Feb 9, 2023
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Ukraine-Krieg: Selenski wird in Brüssel gefeiert – doch er bringt Europa in Verlegenheit

Written by Moritz Koch

Brüssel Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski im Europäischen Parlament das Wort ergreift, hat sich die beunruhigende Nachricht von der Front in Brüssel schon herumgesprochen. „Die russischen Streitkräfte haben die Initiative in der Ukraine zurückgewonnen und beginnen ihre nächste große Offensive“, schrieb das Institute for the Study of War, eine amerikanische Denkfabrik, die seit Beginn der russischen Invasion detailliert über den Ukrainekrieg berichtet.

Russland führe einen „totalen Krieg“ gegen sein Land, sagt Selenski in seiner Rede vor dem EU-Parlament. In diesem Krieg gehe es nicht nur um Gebiete, die sich Russland einverleiben wolle. Es sei ein Krieg gegen europäische Werte – gegen das Versprechen von Frieden, Sicherheit und Wohlstand, das der Europäischen Union zugrunde liegt. Selenski beschreibt Russland als „antieuropäische Macht“, der sich die EU und die Ukraine gemeinsam entgegenstellten. „Die Ukraine verteidigt sich zusammen mit Europa gegen Russland“, sagt er. 

Mit Jubel und Bravo-Rufen, stehenden Ovationen und ukrainischen Fahnen feiern die Abgeordneten Selenskis Auftritt. Nach seiner Rede erklingt die ukrainische Nationalhymne, Selenski steht neben Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, er singt, die Hand aufs Herz gelegt. Die Botschaft, die von diesem Tag ausgeht, ist unmissverständlich: Die Ukraine ist keine russische Einflusszone, sie ist Teil von Europa. 

„Präsident Selenski hat uns alle noch einmal daran erinnert, worum es geht: den Schutz des europäischen und des ukrainischen „Way of live““, lobt Damian Boeselager von der pro-europäischen Partei Volt, der die Rede im Plenum verfolgt hat. 

Doch die bewegenden Szenen aus dem Parlament können nicht verbergen, dass es Interessendifferenzen zwischen der EU und der Ukraine gibt. Und diese treten immer deutlicher hervor. 

Selenski dringt auf einen raschen Beitritt seines Landes zur EU und die Lieferung von Kampfflugzeugen. Mit beiden Forderungen trifft er auf Widerstand, er erhebt sie dennoch, wieder und wieder, weil die Existenz der Ukraine als unabhängige Nation auf dem Spiel steht.

Metsola stellt sich an Selenskis Seite, doch die Regierungen sind skeptisch

Noch bevor Selenski spricht, preist Parlamentspräsidentin Metsola den heldenhaften Mut der Ukrainer. Sie sagt dem Land „das schnellstmögliche Verfahren zum Beitritt“ zur EU zu und schließt sich Selenskis Forderung nach „weitreichenden Waffensystemen und Jets“ an, die die „Ukraine braucht, um die Freiheit zu verteidigen“.

Wolodimir Selenski in Brüssel

Der ukrainische Präsident bekam in Brüssel anhaltenden Applaus – allerdings nur im Parlament.



(Foto: dpa)

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, die Selenski im Anschluss an seine Rede nur ein paar Straßenblöcke weiter auf ihrem Gipfeltreffen besuchte, drücken sich zurückhaltender aus. Schon die bisherigen Waffenlieferungen an Kiew haben die Depots der europäischen Armeen ausgedünnt. Es wird immer schwerer, Munitionsnachschub zu beschaffen, einsatzfähige Truppentransporter und Kampfpanzer aufzutreiben, ohne die eigene Verteidigungsfähigkeit zu schwächen. 

Und nun, da er die Forderung nach Kampfjets immer nachdrücklicher erhebt, kratzt Selenski an einer der wenigen roten Linien, die für wesentliche Teile der EU noch bestehen. Westliche Kampfflugzeuge sind den meisten Modellen der Russen deutlich überlegen, sie haben bessere Radargeräte und treffsicherere Raketen. Aber sie ließen sich auch für Vergeltungsangriffe auf russische Städte nutzen.

Aus Furcht, selbst in den Krieg mit Russland verwickelt zu werden, wollen sich die meisten EU-Staaten auf das Wagnis der Kampfjet-Lieferung bisher nicht einlassen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht müde zu betonen wird, dass Deutschland einen „ganz zentralen Beitrag“ zur Unterstützung der Ukraine leistet, wird in der Kampfjet-Frage schmallippig. „Ein Signal der Einigkeit, der Solidarität“ solle von dem Treffen mit Selenski ausgehen, sagte er zwar und sicherte zu, die Unterstützung für die Ukraine „so lange wie notwendig“ fortzusetzen. Über Kampfjets aber verlor Scholz kein Wort.

Olaf Scholz

Zu Kampfjets für die Ukraine sagte der Bundeskanzler beim EU-Gipfel kein Wort.



(Foto: dpa)

Am Tag zuvor hatte er im Bundestag vor einem „Überbietungswettbewerb“ bei der Forderung nach Waffenlieferungen gewarnt.

Russland füllt die Lücken an der Front

Doch angesichts der schwierigen militärischen Lage hat Selenski keine andere Wahl, als seine europäischen Gastgeber in Verlegenheit zu bringen. Nach Einschätzung der EU haben die russischen Streitkräfte mit der Teilmobilisierung im Herbst das Defizit an Kampftruppen ausgeglichen, das sie zu Beginn der Invasion schwächte. Nachdem sie im Sommer von der Ukraine auf breiter Front zurückgeworfen wurden, lassen die Russen nun scharenweise Rekruten gegen die ukrainischen Stellungen anrennen und nehmen hohe Verluste in Kauf.

Diese blutige Taktik zeigt zunehmend Erfolg, die ukrainischen Verteidiger stehen unter Druck. So ist es den Russen nach schweren Kämpfen offenbar gelungen, in die Außenbezirke der Ruinenstadt Bachmut einzudringen. Hier wollen sie die Wende erzwingen.

So berichtet das Handelsblatt über den Ukraine-Krieg:

Die EU verfolgt den Kriegsverlauf mit wachsender Sorge. Ihren quantitativen Nachteil muss die Ukraine durch qualitative Überlegenheit ausgleichen, um sich die Chance darauf zu bewahren, russische Angriffswellen abzuwehren und selbst wieder in die Offensive zu kommen – diese Einschätzung der Ukraine teilt die EU zwar. Doch der Forderung nach Kampfjets werden die Europäer so schnell nicht nachkommen.

Selbst die britische Regierung, die Selenskis Wünschen schon in der Vergangenheit offener gegenüberstand als die meisten EU-Staaten und mit der Ausbildung von ukrainischen Piloten beginnen will, hat keine konkrete Lieferzusage gegeben.

Selenski zu Besuch in Großbritannien

Auch in London äußerte sich der britische Premierminister Rishi Sunak zurückhaltend, was die Lieferung von Flugzeugen angeht.



(Foto: dpa)

Aus Sicht von EU-Diplomaten ist die Kampfjet-Debatte ohnehin wenig zielführend. Was die Ukraine viel dringender brauche, seien Flugabwehrsysteme und eine schnellere Auslieferung des bereits versprochenen Kriegsgeräts. 

Schon das ist mühsam genug. Zwar hat Deutschland nach langem Zögern der Lieferung von Leopard-1- und Leopard-2-Panzern zugestimmt. Die ersten sollen schon im März eintreffen. Auch die Briten wollen der Ukraine in den nächsten Wochen Panzer übergeben.

Doch um andere EU-Länder ist es auf einmal still geworden. Kanzler Scholz erinnerte sie auf dem Gipfel an ihre Zusagen: „Wir bemühen uns, dass viele andere, die sich in der Vergangenheit gemeldet haben,“ nun „praktische Taten folgen lassen.“

Mehr: Macron, Selenski und Scholz verhandeln über weitere Waffenhilfen



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