Berlin Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kommt mit dem Einstieg beim Stromübertragungsnetzbetreiber Tennet ein Stück voran. Das niederländische Unternehmen, das komplett dem niederländischen Staat gehört, ist bereit, seine deutsche Tochter, TSO GmbH, komplett an den Bund zu verkaufen.
Tennet teilte am Freitag mit, man beabsichtige, „Gespräche mit der deutschen Regierung aufzunehmen, um die Möglichkeit eines vollständigen Verkaufs der deutschen Aktivitäten von Tennet zu akzeptablen Bedingungen auszuloten“. Eine solche Transaktion „würde die Schaffung von zwei starken nationalen Akteuren ermöglichen, die beim Vorantreiben der Energiewende weiterhin zusammenarbeiten würden“.
Das Bundeswirtschaftsministerium äußerte sich zunächst nicht zu der Mitteilung von Tennet. Kritisch äußerte sich Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: „Eine mögliche Übernahme der deutschen Tennet-Tochter darf nur ein Zwischenschritt sein. Die Bundesregierung müsste in diesem Fall an einer Vergabe an Private arbeiten“, sagte Kruse dem Handelsblatt.
„Sollten sich in Deutschland keine privaten Investoren mehr für Energienetze finden, dann wäre das ein Alarmsignal, dass etwas mit der Ausgestaltung der Energiewende schief läuft“, ergänzte er. Staatsmonopole seien nicht in der Lage, die für die Energiewende nötigen Innovationen zu erbringen.
Tennet räumt ein, die niederländische Regierung habe noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Man werde die nächsten Schritte in enger Abstimmung mit der niederländischen Regierung unternehmen. Tennet erkenne an, dass sowohl die niederländische als auch die deutsche Regierung es vorzögen, ihre jeweiligen nationalen Stromnetze zu finanzieren, zu kontrollieren und zu besitzen.
Jahrelange Verhandlungen nähern sich Durchbruch
Damit nähern sich jahrelange Verhandlungen einem Durchbruch. Schon Habecks Amtsvorgänger Peter Altmaier (CDU) war in Gespräche mit der niederländischen Regierung eingetreten, die allerdings zum Erliegen gekommen waren. Im Herbst vergangenen Jahres waren sie wieder aufgenommen worden.
Verschiedene mögliche Strukturen einer deutschen Beteiligung an den Investitionen standen in den vergangenen Monaten im Raum, darunter der direkte Einstieg des Bundes mit rund 25 Prozent an der niederländischen Muttergesellschaft oder die Beteiligung der Staatsbank KfW an der deutschen Tochtergesellschaft.
Als dritte Variante war die Rede davon, dass Deutschland bei einer noch zu gründenden Netztochter einsteigt, die für den Konzern alle Anbindungen von Windparks auf hoher See an die Ballungszentren in Deutschland und den Niederlanden baut. Nun scheint die Übernahme der Deutschland-Tochter direkt durch den Bund oder durch die KfW als wahrscheinlichste Variante.
Tennet steht vor weiteren großen Investitionen und hat entsprechenden Kapitalbedarf. Tennet sagte dazu, der Eigenkapitalbedarf steige. Und weiter: „Es ist deutlich geworden, dass die niederländische Regierung es präferiert, die niederländischen Aktivitäten von Tennet zu finanzieren, derzeit zehn Milliarden Euro. Für den Eigenkapitalbedarf für die deutschen Aktivitäten von Tennet, der derzeit auf circa 15 Milliarden Euro geschätzt wird, sucht die niederländische Regierung eine strukturelle Lösung.“
>> Lesen Sie hier: Deutschland strebt direkte Beteiligung bei Tennet an
Zu den wichtigsten Infrastrukturprojekten von Tennet gehören die gut 700 Kilometer lange Leitung „Südlink“ vom Hamburger Umland bis Nordbayern und Baden-Württemberg sowie die gut 500 Kilometer lange Leitung „Südostlink“ von Sachsen-Anhalt bis nach Niederbayern. Tennet plant in den kommenden zehn Jahren jährliche Investitionen von mindestens sechs Milliarden Euro – davon rund 60 Prozent in Deutschland.
Hoffnung auf positive Effekte für Energiewende
Die Niederländer hatten die Übertragungsnetztochter von Eon im Jahr 2010 gekauft. Dadurch war der erste grenzüberschreitende Stromübertragungsnetzbetreiber entstanden. Tennet hatte immer wieder hervorgehoben, man leiste damit einen wichtigen Beitrag zum Zusammenwachsen der europäischen Strommärkte.
Allerdings hatten die Niederländer den enormen Investitionsbedarf falsch eingeschätzt. Insbesondere die kostspielige Netzanbindung von Offshore-Windparks in der Nordsee erwies sich als finanzielle Herausforderung.
Die Stromverbraucher mussten mit einer speziellen „Offshore-Umlage“ zur Kasse gebeten werden. In den Niederlanden gibt es seit Jahren Kritik daran, dass ein niederländisches Staatsunternehmen den Stromnetzausbau in Deutschland stemmen muss.
Im Bundeswirtschaftsministerium erhofft man sich von einem stärkeren Einfluss auf die Stromübertragungsnetzbetreiber positive Effekte für die Energiewende. Derzeit gibt es neben Tennet drei weitere Stromübertragungsnetzbetreiber in Deutschland: 50Hertz, Amprion und TransnetBW. Deutschland ist damit das einzige europäische Land, das sich vier Übertragungsnetzbetreiber leistet. In den anderen europäischen Staaten gibt es jeweils nur einen Übertragungsnetzbetreiber. Die Unternehmen sind überwiegend staatlich kontrolliert.
>> Lesen Sie hier: Diese sieben Technologien könnten das Jahr verändern
Seit Jahren wird in Deutschland darüber debattiert, die vier Übertragungsnetzbetreiber zusammenzuführen und den staatlichen Einfluss zu auszubauen. Im Bundeswirtschaftsministerium verspricht man sich davon Synergien, eine bessere Steuerung und dadurch eine Beschleunigung der Energiewende. Allerdings gibt es in der Ampelkoalition auch Gegner einer solchen Lösung, insbesondere in der FDP.
Günstiger Zeitpunkt
Derzeit ist die Gelegenheit, den Einfluss des Staates zu erhöhen und eine „Deutsche Netz AG“ zu schmieden, günstig. Erst vor wenigen Tagen hieß es, die KfW sei in fortgeschrittenen Gesprächen zum Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an TransnetBW.
Die KfW wolle von ihrem Vorkaufsrecht für eines der beiden Minderheitspakete in Höhe von 24,95 Prozent Gebrauch machen, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge.
TransnetBW gehört dem Energiekonzern EnBW. EnBW hatte im vergangenen Jahr den Verkauf der Pakete angekündigt. Der Karlsruher Versorger sucht Partner für die bis 2025 geplanten Investitionen in Höhe von sechs Milliarden Euro.
>> Lesen Sie hier: Rechnungshof kritisiert europäischen Strommarkt als anfällig für Manipulation
Bei 50Hertz ist die KfW ohnehin mit 20 Prozent beteiligt. Die staatliche Bank war 2018 im Auftrag des Bundes eingesprungen, um einen Einstieg des staatlichen chinesischen Netzbetreiber SGCC zu verhindern. Lediglich bei Amprion ist der Bund außen vor. Das Unternehmen gehört mehrheitlich Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken, 25,1 Prozent liegen beim Energiekonzern RWE.
Mehr: Verstaatlichter Gaskonzern Sefe will staatliches Wasserstoffnetz aufbauen
<< Den vollständigen Artikel: Energieinfrastruktur: Tennet will Deutschland-Tochter komplett an den Bund verkaufen >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.