrenlegion auf, die ranghöchste Auszeichnung in Frankreich. Die Ehre gebühre der „Ukraine und seiner Bevölkerung“, aber auch dem „Mut und Engagement“ des ukrainischen Präsidenten.
Selenski sagte in einem am späten Mittwochabend veröffentlichten Interview mit der französischen Zeitung „Le Figaro“ über Macron: „Ich glaube, er hat sich gewandelt.“ Der französische Präsident habe den Weg bereitet für die Lieferung von westlichen Panzern.
In dem Interview wird der ukrainische Präsident auch nach der Unterstützung aus Deutschland gefragt. „Unsere Beziehung mit Deutschland hat schwierige Phasen erlebt“, sagte er. „Ich möchte nicht leugnen, dass es zu Beginn schwierig war.“ So seien „einige politische Verantwortliche“ anfänglich etwa „langsam“ in ihrer Antwort auf die Krise gewesen. Das habe sich zwar geändert. Dennoch: Es gebe Unterschiede, nicht was die gemeinsamen Werte angehe, sondern „die Art und Weise, wie wir in diesem Krieg vorgehen“.
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