Tokio Als in der Türkei die Erde bebte, wurden viele Hochhäuser zu Todesfallen. In Japan sind sie bei Erdbeben Fluchtburgen. Ein Beispiel ist der 238 Meter hohe Hochhauskomplex Roppongi Hills in Tokio.
Der vor etwa 20 Jahren gebaute Büroturm soll im Falle einer Erdbebenkatastrophe als Evakuierungszone, Versorgungsstation und Kraftwerk für die Bewohner des Viertels dienen. Die Stützen bestehen aus Stahlrohren, die speziell mit Beton verstärkt sind. 192 elektronisch gesteuerte Öldämpfer stabilisieren den Turm, wenn starke Erdstöße ihn ins Schwingen bringen.
Außerdem gibt es im Gebäude ein großes Gaskraftwerk, das bei einem Stromausfall nach einem Erdbeben auch die umliegenden Stadtviertel mit Strom versorgen kann. Und in einem Lager im Keller sind genug Notrationen vorhanden, um etwa 10.000 Menschen drei Tage lang mit Nahrung und Wasser zu versorgen.
Dieser Aufwand ist eine Lehre aus Japans Geschichte. Vor 100 Jahren bebte die Erde im Großraum Tokio ähnlich stark wie jetzt in der Türkei. Seither wird modernste Technik eingesetzt, um Infrastruktur wie Wolkenkratzer, Wohnblöcke oder kleine Häuser immer erdbebensicherer zu machen.
Auch ein Erdbebenwarnsystem gibt es inzwischen. Wenn die Seismografen ein Beben registrieren, berechnen Computer die Ausbreitung der Bodenwellen und senden einen Alarm an Züge, Unternehmen und die Smartphones der Menschen in den betroffenen Regionen. Züge und Maschinen können dann stoppen, Menschen unter Tische kriechen und so den Schaden begrenzen. Denn eine Katastrophe wie das Kanto-Erdbeben 1923 kann sich wiederholen.
Vulkane, Erdbeben und Tsunamis
Mehr als 100 aktive Vulkane erinnern die Japaner täglich an die geologisch prekäre Lage des Landes. Japan ist tektonisch besonders aktiv, denn in der Region treffen vier Erdplatten aufeinander: die Pazifische, die Nordamerikanische, die Philippinische und die Eurasische Platte.
Jeden Tag bebt die Erde irgendwo im Land spürbar. Ein besonders starkes Beben ereignete sich am 11. März 2011 vor der wenig besiedelten Nordostküste Japans. Das Epizentrum lag damals in einem Tiefseegraben, 72 Kilometer vor der Küste und 130 Kilometer von der Millionenstadt Sendai entfernt.
Dennoch bebte die Erde an mehreren Stellen mit einer Stärke von sieben – dem Höchstwert – auf der japanischen Erdbebenskala, die die Auswirkungen eines Bebens an der Erdoberfläche misst. Diese Einstufung bedeutet, dass großflächige Verwüstungen auftreten und auch erdbebensichere Betongebäude schwer beschädigt oder zerstört werden können.
Dank immer strengerer Baurichtlinien hielten die meisten Gebäude Erschütterungen stand, die in anderen Ländern allein schon zur Katastrophe geführt hätten. Infolge des Bebens kam es kurze Zeit später zu einem unerwartet hohen Tsunami in dem Land.
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Dieser überschwemmte auf einer Länge von 350 Kilometern die Tsunami-Schutzwälle, zerstörte eine Reihe von Kleinstädten und Dörfern und löste in einem der größten Atomkraftwerke der Welt, Fukushima Daiichi, eine nukleare Katastrophe aus. Mehr als 16.000 Menschen kamen bei den Katastrophen ums Leben.
Katastrophen-Kaizen: Japan bessert die Infrastruktur kontinuierlich nach
Danach geschah in Japan, was bisher nach jedem großen Beben geschah: Katastrophen-Kaizen. Kaizen ist das Prinzip der ewigen Verbesserung. Und so verbesserte das Land wieder einmal seine Erdbebenvorsorge. Der Staat subventioniert den Wiederaufbau alter Wohnblöcke entlang der Hauptstraßen und verstärkt die Infrastruktur.
Der historische Hauptbahnhof von Tokio, der sowohl das Kanto-Erdbeben als auch im Zweiten Weltkrieg Flächenbombardements überstanden hatte, wurde beispielsweise aufwendig saniert. Das über 300 Meter lange Gebäude wurde mit Betonplatten unterfüttert, die auf riesigen Puffern ruhen und von Dämpfern stabilisiert werden.
Diese Schutzmaßnahme wird teilweise auch bei neu gebauten Wohn- und Bürohochhäusern eingesetzt, wenn die Bauherren ihre Kunden mit einer besonders hohen Erdbebensicherheit locken wollen. Auch die Pfeiler von S- und U-Bahnen wurden durch eine zusätzliche Betonschicht und Stahlmanschetten verstärkt.
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An anderen Küstenabschnitten wurden die Schutzmaßnahmen gegen Tsunamis verstärkt, zum Beispiel durch den Bau von Schutztürmen in flachen Küstensiedlungen.
Massive Investitionen in Erdbebensicherheit
Der Großraum Tokio gilt mit mehr als 36 Millionen Einwohnern als die größte Stadt der Welt. Frühere Simulationen ergaben, dass ein erneutes Großbeben mehr als zehntausend Tote fordern und Schäden von bis zu einem Viertel des japanischen Bruttoinlandsprodukts verursachen könnte.
Neue Studien zeigen, dass die Zahl der Opfer durch die inzwischen vielfach vorgenommenen Verbesserungen in dem Land um 80 Prozent gesenkt werden kann. Auch die Folgen von Beben in Tiefseegräben dürften geringer ausfallen als noch vor wenigen Jahren befürchtet. Mögliche, folgende Tsunamis stellen allerdings auch weiterhin eine große Gefahr dar.
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Beim Katastrophenschutz setzen die Japaner aber nicht nur auf Technik, sondern auch auf die gute Vorbereitung jedes einzelnen Bürgers. Rettungsleitern an Balkonen und Feuermelder in Wohnhäusern werden mehrmals im Jahr überprüft. Das Packen eines Notfallrucksacks wird dringend empfohlen. Außerdem wird ab dem Kindergarten das Verhalten bei Erdbeben geübt.
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