Feb 9, 2023
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Digitalisierung der Verwaltung: „Klar hinter den Erwartungen“ – Normenkontrollrat kritisiert die Innenministerin öffentlich

Written by Heike Anger

Berlin Deutschlands Wächter für Bürokratieabbau schlägt Alarm: Das Vorhaben, eine digitale Verwaltung zu schaffen, werde nicht mutig genug angegangen, kritisierte der Nationale Normenkontrollrat (NKR) am Donnerstag in Berlin. Der Entwurf für ein neues Onlinezugangsgesetz von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) tauge nicht für eine „nachhaltige Trendumkehr“.

Mit dem bisherigen Onlinezugangsgesetz (OZG), das 2017 vom Bundestag beschlossen worden war, hatten sich Bund und Länder verpflichtet, 575 Verwaltungsdienstleistungen online anzubieten. Doch zum Ende der Umsetzungsfrist im Oktober 2022 waren erst 33 Leistungen flächendeckend verfügbar.

Vor allem das bemängelt der NKR als unabhängiges Kontroll- und Beratungsgremium der Bundesregierung in einem Positionspapier, das bereits am Dienstag dem Bundesinnenministerium (BMI) übersandt worden ist. „Die Lehre aus der bisher schleppenden OZG-Umsetzung kann nicht darin bestehen, auf eine Fristsetzung zu verzichten und die Umsetzung lediglich als Daueraufgabe zu titulieren“, sagte NKR-Chef Lutz Goebel. Dadurch werde der Druck auf alle Akteure herausgenommen. „Bei den Bürgern aber steigt der Frust und in der Verwaltung die Überlastung.“

Rechtsanspruch auf digitale Verwaltung

Das Fazit des NKR: „Der vorgelegte Gesetzentwurf des BMI bleibt klar hinter den Erwartungen zurück.“

Dass der Normenkontrollrat sich zu einzelnen Gesetzentwürfen zu Wort meldet, ist ungewöhnlich. Goebels Vorgänger im Amt, Johannes Ludewig, hatte zuletzt 2015 die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für die Bürokratie bei der Einführung des Mindestlohns öffentlich gerügt.

Im aktuellen Fall fordert der NKR konkret, einen Rechtsanspruch für Bürger und Unternehmen auf digitale Verwaltungsleistungen in das OZG aufzunehmen. Dabei müsse es „spürbare Konsequenzen“ geben, sollten Bund, Länder und Kommunen nicht liefern.

„Es ist denkbar, einen Schadenersatzanspruch einzuführen, wie er auch beim Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz existiert“, erklärte Goebel. Möglich seien auch pauschale Entschädigungen, „wie sie aus dem Zivilrecht bei Leistungs- oder Zahlungsverzug“ bekannt seien.

Goebel brachte auch positive Anreize für eine zügige und gute OZG-Umsetzung ins Spiel. Dies könnten abgestufte finanzielle Zuschüsse sein, die bei vorzeitiger oder fristgerechter Umsetzung vom Bund an die Länder und Kommunen gezahlt würden.

Hohe Nutzungsquoten und Zufriedenheitswerte könnten finanziell ebenfalls belohnt werden. „Das muss vom BMI aufgegriffen werden“, forderte Goebel. Bislang würde dort aber „abgewiegelt und einfach weitergemacht“, was „unbefriedigend“ sei.

Anknüpfend an den Rechtsanspruch hält der NKR Umsetzungsfristen für dringend erforderlich: Es bedürfe eines klaren gesetzlichen Auftrags, was durch Bund, Länder und Kommunen bis wann zu realisieren sei. Der Umsetzungsstand müsse kontinuierlich kontrolliert werden.

Die erste Frist sieht der NKR schon 2023, weil das die EU-Verordnung zum „Single Digital Gateway“ erforderlich macht, die europaweit bürgernahe und nutzerfreundliche digitale Angebote der Verwaltung vorschreibt.

Am Ende muss ausgedruckt werden

Nötig sei auch ein öffentlich zugängliches Monitoring, das für die landesweit rund 11.000 Kommunen aufschlüssele, welche Verwaltungsleistung in welchem Umsetzungsgrad vorlägen.

Der NKR-Digitalisierungsbeauftragte Malte Spitz pochte auf eine klare Priorisierung: „Nicht alle denkbaren Verwaltungsleistungen sind zu digitalisieren, sondern die aus Nutzersicht wesentlichen.“ Die Anmeldung eines Verkehrsflughafens zum Beispiel komme nicht besonders häufig vor, sei also weniger dringlich.

Der Reifegrad von Anwendungen sei ebenfalls wichtig. „Oft gibt es bei Anträgen mittlerweile zwar ein Internetformular oder ein PDF-Dokument zum Ausfüllen“, erklärt NKR-Mitglied Spitz. „Am Ende muss dann aber alles ausgedruckt und in Papierform eingereicht werden.“ Selbst bei einer Online-Übermittlung von Daten existiere häufig keine digitale Weiterverarbeitung oder Automatisierung in der Verwaltung.

Auch die Nutzungsquote muss laut NKR in den Blick genommen werden. Bei der Online-Fahrzeugzulassung „i-Kfz“ etwa liege diese bei 0,3 Prozent. Das weise auf fehlende Nutzerfreundlichkeit hin.

Im Positionspapier heißt es weiter: Bisher sei einfach „drauflos digitalisiert“ worden. Es gebe keine Festlegungen, welche Komponenten, Services und Funktionen in welcher Form für die Umsetzung des OZG oder die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen notwendig seien.

Digitalagentur mit App-Store soll es richten

Hier mahnt der NKR starke Veränderungen unter der Führung des Bundes an: Eine Digitalisierungsagentur müsse aufgebaut werden, um die föderal verteilten IT-Systeme und Softwareprodukte „interoperabel“, also miteinander vereinbar zu machen. Die Agentur sollte demnach auch einen App-Store für die Verwaltung betreiben. So würde es Kommunen erleichtert, OZG-Softwarelösungen zu beschaffen.

Konkret ließe sich die Föderale IT-Kooperation (Fitko) von Bund und Ländern zur Agentur umbauen. Um schlagkräftig genug zu sein, müsste das Personal laut NKR aber deutlich aufgestockt werden: von derzeit rund 60 auf 800 Mitarbeiter.

Das Beratungsgremium der Bundesregierung warnt: „Eine unzureichende Verwaltungsdigitalisierung führt zu fortschreitendem Vertrauensverlust in den Modernisierungswillen und die Handlungsfähigkeit von Verwaltung und Politik.“

Auch aus der Opposition gab es Kritik an Faeser. „Statt die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen weiter konsequent voranzubringen, verliert sich die Bundesinnenministerin in Plänen zu einem Onlinezugangsgesetz 2.0“, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Julia Klöckner, dem Handelsblatt. Keine Umsetzungsfrist mehr zu nennen sei „ein Fehler“. Dass der Normenkontrollrat die Pläne für so schlecht halte, dass er sich öffentlich dazu äußere, sei als „Weckruf an die Ampel“ zu verstehen.

Mehr: Das große Wohngeld-Wirrwarr



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