Berlin Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wird bei der Regierungsklausur der Ampelkoalition Anfang März wohl eine unangenehme Rechnung präsentieren. Die Deutsche Bahn hat eine „Generalinventur“ erstellt, wie es Infrastrukturvorstand Berthold Huber nennt, und einen Netzzustandsbericht ans Ministerium übermittelt. Nach Informationen des Handelsblatts wurden darin die mehr als 300.000 Anlagen im Netz ob ihres Zustands bewertet.
Wie auf einem Zeugnis finden sich Zustandsnoten für Gleise, Weichen, Stellwerke, Brücken oder Bahnübergänge. Was laut Bahninsidern in den vergangenen Jahren immer schöngerechnet wurde, hat nun überwiegend schlechte Noten erhalten. Von einem „Drama“ reden sie bei der Bahn.
Die Summe für die Netzsanierung könnte demnach sogar das Sondervermögen der Bundeswehr übersteigen. „100 Milliarden Euro werden nicht ausreichen“, heißt es im Bahn-Konzern.
Dabei hat der Bund schon seit Jahren Milliarden in das Unternehmen gepumpt, sich aber offenbar nicht weiter gekümmert, was mit dem Geld passierte. 30 Milliarden Euro flossen allein von 2009 bis 2019 für Ersatzinvestitionen ins Netz. Bis 2030 werden es sogar 63 Milliarden sein – Stand heute.
Das bestehende Finanzsystem hat der Bundesrechnungshof längst als „intransparent“ kritisiert. Der Bund habe seinen „Verfassungsauftrag liegen gelassen“, klagt Präsident Kay Scheller. Und der lautet: Gemeinwohlorientierung.
Wissings Beamten trauen den Zahlen der Bahn nicht mehr
Dabei setzen SPD, Grüne und FDP große Hoffnung in die Bahn. Sie wollen, dass 2030 doppelt so viele Menschen mit der Bahn fahren und Unternehmen ihre Güter 60 bis 70 Prozent häufiger als heute über das Netz transportieren. Dafür muss die hochverschuldete Bahn endlich ihr Netz in Schuss bringen.
Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG sollen deswegen – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – zu einer Art Schienen GmbH (Arbeitstitel: „Infra-Go“) verschmelzen und ab dem kommenden Jahr „gemeinwohlorientiert“ arbeiten. Kein marodes Schienennetz mehr, kein Bahn-Konzern, der seine Eigentümer an der Nase herumführt, so lautet das Ziel.
Minister Wissing weiß seit einigen Tagen auch, wer ihm hilft, die beste Struktur für eine neue Schienennetzgesellschaft zu finden: Die Fusionsexperten von Götz Partners haben für 6,4 Millionen Euro den Zuschlag bekommen. Den nötigen Branchensachverstand werden die Experten der Hamburger SCI Verkehr zuliefern.
Die Neuordnung des Netzbetriebs ist die eine Sache. Mehr Geld aber bringt die auch nicht automatisch ins System. Derzeit prüfen Wissings Beamte noch den Zustandsbericht. Den Zahlen der Bahn trauen sie nicht.
Klar scheint aber: Es muss mehr Geld ins System. Nur wie? Bundesfinanzminister Christian Lindner müsste entweder neue Schulden aufnehmen – ein Unding für den FDP-Chef – oder an anderer Stelle verzichten. Oder er erschließt neue Einnahmequellen.
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„Das Haushaltsjahr 2024 wird ein besonders schwieriges und sicher ein Knackpunkt auf der Regierungsklausur“, sagte SPD-Fraktionsvize Detlef Müller. „Für die Schieneninfrastruktur werden viele zusätzliche Milliarden benötigt, das wird ein hartes Ringen geben.“ Schließlich gebe es auch andere „Notwendigkeiten“, etwa bei der Rente, der Krankenhausfinanzierung und der Kindergrundsicherung.
Ganz zu schweigen von den Wasserstraßen und Autobahnen, für die auch Geld fehlt. Allein für alle geplanten Neu- und Ausbauvorhaben haben Inflation und steigende Baukosten ein Loch von mehr als 60 Milliarden Euro gerissen, wie das Ministerium selbst ermittelt hat.
Um das Kernnetz der Bahn – also alle viel befahrenen Strecken und Verbindungen zwischen Metropolen – zu sanieren und flächendeckend mit kleineren Maßnahmen mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, wären allein schon 50 Milliarden Euro nötig, wie es in Regierungskreisen heißt. Digitalisierung, Ausweichstrecken und neue Linien noch gar nicht mitgerechnet.
Eine Expertenrunde im Ministerium hat empfohlen, die Bahn künftig aus zwei Fonds zu finanzieren. Dort hinein sollen die Milliarden fließen, die bisher verschlungen aus dem Bundeshaushalt den Weg ins Unternehmen finden. Mit dem einen Fonds soll die Eisenbahn GmbH das Netz pflegen und modernisieren, mit dem anderen das Netz ausbauen.
Frisches Geld soll aus der Lkw-Maut fließen
Um die Töpfe aufzufüllen, verweisen die Experten auf die neue Klimamaut für Lkw. Minister Wissing will sie ab Ende des Jahres einsammeln. Bis zu sieben Milliarden Euro könnten es werden. Ein Teil davon soll ins Schienennetz fließen, was die Grünen freut. Einen entsprechenden Vorschlag könnte er auf der Klausur unterbreiten.
Allerdings muss Wissing auch seine eigene Partei überzeugen. Die Liberalen pochen darauf, dass sich jeder Verkehrsträger weiter selbst finanziert. Allenfalls 20 Prozent aus der Lkw-Klimamaut sollen deshalb in die Schienenwege fließen. Die Bahn solle auf Neubauprojekte verzichten und sich auf die Sanierung des Netzes konzentrieren, hieß es.
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Geld dürfte auch aus dem Verkauf der Logistiksparte DB Schenker sprudeln. Die Bahn soll ihren Top-Gewinnbringer abstoßen und sich auf ihr Kerngeschäft, den Bahnverkehr in Deutschland und Europa, konzentrieren. Der Verkaufsprozess läuft bereits. Von einem zweistelligen Milliardenbetrag ist die Rede.
„Die Mittel aus dem Verkauf sollen für eine Schuldentilgung und mögliche Investitionen in die Infrastruktur und Digitalisierung in der DB AG verbleiben“, heißt es in einem Bericht des Ministeriums. Allerdings pochen FDP-Abgeordnete auch hier darauf, in erster Linie Schulden der Bahn zu tilgen, damit die Finanzierungskosten der Bahn nicht steigen. Für den Bund falle mit dem Verkauf in Zukunft die Dividende aus.
Viele Fragen noch zu klären
Die Bahn müsse mit ihrem Geld künftig „zielgenauer“ umgehen, heißt es in Koalitionskreisen warnend. Auch in der Branche mahnen Experten, die neue Netzgesellschaft könne unmöglich schon in diesem Jahr ins Handelsregister eingetragen werden, auch wenn die Bahn dies fordere.
Zu viele Fragen seien zu klären, auch die nach mehr Wettbewerb auf dem Netz. Darüber wollen sie bei der Bahn nicht reden, sondern verweisen auf die nächste Aufsichtsratssitzung Ende März. Bis dahin müsse der Bund erklären, wie viel Geld er in Zukunft an das Unternehmen überweisen will.
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