Tokio Geldpolitisch hatte Kazuo Ueda eigentlich schon das Höchste erreicht, was man als Akademiker in Japan erreichen kann. 1998 wurde der theoretische Vordenker der japanischen Nullzinspolitik in den geldpolitischen Ausschuss der Bank von Japan berufen, der die Geldpolitik der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt bestimmt. Am Freitag hat Japans Premierminister Fumio Kishida den ehemaligen Wirtschaftsprofessor der Universität Tokio erneut zum Vordenker gemacht.
Zur Überraschung von Investoren und Beobachtern entschied sich der Regierungschef, den 71-jährigen Ökonomen als Nachfolger des amtierenden Notenbankchefs Haruhiko Kuroda vorzuschlagen, der im April nach zehn Jahren aus dem Amt scheidet. Ueda wird damit der erste Gouverneur der Bank von Japan seit dem Zweiten Weltkrieg, der aus der Wissenschaft kommt.
Er wird mit Vorschusslorbeeren empfangen. Der in Japan bekannte Ökonom Jesper Koll nennt ihn einen „brillanten theoretischen Ökonomen“, der die japanische Geldpolitik maßgeblich beeinflusst habe. Doch nun muss Ueda seine geldpolitischen Theorien für Japans schwierigste wirtschaftspolitische Mission in die Praxis umsetzen: den Ausstieg aus zehn Jahren ultralockerer Null- und Negativzinspolitik, die Amtsinhaber Kuroda vor zehn Jahren begonnen hatte.
„Es wird erwartet, dass die Bank of Japan in naher Zukunft ihre lockere Politik beendet und die Zinsen erhöht“, beschreibt Naoki Kamiyama, Chefstratege des japanischen Vermögensverwalters Nikko Asset Management, die gewaltige Herausforderung. Denn Kuroda steht für eine extrem expansive Geldpolitik, die nun an ihre Grenzen stößt.
Uedas größte Herausforderung: Zehn Jahre Kurodanomics
Nach seinem Amtsantritt 2013 hatte der ehemalige Karrierebeamte im Finanzministerium im Einklang mit der Wirtschaftspolitik des damaligen Premierministers Shinzo Abe die Käufe von JGBs drastisch erhöht. Mit einer Geldschwemme wollten die geldpolitischen Mitstreiter Japans jahrzehntelange Deflation wegspülen und eine Inflationsrate von zwei Prozent erzwingen. Derzeit liegt sie bei vier Prozent.
Im Jahr 2016 senkte die Notenbank sogar die Zinsen für kurzfristige Anleihen auf minus 0,1 Prozent und führte eine Zinskurvenkontrolle ein, um diese aggressive Politik fortsetzen zu können. So legten die Geldpolitiker zusätzlich einen Zinskorridor für zehnjährige JGBs fest. Nur 0,25 Prozent nach oben oder unten durften die Zinsen lange Zeit um den Nullpunkt schwanken.
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Inzwischen hält die Notenbank aber mehr als 50 Prozent der Staatsschulden und stabilisiert damit die Staatsverschuldung, die mehr als 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Als dann auch noch die Zentralbanken weltweit im Kampf gegen die Inflation die Zinsen erhöhten, begannen auch die globalen Hedgefonds, gegen die Bank von Japan zu wetten.
Im Dezember wurde der Druck so groß, dass Kuroda überraschend nachgab und den Zinskorridor verdoppelte. Damit wollte er die JGB-Käufe reduzieren. Das Gegenteil war der Fall: Seit Dezember hat die Notenbank 41,4 Billionen Yen (297 Milliarden Euro) oder 7,5 Prozent des BIP gekauft, um den Zinskorridor zu verteidigen, rechnet Nicholas Smith, Ökonom bei CLSA in Tokio, vor. Er spricht von einem „unhaltbaren Kampf“.
Der erste Akademiker als Notenbankchef steht für einen „ausgewogenen Ansatz“
Ueda, der seinen Doktor am amerikanischen Massachusetts Institute of Technology erworben hat, könnte das ähnlich sehen, meint Martin Schulz, Chefvolkswirt von Fujitsu und Mitglied des japanischen Expertenrats für Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Zwar habe er als Mitglied des geldpolitischen Komitees im Jahr 2000 gegen eine leichte Erhöhung des Leitzinses gestimmt, die die Notenbank bald wieder zurücknehmen musste. „Aber er ist skeptisch, was die Wirkung unkonventioneller Maßnahmen angeht, und befürwortet die Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken“, sagt Schulz.
Die Gratwanderung besteht darin, eine Zinswende einzuleiten, ohne dass die Zinsen so stark steigen, dass eine Schuldenkrise droht. „Mit Ueda als Gouverneur wird die Zentralbank wahrscheinlich zu einem eher akademischen, ausgewogenen Ansatz in der Geldpolitik zurückkehren“, meint Schulz. Andere Ökonomen sprechen vom „Mittelweg“ und erwarten keine rasche, radikale Wende.
Auch Ueda sprach sich am Freitag vor Reportern dagegen aus. Die gegenwärtige Geldpolitik sei angemessen und die geldpolitische Lockerung müsse fortgesetzt werden. Allerdings hat er zuvor schon erklärt, dass eine Überprüfung der jetzigen Maßnahmen notwendig sei.
Machtpolitisch hat Ueda allerdings ein Problem bei jeder Entscheidung: die Politik. Da er weder aus der Zentralbank noch aus dem Finanzministerium kommt, hat er keine institutionelle Machtbasis. Und Regierungschef Kishida ist politisch angeschlagen, seine regierende Liberaldemokratische Partei in der Geldpolitik in Befürworter und Gegner einer Staatsfinanzierung durch die Notenbank gespalten. Ueda muss nun zeigen, dass er im politischen Machtkampf einen eigenen geldpolitischen Weg finden kann.
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